Habe ich ihm je gesagt, wieviel ich von ihm hielt? Nein, natürlich nicht. Einem Dieter Eckbauer seine Wertschätzung zu zeigen, war allenfalls indirekt möglich, sei es durch die Art mit ihm zu reden, sei es indem man Dritten gegenüber durchblicken ließ, dass man seine Meinung teilte oder von ihm einiges gelernt hatte (was diese Dritten ihm dann vielleicht steckten). Ihm im direkten Gespräch platterdings Recht zu geben, hätte bedeutet, sich selbst zum Jasager zu degradieren, der sich anbiedern will und in Wahrheit nichts verstanden hat. Wer den Respekt des Meisters wollte, musste ihm geradezu widersprechen – was nicht ganz einfach war, wenn man mit ihm kompatibel war. Wer mit ihm nicht kompatibel war, hatte es allerdings noch viel schwerer mit ihm. Aber er war auch nie ein Mensch, der es anderen leicht machen wollte.
Lob über Bande, Anerkennung auf Umwegen: So war Dieter Eckbauer, mein Chef von 1984 bis 1989. War er nicht zufrieden, konnte er es direkt sagen, auch brutal direkt. Fand er meine Arbeit gut, erfuhr ich das bestenfalls von anderen. Eher merkte ich es daran, dass er mir Freiräume und Freiheiten gab, mich an längerer Leine führte, bestimmte Aufgaben mir anvertraute. Die Dosis an Motivationspillen, die man bei ihm ergattern konnte, reichte nie, um davon übermütig zu werden. Von daher hätte er, der Wiener Berliner oder Berliner Wiener mit Wohnsitz München, eigentlich Schwabe sein müssen: Nicht geschimpft ist im Ländle bekanntlich genug gelobt. Das maximale Kompliment entfuhr ihm in den frühen Neunzigern, als ich längst als Freiberufler tätig war. Eckbauer echauffierte sich furchtbar vor Kollegen über mich, weil ich es gewagt hatte, für das Konkurrenzblatt Computerzeitung zu schreiben, deren Chefredaktion ein anderer Ex-CW-Redakteur übernommen hatte, Gerhard Schmid. Exklusivität erwartete Eckbauer nur von Autoren, die ihm nicht egal waren. Auch Schmids Wechsel zur CZ – einem bis dahin unbedeutenden Blatt, dessen Verleger ausgerechnet Eckbauers früheren Vize Manfred Hasenbeck als Berater engagiert hatte – empfand er als Affront.
Heute kann und will ich Dieter Eckbauer loben. Das ist fair, weil er es verdient hat, und zugleich unfair, denn er kann sich nicht mehr dagegen wehren. Am Samstag hat er seinen Kampf gegen das Karzinom verloren, das sich seiner Lunge bemächtigt hatte. Längst hatte er das Rauchen aufgegeben, aber da hatten wohl schon zu große Schadstoffmengen seine Atemwege geteert. Und leider wusste ich nicht, wie schlecht es ihm ging. Kaum jemand wusste es. Er hat nicht gewollt, dass ihn jemand so sieht, wie man eben aussieht, wenn Chemotherapeuten versuchen, die Krebszellen zu vergiften, oder gar wenn man sich nach einem nur scheinbar wirksamen Versuch eines Tages doch im Endstadium wiederfindet. So hat er es uns erleichtert, ihn in Erinnerung zu behalten, wie er in besseren Tagen war – und dafür den Preis bezahlt, als der einsame Wolf zu sterben, der er im Grunde seines Herzens immer gewesen war.
Das größte Lob gilt denn auch nicht Eckbauers Führungsqualitäten; an denen hätte er arbeiten können. Seine Stärke war seine Haltung. Er hatte Ideale, er hatte Prinzipien, er verbog sich nicht. Dieter Eckbauer, der Seiteneinsteiger in den Journalismus, verkörperte den heute als altmodisch geltenden Anwalt des Lesers. Diese Rolle war für ihn selbstverständlich; über medientheoretische Seminare hätte er nur gelästert. Alles, was er an journalistischem Handwerkszeug benötigte, hat er sich im Beruf angeeignet. Sein Kapital war die Branchenkompetenz, die er als Praktiker in der Wirtschaft erworben hatte – als Mitarbeiter des Computeranbieters Honeywell Bull. In Deutschland große Computer an Firmen zu verkaufen, war in den Siebzigern ein undankbarer Job, sofern man weder für Siemens arbeitete noch für „Big Blue“, wie der Marktführer IBM genannt wurde. Dieter Eckbauers Arbeitgeber war jedoch Teil der sogenannten BUNCH, der „Bande“. So nannten IBMs VauBees, die Vertriebsbeauftragten, spöttisch die viel kleineren Konkurrenten Burroughs, Univac, NCR, Control Data und eben Honeywell. IBMs Großrechner waren grundsätzlich weder besser noch innovativer als andere, nur die Verkaufsmethoden waren in ihrer Perfidie unerreicht. Der amerikanische Konzern war – ähnlich wie später Microsoft unter dem gelehrigen Musterschüler Bill Gates – allein durch seine Marktmacht imstande, eine hauseigene Entwicklung zum faktischen Industriestandard zu erklären, gegen den kein Normenausschuss anstinken konnte.
Mit dem Kampf gegen monopolistische Bestrebungen in der IT-Industrie hatte Eckbauer, damals 37 Jahre alt, den roten Faden gefunden, der sich durch sein restliches Berufsleben ziehen sollte. Und die Chefredaktion der 1974 gegründeten Computerwoche war der perfekte Job für ihn. Als er mitten in der Startup-Phase neugierig hineingeschnuppert hatte, saß die kleine Redaktion in einem provisorischen Quartier, hinter dem Schaufenster eines kleinen Porzellanladens in der Tegernseer Landstraße. Eckbauer war fasziniert, volontierte, avancierte schnell zum Redakteur und war 1979 Chefredakteur – ein Job, den er sich anfangs noch mit einem Kollegen teilen musste.
Keiner konnte besser erklären, wie das Marketingprinzip „FUD“ funktionierte: Fear, Uncertainty, Doubt. Wenn etwa Control Data technisch die Nase vorn hatte, schürten Big Blues Vaubees bei den Kunden die Angst vor teuren Fehlinvestitionen (noch nie ist ein CIO rausgeworfen worden, weil er IBM gekauft hat). Sie spielten mit der Unsicherheit (die IBM-Labors arbeiten gerade an etwas, das ist bestimmt noch viel besser) und säten Zweifel (ob Sie sich mit dem Konkurrenzprodukt wirklich einen Gefallen tun, wird man sehen).
Nüchtern vom Ergebnis her betrachtet, war Dieter Eckbauers Kampfgeist natürlich der eines modernen Don Quichotte, jedenfalls was sein Lieblingsobjekt IBM betrifft. Es waren zwar keine harmlosen Windmühlen, gegen die er anritt, sondern knallharte Konzernstrategien, gegen die sogar Kartellbehörden machtlos waren. Aber als die alte IBM Anfang der Neunziger in den Abgrund blickte, war sie eben nicht an dem gescheitert, was wir all die Jahre geschrieben hatten – ich quasi als Don Eckis Sancho Pansa – sondern an ihrer eigenen Unbeweglichkeit. Letztlich haben sich offene Systeme dann doch ihren Platz am Markt erobert. Zu diesem Bewusstsein der User für die Notwendigkeit von echtem marktwirtschaftlichem Wettbewerb in der IT hat der Fachjournalist und Kommentator Dieter Eckbauer gewiss mehr beigetragen als alle Wirtschaftsjournalisten zusammen.
In seinen zwei Jahrzehnten als spiritus rector der Computerwoche muss Eckbauer fast 1000 Kolumnen verfasst haben, denn nur selten delegierte er das Kommentieren. Und wenn ich mal die Ehre hatte, meinen Namen auf der Meinungsseite gedruckt zu sehen, standen dort meist zwei halblange Kolumnen untereinander, die obere von ihm. Bevor er zu formulieren begann, blätterte er gerne in seiner Sammlung alter CW-Ausgaben, die er sich vom Buchbinder zu dicken Wälzern hatte binden lassen. So wusste er auch vor dem Zeitalter der digitalen Volltextarchive immer genau, was er wann bereits zum Thema gesagt und ob er Recht behalten hatte. Die Arbeitsabläufe in der Redaktion waren 1986 noch archaisch. Der Fortschritt begann damit, dass der Chef vom Dienst keine Schreibmaschinenmanuskripte mehr zu den Setzern trug, sondern Floppy Disks in die Produktion brachte.
Als Chef mag Dieter Eckbauer manchmal anstrengend gewesen sein, auch wegen seiner Neigung, uns sein Wissen über die Welt der IT in der Redaktionskonferenz in Form längerer Monologe einzutrichtern. Rückblickend hatte diese Marotte aber etwas sehr Sympathisches, denn unser Boss lebte uns damit vor, dass man sich Zeit nehmen muss, um die Dinge zu verstehen. Er empfand es ohnehin nie als lästig, dozieren zu müssen. Wer es nicht gerade schaffte, das Thema auf den Fußball zu lenken, sah sich auch in der berühmten CW-Kellerbar (mit frischgezapftem Freibier auf Kosten des Arbeitgebers) in längere fachliche Diskussionen mit Ecki verstrickt, in denen es schwer war, ihn zu bremsen. Was seine Themen anging, war er ständig auf Standby – ein Profi ohne Abschaltknopf, in Millisekunden im Debattiermodus. So wurde selbst gemeinsames Biertrinken zur beruflichen Fortbildungsveranstaltung.
Von dieser Art haben im Lauf der Jahre viele Nachwuchsjournalisten profitiert. Ecki gab uns Chancen, wir mussten sie nur nutzen. Wer sein Handwerk bei ihm gelernt hatte, der hatte eine Referenz. Texte, die über seinen Schreibtisch gegangen waren, mögen in der IT-Industrie viele Manager und PR-Leute geärgert haben, aber vor allem deshalb, weil sie ins Schwarze trafen. Deshalb funktionierte kritischer Journalismus sogar als Geschäftsmodell. Die CW war Pflichtlektüre bei CIOs und in der gesamten IT-Industrie. Während andere Verlage ihre Blätter per Controlled Circulation gratis streuten, konnten wir uns hohe Abo-Gebühren leisten. Und weil jeder die CW las, waren die lukrativen Stellenanzeigen echte Selbstläufer. Es gab ja noch keine Monsters und Stepstones.
Die goldene Zeit des Blattmachers Dieter Eckbauer endete Mitte der Neunziger. Die IT-Branche wandelte sich, IBM war keine Zielscheibe mehr, das Internet wurde populär. Gemeinsam entwickelten wir noch zwei neue Print-Objekte. Vor der Cebit 1995 lancierten wir die vierzehntägliche Branchenzeitung Computer Seller Business (heute Channel Partner), 1996 konzipierten wir ein monatliches Wirtschaftsmagazin für den Online-Handel, die Global Online. Die Chefredaktion der CW hatte Eckbauer da bereits abgegeben. Seine neue Rolle als Herausgeber der Wochenzeitung passte nicht wirklich zu ihm, denn sie nötigte ihm zu viel Zurückhaltung ab. Als sich der wirtschaftliche Erfolg der Global Online nicht recht einstellen wollte, verkaufte der Verlag das Objekt nach zwei Jahren. Der knorrige alte Journalist, dem das Unternehmen seinen Aufstieg verdankte, schied aus. Es gab für den 60-Jährigen nichts mehr zu tun, nichts mehr zu kämpfen.
Leider war Dieter Eckbauer auf das Leben nach dem Berufsleben nicht vorbereitet. Eine Zweitkarriere als Berater war keine ernsthafte Option für jemanden, der jahrzehntelang nichts anderes getan hatte, als der Industrie unverblümt die Meinung zu sagen. Zu jenen diplomatischen Verrenkungen, die ein Consultant beherrschen muss, damit der Kunde nicht eingeschnappt ist, fehlte ihm jegliche Neigung. Nur noch der liebe Opa seiner Enkel zu sein, entsprach aber auch nicht seinem Naturell.
Seit jener Zeit hatte ich nur noch sporadisch Kontakt zu meinem alten Boss und Ex-Auftraggeber. Ich hätte ihm gewünscht, dass sein Leben jetzt erst richtig angefangen hätte – wie im Lied von Udo Jürgens. Mit 60 ist man ja nicht alt heutzutage, und als Workaholic hätte er in Sachen Privatleben durchaus Nachholbedarf gehabt. Nach allem, was ich höre, hat er das Glück nicht mehr gefunden. Vielleicht wäre sein Leben in den letzten Jahren auch anders verlaufen, hätte er nicht versucht, aus seiner Abfindung mehr zu machen, indem er sie in viel versprechenden IT-Aktien anlegte. Er gehörte zu denen, die beim Platzen der Millenniumsblase zu spät die Notbremse zogen. Große Sprünge waren seither nicht mehr drin. Doch woher hätte er Börsenerfahrung haben sollen? Als aktiver Journalist kauft man keine Aktien von Firmen, über die man schreibt – und mit anderen Firmen kennt man sich nicht aus.
Während ich so meine berufliche Zeit an Dieter Eckbauers Seite Revue passieren lasse, kommt mir ein fast vergessenes Pseudonym in den Sinn, unter dem er viele Jahre eine Glosse schrieb. Er nannte sich „Sebastian Trauerwein“, dabei waren die Texte – wenn ich mich recht entsinne – weder traurig noch weinerlich. Es wäre ein schöner Name für ein Getränk, mit dem wir zu seinen Ehren anstoßen: Lasst uns eine gute Flasche Trauerwein entkorken!
Die Trauerfeier für Dieter Eckbauer ist für den 24. März angesetzt (10 Uhr, Ostfriedhof).
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Dieter Eckbauer war ein Großer mit Format.
Helmut Blank