Was manche Menschen der Naturwissenschaft zutrauen, ist schon verblüffend. Erklärungen stören da nur.
Neulich, an einem sonnigen Frühlingssamstag, hatte ich in Garmisch zu tun. Ich wählte den kürzesten Weg, eine landschaftlich reizvolle Strecke. Früher genoss dort der eine oder andere Sonntagsfahrer bei Tempo 60 die Aussicht, ein paar Bauern tuckerten auf dem Trecker. Sicher und legal zu überholen war kein Problem. Jetzt ist es eines. Total egal, welche schwarze Zahl im roten Kreis steht: Jeder zweite Pkw-Lenker fährt penibel fünf Prozent langsamer als der klassische deutsche Verkehrserzieher. Sind 80 erlaubt, arretieren diese Zeitgenossen den Tempomaten bei exakt 76.
Während ich sinniere, ob ich lieber Raserpunkte in Flensburg riskiere oder eine Frontalkollision mit einem Wagen, dessen Fahrer zu Beginn meines Überholvorgangs noch gemütlich am Frühstückstisch saß, bleibt mein Blick am Navi hängen. Plötzlich weiß ich, weshalb der Fahrstil der Deutschen immer verzagter wird. Gebe ich jetzt auch nur einen Tick zuviel Gas, weist mich mein digitaler Beifahrer zurecht: 82 km/h! Die Ausrede, dass mein Tacho zuviel anzeigt, zieht nicht mehr.
Sie und ich wissen natürlich, dass ein Navi keine Radarfalle ist. Es verpetzt uns nicht, es ist unser Komplize, es ruft nicht die Polizei. Schmidtchen Schleicher im Wagen vor uns weiß das leider nicht, oder er glaubt es nicht. Sein Navi hat doch eine Antenne! Und was eine Antenne hat, wird rund um die Uhr ausgespäht.
Versuchen Sie erst gar nicht, so einem Ängstling zu verklickern, wieviel Strom und was für eine fette Antenne das Navi bräuchte, um die in 20.000 Kilometern Höhe kreisenden GPS-Satelliten anzufunken. Bestenfalls belehrt er Sie: Bei der Jagd auf Temposünder setze die Polizei sogar schon Minidrohnen ein, die man erst sieht, wenn‘s zu spät ist. Kontern Sie, Oberbayern sei nicht die Wüste von Nevada, so wird er Sie bemitleiden für Ihre Naivität. Schlimmstenfalls hält er Ihnen einen Vortrag über Big Data, den Vormarsch der Quantencomputer und Yottabyte-große Speicher. Es ist enorm, wovon Ahnungslose dank Internetzugang heutzutage alles Ahnung haben.
Sie meinen vielleicht, die Paarung von Technik-Faszination mit Verfolgungswahn sei noch lange kein Massenphänomen. Tja, dachte ich auch – bis ich kürzlich etwas über die „Strichcode-Verschwörung“ las. Demnach fürchten viele Menschen, die EAN-Streifen auf Lebensmittelpackungen seien Antennen, die negative Energien aus der Umwelt bündeln und an die Nahrung abgeben. Um die negative Energie abzuleiten, die ihnen ein Kaufboykott durch esoterisch-hypochondrische Kunden beschert hätte, sahen sich die Hersteller von Rotbäckchen-Saft und Sonnentor-Tee bereits genötigt, die Codes auf ihren Produkten durchzustreichen (was die Schadwirkung aufheben soll). Mit ihrer Angst vor der Marktmacht von Millionen socialmediavernetzter Angsthasen vergraulten die Firmen allerdings manchen Kunden, der noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.
Ich hätte eine Idee, wie man den Wahnsinn wenn nicht stoppen, so doch bremsen kann. Lassen Sie uns eine Verschwörung anzetteln: Wir verbreiten überall im Web, dass Computer dumm machen und dass die Nutzung von Onlineforen diesen Effekt noch potenziert. Völlig egal, dass das nur die halbe Wahrheit ist, Hauptsache es spricht sich herum. Dann kommen wir nicht nur auf den Straßen wieder besser voran, sondern auch im Netz.
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