Aus Überzeugung unzufrieden

kvp-trainerWer mit dem Erreichten niemals zufrieden ist, wird schnell als Nörgler abgestempelt. In der Industrie ist es aber wie im Leistungssport: An der Spitze hält sich nur, wer den Drang hat, immer noch ein wenig besser zu werden. Deshalb gehören zu einem Kontinuierlichen Verbesserungsprozess, kurz KVP, auch speziell ausgebildete Antreiber, die das Unternehmen Schritt für Schritt voranbringen – die KVP-Trainer.

Kontiunierliche Verbesserungen sind auch bei einer der weltweit bekanntesten Weißbierbrauereien ein großes Thema: bei Erdinger Weißbräu in Oberbayern. Lars Goschenhofer und Manfred Brummer betreuen hier den „EVP“, den „Erdinger Verbesserungsprozess“. Am Anfang hatte das Duo tatsächlich keinen leichten Stand. „Brauchen wir das wirklich?“, hätten die Kollegen skeptisch gefragt, sagt Manfred Brummer. „Wenn ein Unternehmen so gut dasteht wie Erdinger Weißbräu, ist die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen schwer zu vermitteln.“

Dabei stand eigentlich nie zu befürchten, dass die Geschäftsleitung ihr Traditionsbewusstsein dem Drang nach Fortschritt und Effizienz opfern würde. „Der Brauprozess ist unsere heilige Kuh“, schwört Technik-Geschäftsführer Peter Liebert noch heute. Wenn seine KVP-Spezialisten es wagten, daran etwas zu ändern, etwa ihn zu beschleunigen, wären sie ihre Aufgabe wahrscheinlich sehr schnell wieder los. Zugleich war er es, der Goschenhofer und Brummer aus ihren alten Jobs als Braumeister und Logistiker herausholte, damit sie die Privatbrauerei in Erding in buchstäblich allen anderen Belangen fortschrittlicher und effizienter machen. Seit gut fünf Jahren arbeiten sie nun hin auf dieses Ziel – ein Ziel, in dessen Natur es liegt, dass es immer wieder ein Stück in die ferne rückt, sobald man ihm nahekommt.

Lars Goschenhofer und Manfred Brummer gehören zu den Vertretern eines Berufsbilds, das man nicht in akademischen Curricula findet, allein schon weil recht unterschiedliche Ausbildungswege zum Ziel führen können. Und das trägt nicht unbedingt immer den Namen KVP-Trainer oder KVP-Experte. Moritz Kramer von der BPW Bergische Achsen KG im nordrhein-westfälischen Wiehl stellt sich beispielsweise als Leiter Prozessoptimierung (PrOp) vor, Bruno Treibenreif vom Schweizer Raumfahrtspezialisten RUAG Space als Senior Manager Continuous Improvement Processes (CIP). Gemeinsamer Nenner ist ihr Interesse an Managementfragen, gern gepaart mit einem Faible für Technik und einer guten Portion Neugier. Die beiden Erdinger können neben ihren Hauptberufen einen betriebswirtschaftlichen Studienabschluss vorweisen, Kramer von BPW ist Wirtschaftsingenieur, Treibenreif von RUAG Space – von Haus aus Techniker bei einer Fluggesellschaft – bildete sich zum Betriebsökonom, Controller und IT-Spezialisten weiter. Sie alle haben eine intensive Ausbildung zum KVP-Experten durchlaufen.

KVP-Experten sind in ihren Unternehmen als Wegweiser, Lotsen und Motivatoren unterwegs. Abseits der normalen betrieblichen Hierarchie spielen sie eine Schlüsselrolle: Zu ihren Workshops bringen sie alle zusammen, die zur Lösung beitragen können – von Mitarbeitern und Vorarbeitern über Meister und Abteilungsleiter bis zur Geschäftsführung. Wer neu ins Unternehmen kommt, dem erklären sie das Kaizen-Prinzip, auf dem der KVP beruht. „Wichtig ist, den Kollegen klarzumachen, dass das Ziel nicht Stellenabbau heißt“, sagt Bruno Treibenreif, „sondern die Freischaffung von Potenzialen durch Optimierungen.“ Eine entscheidende Qualifikation ist für ihn die Fähigkeit zur Empathie. Schließlich gelte es, die Teilnehmer für die „Geisteshaltung der kontinuierlichen Verbesserung“ zu gewinnen und ihren sportlichen Ehrgeiz zu wecken: „Wer einen Marathon laufen will, muss auch trainieren.“

Es dauert eine Weile, bis aus der abstrakten Idee eine alltägliche Arbeitsweise wird, die den ganzen Betrieb erfasst, sei es in der Produktion oder in der Verwaltung. Auch bei RUAG Space, einem führenden Zulieferer für die Raumfahrtindustrie mit Sitz in Zürich, gab es nicht nur erfreute Gesichter, als der neue Senior Vice President Holger Wentscher vor zweieinhalb Jahren die Einführung von KVP bekanntgab.

Nach der von den Porsche-Beratern begleiteten Anlaufphase legte er die interne Koordination in die Hände des damaligen Controlling-Leiters Treibenreif. Dieser folgt in seiner neuen Funktion dem Motto „Überzeugen und dranbleiben“ – und weiß stets den Chef an seiner Seite. „Sie haben komplett verloren, wenn Sie nicht der Erste sind, der vorneweg geht“, warnt Wentscher seine Managerkollegen, „das erfordert viel Selbstdisziplin, wenn sich auf Ihrem Schreibtisch Dinge stapeln, die unmittelbar Einfluss auf Ergebnis und Umsatz haben.“ Würde er KVP vernachlässigen, sei er wie ein Holzfäller, der sich nicht die Zeit nehme, seine Säge zu schärfen.

Die Erdinger Weißbierbrauer sind ein paar Jahre weiter. Und so kann Lars Goschenhofer Skeptikern mit Zahlen belegen, welche Produktivitätsreserven eine subjektiv bereits erfolgreiche Belegschaft aktivieren kann, indem sie genau hinschaut und sich Gedanken macht. In der Abfüllerei schafft zum Beispiel eine Anlage, die vor vier Jahren bei 170 Hektolitern pro Stunde ans Limit zu stoßen schien, inzwischen bis zu 230 Hektoliter, fast 13 Flaschen Weißbier pro Sekunde. Dahinter steht kein großer einmaliger Eingriff, sondern eine Kaskade aus technischen und organisatorischen Verbesserungen, die erst im Zusammenwirken einen unübersehbaren Fortschritt ergeben. Das Beste daran: Der Erfolg hat viele Eltern, deshalb darf die ganze Abteilung stolz auf ihn sein.

Noch viel länger pflegt der westdeutsche Achsenhersteller BPW seine KVP-Kultur. Die Zusammenarbeit mit Porsche Consulting reicht zurück bis ins Jahr 2001. Der heutige PrOp-Verantwortliche Moritz Kramer kam 2007 als Assistent eines persönlich haftenden Gesellschafters in das mittelständische Unternehmen. Als er 2011 die Leitung der Abteilung Prozessoptimierung übernahm, war er bestens eingearbeitet in die Thematik. Heute arbeiten in seinem Team sieben Trainer, die sicherstellen, dass die Belegschaft durchgängig mit der „prozessorientierten Denkweise“ vertraut ist. „An unserem Standort“, sagt Kramer, „sind etwa 90 Prozent der Mitarbeiter schon in unserer Modellfabrik geschult und für das Thema Prozessoptimierung sensibilisiert worden. Außerdem wurden in fast allen Bereichen Workshops durchgeführt.“ Früher sei BPW methodenlastig vorgegangen und habe die Abläufe am einzelnen Arbeitsplatz optimiert, inzwischen herrsche ein „übergreifendes Prozessverständnis“ vor: „Bevor wir in einen bereich hineingehen, machen wir eine Wertstromanalyse, manchmal auch ein Wertstromdesign, um daraus die Themen abzuleiten, die uns wirklich weiterbringen.“ Im Mittelpunkt der Workshops stünden daher Ideen, die sich nicht mehr auf einzelne Prozessschritte, sondern auf die ganze Prozesskette bezögen.

Für Marc Zacherl, Leiter der Porsche Akademie, liegt genau darin der Clou: dass auch die KVP-Experten ständig an sich arbeiten, um auf ihrem Gebiet kontinuierlich besser zu werden. Aufbauend auf dem, was sie in den Train-the-Trainer-Lektionen gelernt haben – den Blick für Prozessoptimierungen zu schärfen, Best-Practice-Methoden anzuwenden und sich in die Menschen hineinzuversetzen, die vertraute Arbeitsabläufe aufgeben sollen –, müssten die Trainer in die Rolle von Innovatoren hineinwachsen. So sei es für sie zunehmend wichtig, künftige Kundenanforderungen frühzeitig zu erkennen und dafür zu sorgen, dass die Prozesse beizeiten darauf ausgerichtet werden. Als moderne Change Manager sollten die KVP-Experten aber nicht als „Lösungsgeber“ auftreten, sondern „Führungskräfte als Sparringspartner auf Augenhöhe durch Veränderungsprojekte begleiten“ und zugleich „die Stimmungslage der Mitarbeiter antizipieren“, um den anstehenden Wandel angemessen kommunizieren zu können. „Moderne KVP-Experten befähigen Organisationen dazu, Probleme zu lösen“, so Zacherl. Immer wichtiger wird laut Zacherl auch der Aufbau eines „routinierten Shopfloor-Managements“.

Diesen Ansatz forciert seit einiger zeit auch BPW. Unter dem Motto „Verbesserung im Team“, kurz „ViT“, entlasten Moritz Kramer und sein Team Führungskräfte wie Abteilungsleiter, Meister und Vorarbeiter systematisch von zeitraubenden Meetings, damit diese wieder mehr Zeit dort verbringen können, wo die Wertschöpfung stattfindet, nämlich in den Werkshallen. Stark vereinfacht gesagt sei das Ziel dieses „ViTness“-Programms: „Nicht reden, sondern machen“, so Kramer. Die Besprechungen sind nicht gestrichen, werden aber nach einem Standardschema kurz und effizient geführt. Es soll auch nicht mehr mehrere Meetings mit verschiedenen Teilnehmern zum selben Thema geben, stattdessen holt man alle an einen Tisch. „Das kam und kommt bei den Leuten besser an, als ich im Vorfeld erwartet hatte“, freut sich Kramer.

Zurücklehnen kann sich KVP-Chef Kramer allerdings nicht. Nicht selten muss er neue Leute suchen. Das liegt daran, dass seine Mitarbeiter gute Chancen haben, Karriere als Abteilungsleiter zu machen. Für Moritz Kramer ist das kein Ärgernis, sondern der beste Beweis für das Funktionieren der KVP-Idee. Auch der Brauerei-Geschäftsführer Peter Liebert betont: „Für KVP braucht man Mitarbeiter, bei denen es uns richtig wehtut, wenn man sie aus ihrem bisherigen Arbeitsbereich rausnimmt.“

Erschienen in „Porsche Consulting – Das Magazin“, Ausgabe 15 (Oktober 2014)

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