Erschienen in „Porsche Consulting – Das Magazin“, Ausgabe 16 (Juli 2015):
Schlankes Management funktioniert auch da, wo Menschen immaterielle Produkte herstellen: im Büro.
In seiner Beratungspraxis stößt Kashif Ansari, Geschäftsbereichsleiter bei Porsche Consulting, immer wieder auf die gleichen Behauptungen: Administrative Prozesse seien nicht messbar. Wenn doch, wolle sich kein Mitarbeiter über Kennzahlen steuern lassen. Überhaupt nütze das Erheben solcher Zahlen nichts, weil man im Büro keine Just-in-time-Arbeitsmethoden einführen könne. „Irrtum“, sagt der Berater. „Definitiv“, pflichtet ihm Kollege Raphael Ring bei, der sich als Projektmanager Tag für Tag mit den Themen schlanker Finanz- und Administrationsbereiche befasst. Er hat gerade erst wieder einem multinational tätigen Auftraggeber geholfen, die Produktivität in einem kaufmännischen Shared Service Center zu steigern und die Abläufe zu professionalisieren. Inzwischen läuft dort das Rechnungswesen wie eine gut geölte Maschine. Den Angestellten bleiben Überstunden erspart. Zugleich hat sich die Qualität der Arbeitsergebnisse spürbar verbessert. Es konnten sogar zusätzliche Prozesse bei gleichbleibender Mitarbeiterzahl integriert werden.
Erschwert wird die Einführung schlanker Prinzipien im Büro dadurch, dass es keinen physischen Materialfluss zu beobachten gibt. Doch für Ansari und Ring steht fest: Auch Berichte, gebuchte Rechnungen oder Programmiercodes sind letztlich nichts anderes als Produkte, die zu einem bestimmten Zeitpunkt fehlerfrei geliefert werden müssen. Das Rohmaterial besteht aus Daten, Informationen oder Wissen und wird mal zu Massenware, mal zu Maßkonfektion verarbeitet. Weil die Paral- lelen so groß seien, so die Experten, könne man die x-fach bewährten Prinzipien schlanker Produktion in die Prozesse der Administration übertragen. Alles findet sich wieder: Fließ- und Taktprinzip, Zug- und Null-Fehler-Prinzip.
„Jeder Mensch arbeitet anders“, sagt Ansari, „die schnellsten Mitarbeiter in der Buchhaltung schaffen zweieinhalb Mal so viele Buchungen wie die langsamsten.“ Um solche massiven Produktivitätsunterschiede zu minimieren, destilliere man aus den Best Practices der produktivsten Angestellten eine Standardvorgehensweise. Das entspricht einem detail- lierten leitfaden, der zu jedem Routinevorgang Schritt für Schritt erklärt, was wie in welcher Reihenfolge zu erledigen ist. Ergänzend werde der physische Arbeitsplatz so umgestaltet, dass er die Zusammenarbeit im Team effizienter macht.
Entscheidend ist, dass die Informationen, Daten oder Belege – analog dem Materialfluss in der Fabrik – just in time geliefert werden. Im Beispiel der Buchhaltung heißt das: Der Input zu Löhnen, Kreditoren und Debitoren muss in einem festgelegten Takt bereitstehen, der es erlaubt, die „Bürofabrik“ gleichmäßig auszulasten. Dieser getaktete Input, der in einem Service Level Agreement vereinbart wird, trifft dann auf ein internes Kapazitätsmanagement. Das verteilt die abzuarbeitenden Vorgänge so auf die Mitarbeiter, dass jeder entsprechend seinen Fähigkeiten optimal eingesetzt wird und die Aufgaben gut bewältigen kann.
Um die Prozesse und die organisation zielgerichtet zu steuern, empfehlen die Experten die Etablierung eines Shopfloormanagements, das die Arbeitsergebnisse transparent für alle aufzeigt. Den Kern bilden Kennzahlen für Qualität, Kosten, liefertreue (Service Level) und Motivation. Anfänglichen Vorbehalten begegnet ein Unternehmen nach Raphael Rings Erfahrung am besten, indem es auf spielerische Weise Ehrgeiz weckt und auf Mannschaftsgeist setzt: „Niemand möchte das Tagesergebnis des eigenen Teams verderben.“ Das funktioniert nur im Kontext der kontinuierlichen Verbesserung, die den Fehler nicht beim Einzelnen sucht, sondern allein auf die Beseitigung der Ursachen abzielt.
Werkzeuge für die Steuerung und kontinuierliche Verbesserung sind regelmäßige Teambesprechungen, Teamboards mit Kennzahlen und sogenannte Sit-ins: Dabei setzt sich der Teamleiter zwei Stunden neben einen Mitarbeiter und lässt sich zeigen, wie dieser seine Aufgabe angeht – mit dem klaren Ziel, Verbesserungsmöglichkeiten gemeinsam zu erarbeiten und den Arbeitsalltag der Mitarbeiter zu verstehen. Auch die Skeptiker, sagt Kashif Ansari, kämen früher oder später zu der Erkenntnis: „Produktivität macht Spaß. Sogar ziemlich viel.“
Hochrepetitive Prozesse eignen sich naturgemäß am besten für eine solche Industrialisierung von Tätigkeiten. Die Prinzipien lassen sich aber auch auf kreative und somit weniger strukturierte Arbeiten übertragen. Für Ansari steht fest: „Jeder Prozess ist messbar. Die Schaffung von Transparenz durch Kennzahlen ist der erste Schritt, um die leistung zu steigern.“ So konnte beispielsweise bei SAP die Produktivität von 15000 Softwareentwicklern, die in elf ländern sitzen, um mehr als 40 Prozent gesteigert werden. Das Taktprinzip greift auch hier: Statt monatelang an einer Gesamtlösung zu feilen, deren Funktionsweise erst am Ende erprobt werden kann, liefern die Entwickler im Vierwochenrhythmus kleinere, nutzbare Softwarepakete ab – und nähern sich so Schritt für Schritt dem Ziel.
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