Marvin Oppong hat via Twitter Fragen mit und ohne Fragezeichen gestellt, die sich vielleicht auch andere Menschen stellen, die sich für die VG Wort interessieren, und ich möchte diese Fragen im Rahmen des Möglichen beantworten (beziehungsweise die eigentlichen Fragen, die ich aus den eigenwilligen und provokanten Tweets herauslese).
Für die, die den Kollegen Oppong nicht kennen (was erstaunlich wäre, allerdings keine unverzeihliche Bildungslücke darstellt): Der 1982 geborene Bonner spürt wie ein Trüffelschwein echten und gefühlten Missständen aller Gewichtsklassen nach und gibt dem journalistischen Nachwuchs Unterricht in investigativem bzw. datenjournalistischem Arbeiten. Bei seinen Recherchen, die sich auffällig oft mit der Medienbranche befassen, tritt der „freie Journalist und Jurastudent“ (Stand 2010; über einen Abschluss ist nichts bekannt) mitunter so inquisitorisch fordernd auf, dass man ihn wohl als „gefürchtet“ titulieren darf.
Stets im Einsatz für die Moral unseres Berufsstandes, begehrt Oppong also nun vom DJV-Vorsitzenden Frank Überall und mir eine Auskunft, die wir nicht geben können, weil die Frage auf falschen Tatsachenbehauptungen beruht:
„Was sagen eigentlich die @DJVde-Vertreter* in #VGWort-Gremien dazu, dass die Mitglieder von der demo. Willensbildung ausschließt? @ueberalltv
Abgesehen davon, dass der DJV keine Befugnis hat, Vertreter* (s.u.) in die Gremien der VG Wort zu entsenden, stimmt es schlichtweg nicht, dass die Mitglieder der VG Wort von der demokratischen Willensbildung ausgeschlossen wären. Jedes Mitglied hat das volle aktive und passive Wahlrecht sowie Rede- und Antragsrecht auf der Mitgliederversammlung. Das Problem ist, dass es traditionell nur sehr wenige Mitglieder gibt, nämlich zuletzt rund 400, obwohl im vorigen Jahr Tantiemen an fast 180.000 Autoren ausgeschüttet wurden.
Nun ist es aber so, dass viele Urheber, die laut Satzung Mitglied werden könnten, bisher schlichtweg nicht den dafür erforderlichen Antrag gestellt haben. Sie schließen sich quasi selbst aus, und das finde weder ich gut noch der Vorsitzende meines Berufsverbandes (mit dem ich mich zwar gut verstehe und unterhalte, der mir aber bezüglich meiner ehrenamtlichen Arbeit nichts zu sagen hat).
Wahrscheinlich will Kollege Oppong auf etwas anderes hinaus, dass nämlich bei weitem nicht alle Wahrnehmungsberechtigten die satzungsmäßigen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllen und deshalb nur die Möglichkeit haben, als Delegierte der Wahrnehmungsberechtigten zu kandidieren, wenn sie an der Mitgliederversammlung teilnehmen möchten; diese Repräsentanten haben lediglich aktives Wahlrecht, können sich aber z.B. nicht in den Verwaltungsrat oder Vorstand wählen lassen. So moniert Oppong:
„Auf Mitgl.-Vers. am 10.9. kann nur abstimmen, wer in den letzten 3 Jahren jeweils ≥400 € erhalten hat. Widerstrebt gleicher Wahl, wie sie Art. 38 GG für BT-Wahl vorsieht. Und ich dachte immer „One man, one vote“.“
Der Vergleich mit dem Bundestag hinkt gewaltig, und der besagte Grundgesetz-Artikel ist hier nicht einschlägig. Die VG Wort ist ein wirtschaftlicher Verein. Vereine regeln im Rahmen der Vereinsautonomie selbst, wer in ihnen Mitglied werden kann. Dieses Prinzip dient dem Selbstschutz. Es schützt die legitimen Interessen derer, die der Verein vertritt. Da die VG Wort die einzige Organisation ihrer Art für Autoren ist, darf sie diesen die Mitbestimmung natürlich nicht durch kaum überwindliche Hürden verwehren. Früher war diese tatsächlich viel zu hoch: Als ich tief im vergangenen Jahrhundert meinen Wahrnehmungsvertrag abschloss, hätte ich 3000 Mark pro Jahr an Tantiemen erzielen müssen – was ich nie geschafft habe. Bereits als Delegierter in der Journalisten-Berufsgruppe habe ich mich aber mit meinen Kolleginnen und Kollegen dafür eingesetzt, die Eintrittsschwelle zu senken. Mittlerweile sind wir bei den 400 Euro angelangt, die Marvin Oppong nennt, und wer sagt, das sei noch nicht niedrig genug, rennt bei mir offene Türen ein. Ein Kollege von mir hatte vor Jahren 250 Euro vorgeschlagen, ich finde es richtig; vielleicht kommen wir beim nächsten Anlauf dahin.
Nach meiner Ansicht sollte jeder hauptberufliche Journalist die Chance haben, Mitglied zu werden. Die Schwelle ganz wegzuschleifen, also alle Wahrnehmungsberechtigten zu Mitgliedern zu machen, wäre aber gefährlich. Einen Wahrnehmungsvertrag kann jeder abschließen, der überhaupt etwas publiziert, egal, wie irrelevant und unbeachtet es ist. Er dürfte dann mitbestimmen – über unser aller Geld und die Besetzung der Gremien. Jeder: Das ist der Doktor, der nach seiner Dissertation nie wieder etwas geschrieben hat, und es ist der Verschwörungstroll, dessen Online-Traktätchen keinen interessieren, weshalb sie auch niemand speichert oder ausdruckt. Mir langt, dass zur Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten ein polizeibekannter Paranoiker mit Megafon aufkreuzte und später der Advokat eines Branchenverbandes als „Fachautor“ camoufliert die Anwesenden dazu bringen wollte, die VG Wort in Grund und Boden zu klagen (wovon er selbst massiven wirtschaftlichen Vorteil hätte, zu Lasten der anderen Urheber).
Aus meiner ehrenamtlichen Arbeit für Metis weiß ich sehr gut: Wo viel Geld lockt, sind Gier und kriminelle Energie nicht weit. Ein wesentlicher Teil der Arbeit von Metis-Projektleiterin Anette Wagner besteht darin, Betrugsversuche zu erkennen und den Gaunern immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Ein gut gemeintes One-Man-One-Vote-System ließe sich kinderleicht missbrauchen, um schon mit einer kleinen Helfertruppe Mehrheiten zu kippen, sei es um sich unser Geld unter den Nagel zu reißen oder um den Laden lahmzulegen. Das sind keine theoretischen Überlegungen, sondern die logische Folgerung aus realen Ereignissen der vergangenen 20 Jahre. Welche Hebelwirkung schon ein recht kleiner Trupp von Mehrheitsbeschaffern haben kann, wissen wir aus der Berliner FDP, der CSU im Münchner Süden und den Journalistenverbänden in der Hauptstadtregion.
Marvin Oppongs demokratietheoretisch sympathische Idee einer kompletten Öffnung der VG Wort für Hunderttausende von Schreibern können wir deshalb getrost auf die lange Bank schieben, bis sich ein ähnlicher Prozentsatz der Urheber um seine Urheberrechte kümmert wie Bürger zur Bundestagswahl gehen. So lange das nicht so ist – und davon sind wir trotz einer erfreulichen Neuanmelderate Lichtjahre entfernt – passt die populistische Analogie nicht.
Die gute Nachricht ist, dass sich endlich mehr Journalisten dafür interessieren, ihre Rechte als Mitglieder wahrzunehmen. Nie gab es mehr Mitgliedsanträge in so kurzer Zeit wie in den vergangenen Wochen. Jetzt kommt es nur noch darauf an, dass die Neulinge sich vertraut machen mit den überkommenen Spielregeln, die noch etwas – nun ja – speziell sind. Jeder einzelne Teilnehmer der Mitgliederversammlung übernimmt eine Verantwortung gegenüber allen Wahrnehmungsberechtigten. So sehr manche Kollegen auch auf Konflikt gebürstet sind, weil sie einen verständlichen Brass auf die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger haben (die in der VG Wort traditionell gar nichts zu sagen haben): Wir kommen nur weiter, wenn wir gemeinsam mehrheitsfähige Lösungen finden. Niemand hat etwas davon, wenn jemand aus Wut, aus Frust oder aus Lust an Fundamentalopposition verhindert, dass ein Verteilungsplan verabschiedet wird und unser Geld in München geparkt bleibt, bis wir uns endlich zusammenraufen.
* Um es noch mal in aller Klarheit zu sagen: Es trifft zwar zu, dass ich DJV-Mitglied bin und im Verwaltungsrat neben DJV-Justiziar Benno Pöppelmann sitze. Ich bin stimmberechtigt, er als juristischer Berater unserer Berufsgruppe (BG 2) hingegen nicht. Gewählt geworden bin ich allerdings von den Mitgliedern und Delegierten der BG 2, darunter viel mehr Mitglieder von ver.di-Sparten und der AG Dok als DJV-Mitglieder. Wenn mich jemand – das kommt durchaus bei DJV-Kollegen vor – mangels näherer Kenntnis der Satzung als „DJV-Vertreter“ tituliert, ist das eine nachvollziehbare journalistische Verkürzung. Tatsächlich ist es so, dass ich noch nie von einem DJV-Vorstandsmitglied angesprochen worden bin, das mich zu einem irgendwie gearteten Abstimmungsverhalten hätte bewegen wollen.
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Heute teilte Herr Oppong per Tweet mit, er sei kein ehemaliger Jura-Student.
Dies hatte ich hier leichtsinnigerweise geschrieben, da ich von seinem 2002 (!) begonnenen Jura-Studium wusste und er selbst in seiner Vita auf oppong.eu weder etwas von einem Abschluss erwähnte noch sich als Jura-Student vorstellt. Es erschien mir freilich auch nicht vorstellbar, dass ein so intelligenter junger Mann im 28. Semester noch immer immatrikuliert sein könnte. Angeblich gibt es seit der Bologna-Reform ja kaum noch Langzeitstudenten.
Nun gut, jedenfalls habe ich das korrigiert (die neue Fassung steht oben).
Das behagte Herrn Oppong auch nicht, denn Ziffer 3 des Pressekodex sehe nicht vor, dass ich Korrekturen „klammheimlich“ vornehmen dürfe. In weiteren Tweets belehrte er mich u.a., dass ich leicht hätte recherchieren können, was richtig ist – samt Link zur Otto-Brenner-Stiftung, die ihm einen Preis verliehen hat und aus diesem feierlichen Anlass eine komplettere Vita ins Netz gestellt hat, als sie auf oppong.eu zu finden ist. Die OBS-Vita ist zudem aktueller als die bei carta.info, die auf dem Stand von 2010 sein dürfte, weil er seither nichts mehr dort geschrieben hat. Ich schließe daraus messerscharf, dass Herr Oppong mir vermitteln will, er sei in der Tat Student im 28. Semester, auch wenn er das nicht explizit schreibt. Im übrigen findet er, meine (finstere?) Absicht sei daran zu erkennen, dass ich bei meiner Korrektur die Wörtchen „immer noch“ verwendet hätte.
Also: Ich bekenne mich schuldig 1. der nichtinvestigativen Recherche des Lebenslaufs eines Mannes, dessen selbstverfasster Lebenslauf auf der eigenen Website für einen Akademiker ungewöhnlich unvollständig ist, 2. der klammheimlichen Korrektur eines Lapsus, an dem besagter Mann selbst nicht ganz unschuldig ist, 3. meiner aber nun wirklich unverzeihlichen Meinung, es sei schon ein bisschen merkwürdig, dass sich jemand 14 Jahre lang dem Studium der Juristerei hingibt und nicht auf einen einzigen akademischen Titel verweist, den ihm diese Mühe eingebracht habe; es gibt immerhin Altersgenossen von ihm, die haben schon eine Professorenstelle.
Aber weil dieser Marvin Oppong jener Marvin Oppong ist, den niemand in der Medienbranche zum Feind haben möchte, habe ich mir die Zeit genommen für diese kleine öffentliche Beichte.