Ich wohne ja sehr gerne in Kaufering. Noch nie habe ich irgendwo länger gewohnt, nicht einmal in München. Die Gemeinde Marktgemeinde bietet eine Lebensqualität, um die uns viele Menschen beneiden würden. Bis vielleicht auf das lahme Internet – unser Ortsnetz soll jetzt immerhin bis Ende 2017 per Telekom-Remonopolisierung (Vectoring) auf das Bandbreitenniveau gehoben werden, das Großstädter und Bewohner umliegender Kuhdörfer landwirtschaftlich geprägter Gemeinden im Umland schon lange genießen – und die Verkehrsregelung.
Um letztere dreht es sich hier und heute. Gestern abend tagte mal wieder der Gemeinderat, pardon, der Marktgemeinderat. Bürgermeister Erich Püttner war so nett, der Bürgerin Dagmar Kramer vor Beginn der Sitzung Rederecht zu erteilen, allerdings nicht, um ihre Worte frohen Mutes in seinem Herzen zu bewegen, sondern um ihr fast reflexhaft zu widersprechen. Frau Kramers Anliegen war nämlich eines, dem man nur entsprechen kann, wenn man bereit ist, einen Fehler zuzugeben. Sie möchte, dass der Gemeinderat Marktgemeinderat die im Sommer eingeführte Rechts-vor-Links-Regelung in der wichtigsten Ost-West-Verkehrsachse der Gemeinde Marktgemeinde wieder aufhebt.
Es geht um die 1,1 Kilometer lange Iglinger Straße, die – wie der Name schon sagt – ursprünglich mal als Weg in den westlichen Nachbartort Igling diente und diesen Zweck momentan baustellenbedingt nicht erfüllt. Bis vor kurzem war sie eine (nur von einem unorthodoxen Diagonal-Fußgängerüberweg in Bahnhofsnähe zerschnittene) Vorfahrtsstraße.
So hat man das halt früher gehandhabt, als noch der gesunde Menschenverstand alias Logik für die Bauleit- und Verkehrswegeplanung ausreichte und solche verkehrswichtigen Straßen gegenüber kleinen Gässchen bevorzugt wurden: Kaufering hat einen Bahnhof, Igling nicht, Kaufering hat große Arbeitgeber (Hilti), Igling nicht, Kaufering hat Supermärkte, Igling nicht, Kaufering ist gut mit Ärzten und Apotheken ausgestattet, Igling nicht – und am Ostende der Iglinger Straße befindet sich auch noch eine sehr beliebte Gaststätte. Mit anderen Worten: Da ist immer was los, zumal auch für viele Einheimische der Weg zum Bahnhof, zur Autobahn und zum Aldi just dort entlangführt.
Es gehört also schon ein gewisser Wille zur vorsätzlichen Verkehrsbehinderung dazu, eine solche Straße zur Achse einer kilometerlangen Tempo-30-Zone zu machen, in der die Regel „rechts vor links“ gilt, ein Relikt aus der Zeit der Pferdedroschken, das weiten Kreisen der autofahrenden oberbayerischen Bevölkerung so fremd ist wie die Signale usbekischer Binnenschiffer. Eigentlich darf eine Gemeinde das auch gar nicht. Vorfahrtsstraßen dürfen laut StVO §45 1c ebenso wenig in 30er-Zonen verwandelt werden wie ganze Ortschaften:
Die Straßenverkehrsbehörden ordnen ferner innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an. Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken.
Marktbürgermeister Püttner beruft sich gleichwohl auf einen vier Jahre alten Beschluss, in Kaufering praktisch flächendeckend Tempo 30 einzuführen, weil sich Bürger beschwert hatten, es werde zu schnell gefahren. Tja, die besagte Straße war schon sehr lange vorher mit Tempo-30-Schildern ausstaffiert, die zwar größtenteils unauffällig in Gartenhecken eingewachsen, aber immerhin vorhanden waren. Das hätte man also so lassen können – oder die Schilder so verpflanzen, dass man sie sieht, und zur Bekräftigung des Bürgerwillens öfter mal Blitzfallen aufstellen.
Kaufering hat es aber nicht dabei belassen, sondern die 30er-Schilder abmontiert, entlang der Zonengrenze Zonenschilder postiert und im Zoneninneren Schilder „Vorfahrt geändert“ in die Büsche gestellt. Dies alles, wie gesagt, auch in der Iglinger Straße, die ein Paradebeispiel für „Gefühlte Vorfahrt“ ist. So kategorisieren Experten Straßen, bei deren Anblick keinem Autofahrer im Traum einfiele, sie könnten KEINE Vorfahrtsstraßen sein. Gedankenlos brettern die Leute dann mit dezent überhöhter Geschwindigkeit dahin, bis plötzlich aus einem hinter Hecken und anderem Straßenbegleitgrün gut getarnten Sackgässchen ein vorfahrtberechtigtes Kind auf einem Fahrrad hervorbricht.
Neun Querstraßen, Querwege und Quersackgassen hat die Iglinger auf jeder Seite, nur die Hälfte davon ist von weitem zu erkennen und gut einsehbar. Alex Glaser, grüner Marktgemeinderat, Fahrradenthusiast, glühender Verteidiger der Rechtsvorlinkszone und Sackgassenbewohner an der Iglinger Straße, gibt indirekt zu, dass die Neuerung Radfahrern überhaupt nichts nutzt: Würde er auf seiner Vorfahrt bestehen, sagt er, wäre er schon längst nicht mehr am Leben. Für die Abschaffung des Unsinns lässt er sich trotzdem nicht erwärmen. Allerdings weiß auch er noch nicht, wie sich die Abschaffung der Vorfahrt auswirkt, wenn demnächst die Verbindung nach Igling wieder frei ist.
Jede Wette: Es wird laut, und die Abgasbelastung wird steigen. Vorsichtige ortskundige Autofahrer werden nämlich vor jeder dieser unübersichtlichen Hecken-Ecken bremsen, aus denen früher nie jemand forsch herausgeschossen wäre. Hinter der Ecke beschleunigen sie, nur um nach 50, 70, 120 Metern wieder zu bremsen. Über den zweiten Gang kommt man gar nicht mehr hinaus.(Ökologisch ist das nicht, lieber Alex. Und das in Deiner Nachbarschaft. Nun gut, Ihr werdet es merken.)
Zurück zu Marktbürgermeister Erich Püttner: Nachdem Dagmar Kramer, meine Wenigkeit und einige andere Bürger ihm ihre Meinung über die verkorkste Rechtsvorlinkszone gesagt hatten, klärte er uns darüber auf, dass die Iglinger Straße doch gar keine Durchgangsstraße mehr sei und der amtlicherseits vorgesehene Weg nach Igling über die Viktor-Frankl-Straße führe. Da frage ich mich natürlich: Warum steht dann das Einfahrt-verboten-Schild bei der Cantina und nicht zwischen Aldi und Shell?
Keiner der erschienenen Nichtmarktgemeinderäte, also der Bürger und Wähler, konnte dem Gedanken etwas abgewinnen, künftig beispielsweise von der Dr.-Gerbl-Straße durch die Bahnunterführung bei der Cantina nach Igling zu fahren. Schon gar nicht mit dem Rad. Deshalb sollten unsere Lokalpolitiker konsequenterweise die alte Iglinger Straße ab der Einmündung der Bahnhofstraße zur Sackgasse machen. Die jetzige Viktor-Frankl-Straße wird in Iglinger Straße umgetauft, im Gegenzug widmen wir die verkehrsberuhigte Stop-and-Go-Route im Herzen der Marktgemeinde Viktor Frankl. Es war sowieso nie einzusehen, warum man ihn nur dermaßen abseits ehren wollte, zwischen Autowaschanlage und Werkstattbauten.
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Lieber Herr Glaser,
Sie hatten ja damals bei den zunächst anonymen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft gegen meinen Vater mitgewirkt. Sie erinnern sich vielleicht noch vage daran, es ging um das Errichten von Straßenlaternen an der neuen Realschule, damit die Schüler sicher zu Schule kommen. Sie hatten damals bemängelt, dass es keinen Beschluss des Martkgemeinderates für den Ausbau der Beleuchtung gegeben hat. Die Anzeige hatte jedoch keinen Erfolg. Die Enleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Altbürgermeister wegen nicht vorliegender Beschlüsse (Anhörung in der Sache des Beshuldigten) hatten Sie vermutlich auch unterstützt – nicht wahr?
Wenn man sich das Vorgehen des aktuellen Bürgermeisters ansieht, dass er nicht nur ohne einen Beschluss des MGR sondern sogar noch entgegen eines bestehenden Beschlusses seit dem Jahr 2014 30-er Zonen und Rechts-vor-Links Regelungen nach eigenem Gusto einführt, was halten Sie dann als Marktgemeinderat und Jurist davon?
Denn es drängt sich hier schon der Gedanke auf, dass Sie als bekennender Nutznießer dieser Änderungen, plötzlich ein Auge zudrücken. Nach dem Motto jetzt heiligt doch der Zweck die Mittel.
Sollte vor dem Gesetz nicht alles gleich behandelt werden? Wenn der Marktgemeinderat Disziplinarvorgesetzter des Bürgermeisters ist, muss er dann nicht auch für Diszilpinargerechtigekit sorgen? Dem einen etwas durchgehen lassen und dem anderen nicht, weil man selber Nutznießer ist, ist das gerecht?
Vielleicht denken Sie mal darüber nach.
Mit besten Grüßen,
Nicolas Bühler
Lieber Ulf!
Da die Formulierung immer noch unzutreffend ist, mein schriftlicher Hinweis darauf, dass das (frühere) Aufstellen von 30-Schildern in der Iglinger Str. ohne eine Zonen-Regelung unrechtmäßig war und auch heute noch ist. Auch wenn die Schilder früher so standen, waren sie nie rechtmäßig – und deshalb wurde konsequenterweise auch nie kontrolliert.
Und noch eine Bemerkung zum tatsächlichen Geschehen: Nachdem die Süd-Umgehung seit vier Wochen wieder offen ist und der Verkehr in der Iglinger Str. wieder Normal-Maß angenommen hat, sagt mir meine tägliche Erfahrung, dass deutlich langsamer als früher ohne die Tempo-30-Zone gefahren wird. Vielleicht wäre eine Kontrolle mal interessant?