Jens Twiehaus von Turi2 hat den Xing-Mitarbeiter und Vorstandsvorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung, Roland Tichy, videointerviewt und dabei auch auf die Aktion #keingeldfürrechts angesprochen. Tichy schimpft in dem Gespräch wie ein Rohrspatz über den angeblichen Boykottaufruf des Berliner Werbemanagers Gerald Hensel, der zum Jahresende bei der Agentur Scholz & Friends gekündigt hat. Zitat aus der ungeschnittenen Fassung (ab 13min 56sec):
„Sowohl das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wie das Kartellgesetz wie auch das Medien…, wie die Presse…, wie das Presserecht untersagt Boykott.“
Das unsouveräne Gestotter wirft in doppelter Hinsicht ein seltsames Licht zurück auf Tichy, der sich mit seinem Projekt „Tichys Einblick“ heute alle Mühe gibt, Leser zu bespaßen, denen die CDU zu linkslastig geworden ist und die wohl allesamt entsetzt wären, wenn sie wüssten, dass ihr Leib-und-Magen-Polemiker in einem früheren Berufsleben die grandiose Wirtschaftswoche-Titelgeschichte „Ausländer rein!“ und ein gleichnamiges Buch geschrieben hatte. Erstens kommt der sonst so wortgewaltige Kampfschreiber an dieser Stelle nicht nur ins Stammeln, er redet auch Unsinn: Das Presserecht ist für Blogs nicht einschlägig, und selbst wenn es dies wäre, gälte das Berliner Pressegesetz, in dem Boykottaufrufe ebensowenig vorkommen wie etwa im bayerischen oder hessischen Pressegesetz. Auch im Telemediengesetz geht es um völlig andere Dinge.
Zweitens insinuiert Tichy, der Agenturangestellte Hensel hätte die besagte Aktion im Auftrag seines Arbeitgebers gestartet, denn er beruft sich auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. (Dabei handelt sich übrigens um das deutsche Kartellgesetz, auch wenn es im O-Ton bei Tichy klingt, als gebe es zwei Gesetze.) Eine Privatperson – als solche hatte Hensel nach eigener Aussage und der seines Arbeitgebers agiert – kann gegen dieses Gesetz überhaupt nicht verstoßen. Das GWB verbietet in §21 Unternehmen den Versuch, anderen Unternehmen durch Boykottmaßnahmen zu schaden:
„(1) Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen dürfen nicht ein anderes Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen in der Absicht, bestimmte Unternehmen unbillig zu beeinträchtigen, zu Liefersperren oder Bezugssperren auffordern.“
Eine auf diesen Fall anwendbare Regelung – scharf genug, um die angedrohten Schadenersatzansprüche gegen Hensel geltend zu machen – sähe anders aus. Selbst wenn Scholz & Friends hinter der Aktivität ihres Mitarbeiters gesteckt hätten, wäre damit noch lange nicht gesagt, dass ein Verstoß gegen §21 (1) GWB vorläge: Tichy müsste den Scholzens die Absicht nachweisen, das Werbemedium „Tichys Einblick“ konkret und vor allem auch unbillig zu beeinträchtigen. Hensel hatte aber nur – angesichts der Ankündigung des trumpistischen Agitationsblogs Breitbart.com, auch auf dem deutschen Markt aktiv zu werden – die werbetreibende Wirtschaft aufgefordert, sich darum zu kümmern, auf welchen Websites ihre Werbeschaltungen erscheinen und ob dies nicht bei bestimmten Content-Angeboten der eigenen Marke abträglich sei. Vorgeschichte: Die Zerealienmarke Kellogg’s hatte Breitbart in den USA die Werbung entzogen, worauf Breitbart mit einem Boykottaufruf gegen Kellogg’s reagierte.
In Hensels ursprünglichem Aufruf waren zwar Beispiele für Websites rechts des Akzeptablen oder jenseits des Faktischen genannt worden, darunter aber weder „Tichys Einblick“ noch Henryk Broders „Achse des Guten“.
Als Broder und Tichy sahen, dass der Aufruf auch bei ihnen die Werbebuchungen einbrechen ließ, hielten sie sich nicht mit feinsinnigen Differenzierungen auf, sondern geißelten die gut gemeinte Aktion als Attacke auf die Meinungsfreiheit – so, als gebe es einen Rechtsanspruch auf Werbegelder und als sei die Entscheidung eines Werbetreibenden, sein Budget nicht mehr wahllos (d.h. nach Gusto der Google-Algorithmen) zu verteilen, illegitim und antidemokratisch. In Wirklichkeit ist das in den Printmedien seit jeher Usus. Deshalb bekommt die taz traditionell viele jener Inserate nicht, mit denen die FAZ regelmäßig bedacht wird. Niemand regt sich groß darüber auf.
Tichys Überreaktion war schon insoweit befremdlich, als er Lesern, die einen Adblocker verwenden, die Sicht auf den Text mit einem Grauschleier versperrt und sie zur Bezahlung der Lektüre auffordert. Es geht also primär nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung, sondern darum, mit einem Medienangebot für eine Zielgruppe (sagen wir, ehemalige CDU-Wähler) Geld zu verdienen. Die Meinungsfreiheit vorzuschützen, ist ergo ziemlich scheinheilig. Tichy braucht seinen erzkonservativen Lesern ja nur überzeugenden Content anzubieten, der ihnen ein kostenpflichtiges Abo wert ist. Dann kann er auf Clickbaiting (in der Printwelt sagen wir „reißerische Schlagzeilen“) verzichten und dabei Geld verdienen. So funktioniert die Marktwirtschaft.
Wenn Tichy und Broder Wert darauf legen, dass man ihnen ihre Argumentation abkauft, sollten sie vielleicht erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren – also in Kommentarspalten, in denen ihre Fans ihre Meinungsfreiheit in einer Weise ausleben, die jedem anständigen Konservativen peinlich sein müsste. Das schließt ein, sich an Debatten auf fremden Websites wie horizont.de zu beteiligen, in denen es um sie geht. Wer sich selbst einen Eindruck davon verschaffen möchte, wie es da zugeht, lese nicht nur den Horizont-Beitrag von Stefan Wegner, Partner von Scholz & Friends und Geschäftsführer bei Scholz & Friends Berlin, über Hensel und seine Kontrahenten, sondern auch die Leserkommentare darunter. Tichy und Broder haben guten Grund, sich entweder dafür zu schämen, wem sie nach dem Mund schreiben, oder endlich mal dagegenzuhalten, auf die Gefahr hin, ein paar Fans zu vergraulen, die den Boden der fdGo verlassen haben. Meinungsfreiheit begreifen diejenigen, die da den Ton angeben, definitiv nicht als Freiheit des Andersdenkenden, seine Meinung zu äußern.
Hier eine Kostprobe aus dem Wegner-Stück:
„Wir wurden beschimpft als „ekelhafte Denunzianten“ und „Propaganda glorifizierende Giftzwerge“. Wir bekamen Drohanrufe in der Agentur. Unsere Kunden erhielten massenhafte Mails mit Boykottdrohungen in Bezug auf ihre Produkte sowie der Aufforderung, das Vertragsverhältnis mit Scholz & Friends zu kündigen. Gerald bekam Morddrohungen.
Wir haben uns in dieser Situation als Arbeitgeber hinter Gerald gestellt. Warum? Im Namen der Meinungsfreiheit versuchen die Gegner der Aktion einen unserer Mitarbeiter mundtot zu machen („Schmeißt ihn sofort raus!“). Im vermeintlichen Kampf gegen einen Boykott freier Medien rufen sie selber zu einem Boykott unserer Agentur und unserer Kunden auf. Zur angeblichen Verteidigung der Demokratie verwenden sie Mittel der Einschüchterung, Bedrohung und Beleidigung. Das ist menschenfeindliches und undemokratisches Verhalten. Und dagegen stellen wir uns.“
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Hallo lieber Ulf,
alles richtig, Tichys Reaktion ist unangemessen und rechtlich falsch – und Broders Reaktion bei der ganzen Geschichte unsäglich, aber der vorherige Sachverhalt gehört zum Stück dazu: Es war sehr wohl so, dass Tichy (und achgut) von Gerald Hensel angegriffen wurden, sonst wäre es zu dem Gemetzel wohl gar nicht gekommen.
Hier wird Tichys Blog in einem Atemzug mit PI und Junge Freiheit genannt
https://medium.com/deutsch/liebe-linke-gr%C3%BCnversiffte-elite-lasst-euch-nicht-verarschen-717165b7cc14#.ej955zxom, und an der Stelle des Aufrufes war Achgut neben Breibart, PI News und Compact genannt. Diese Seite ist wohl nur noch als Screenshot öffentlich zugänglich, ich erinnere mich an die Lektüre. http://www.achgut.com/images/uploads/Davaidavai_161123b.png