Liebe Kollegen beim Landsberger Tagblatt,
ich höre und lese ja immer wieder, dass Bürger uns Journalisten vorwerfen, wir machten unseren Job nicht richtig. Es heißt, dass wir Themen verpennen, dass wir nicht schreiben, was Sache ist oder dass wir mit Fotos manipulieren. Das schmerzt mich, und als Vorstandsmitglied des Bayerischen Journalisten-Verbandes kann ich dem nicht gleichgültig gegenüberstehen.
Heute muss ich leider in meiner Eigenschaft als Bürger der Gemeinde Kaufering konstatieren, dass an diesen Vorwürfen manchmal etwas dran ist, und ich muss es Ihnen anlasten. In der Samstagsausgabe berichten Sie unter der Überschrift „Jetzt sind die Schilder da“ über die überstürzte Verwandlung unseres Orts in eine faktisch flächendeckende Rechts-vor-links-Zone völlig verspätet mit einem die Wirklichkeit wissentlich verfälschenden Foto und einem Text, der wesentliche Sachverhalte nicht korrekt rüberbringt.
Zur Sache: Ich bin einer von Tausenden Kauferingern, die sich vorige Woche ohne Vorwarnung, im wahrsten Sinn des Wortes über Nacht, in einer Tempo-30-Zone wiederfanden. Am Mittwochmorgen radelte ich durch die Eschenstraße – für Ortsfremde: das ist ein winziges, beschauliches Nebensträßchen – und staunte nicht schlecht, als ein von links kommender Autofahrer meinetwegen anhielt (siehe Foto, ich kam von rechts). Er fuhr auf der Kolpingstraße – für Ortsfremde: das ist DIE Nord-Süd-Verbindung, zugleich DIE Einkaufsstraße mit Supermärkten, anderen Läden und weiterem Gewerbe auf der Ostseite (im Bild links) sowie Wohnhäusern auf der Westseite. Hier gibt es viel Lieferverkehr, auch mit großen Lastzügen.
Ich winkte das Auto vorbei und sah mich um. Das Vorfahrt-achten-Schild in der Eschenstraße war abmontiert worden. Ich sah in der Kolpingstraße nach, und siehe da, hinter dem Baum, hinter dem bisher eine Vorfahrtstafel (Zeichen 306, das quadratische Spiegelei) gehangen hatte, hing nun eine Warntafel (Zeichen 101) mit dem Zusatz „Vorfahrt geändert“. Was nicht ganz stimmt, denn streng genommen müsste es heißen „Vorfahrt aufgehoben“, weil nun situationsabhängig ist, wer vorfahrtsberechtigt ist. Niemand hat mehr per se Vorfahrt.
Jedenfalls radelte ich zum Kreisverkehr Nord und vergewisserte mich, dass ich das nicht träume. Und in der Tat: Kaufering westlich der B17 alt und nördlich der Bahnlinie ist eine durchgängige Rechts-vor-links-Zone. Ausgenommen ist nur der Ausläufer der Bayernstraße bis zum Edeka-Kreisverkehr. Das sieht aber nur, wer von außen kommt, also zum Beispiel von Hurlach über die alte Bundesstraße. Wer wie ich innerhalb der neuen 30er-Zone wohnt, arbeitet und einkauft, sah etwas völlig anderes: Alle Tempo-30- und 30-Zone-Schilder waren verschwunden. Als Insasse des Gebiets hätte man also glauben können, es würde jetzt überall Tempo 50 mit rechts vor links gelten – so wie seit jeher am Ahornring. Man musste rausfahren, um zu erkennen, wo man hineingeraten war. Eine Farce erster Güte.
Nun ist es zu allererst ein Versäumnis des Rathauses, vertreten durch unseren scheidenden Bürgermeister Erich Püttner, dass diese Aktion nicht vorher angekündigt wurde. Die Information darüber ist keine Holschuld der Bürger, sondern eine Bringschuld der Verwaltung. Sie hätte auf die Titelseite des „Mitteilungsblatts Markt Kaufering“ gehört, das im Januar in alle Briefkästen gesteckt wurde. Es steht aber zu dem Thema kein Wort drin (im Dezember- und im Februarheft übrigens auch nicht).
Aber für solche Fälle gibt es ja eigentlich uns Journalisten. Unser Job ist es, über Fehlleistungen und ihre Folgen zu berichten. Und zwar unverzüglich. Als TAGESzeitung hätte das LT am nächsten Morgen drei Dinge im Blatt haben müssen. Erstens, dass die Regelung gilt, zweitens, dass man viele Schilder kaum sieht, drittens dass das Rathaus vergessen hat, die Bürger zu informieren. Eile war schon deshalb geboten, weil es um die Sicherheit der Bürger ging. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, das nicht jeden Morgen checkt, ob sich am Schilderwald etwas geändert hat. Wer vorgewarnt ist, passt auf. So gestand mir Gemeinderat Andreas Keller, Bürgermeisterkandidat der Grünen und Tempo-30-Befürworter, gestern bei einer kleinen wahlkampfbedingten Ortsbegehung in der Theodor-Heuss-Straße, er habe auch schon jemandem die Vorfahrt genommen, weil er nichts mitbekommen hatte. Keller gab mir vorbehaltlos Recht, dass die Umsetzung des Plans, den er mit betrieben hat, handwerklich völlig missglückt sei.
Was ist das Gefährliche? In Kaufering hingen Vorfahrts- und Tempo-30-Schilder traditionell hinter Bäumen. Das war peinlich genug. Nun wurden aber die Warnschilder – die naturgemäß wichtiger sind als Vorfahrtsschilder – just da aufgehängt, wo die anderen Schilder hingen, also da, wo man sie am schlechtesten sieht. Damit bringt die Verwaltung Verkehrsteilnehmer in Gefahr. Durch Gedankenlosigkeit im Amt erhöht sie die Unfallwahrscheinlichkeit.
Damit nicht genug: Die Ex-Vorfahrtsstraße sieht noch aus wie eine Vorfahrtsstraße, mit Fußgängerampel, Fahrbahnmarkierungen, Zebrastreifen und anderen Requisiten, die nichts in einer 30er-Zone zu suchen haben und deshalb signalisieren, man befinde sich nicht in einer solchen.
Als ich am Mittwoch in der Redaktion anrief, erfuhr ich, dass sie von dem Aufregerthema nichts mitbekommen hatte. Ich mailte dem Kollegen deshalb Fotos, darunter dieses:
Der Redakteur versprach, sich noch in dieser Woche darum zu kümmern. Ich musste mich beherrschen, ihm nicht zu sagen, dass sich Monopolzeitungen mit genau dieser wurschtigen Einstellung auf Dauer selbst abschaffen. Wenn Aktualität Wochenaktualität ist, brauche ich keine Tageszeitung. Dann reicht der wöchentliche Kreisbote. Da meine Erwartungen ans Tagblatt nicht mehr hoch sind, war ich aber zufrieden, dass mir überhaupt Interesse signalisiert wurde.
Gestern, am Samstag, erschien das Stück endlich. Der Kollege hatte keines meiner Bilder verwendet, die genau zeigen, wie wenig der Autofahrer von den Warnungen sieht, sondern einen eigenen Fotografen losgeschickt. Dieser hatte sich just an der Einmündung der Buchenstraße in die bisherige Vorfahrtstraße (also gleich bei mir an der nächsten Ecke) mit dem Weitwinkelobjektiv zwischen einen Baum und ein Schild gequetscht, um es in voller Schönheit zeigen zu können. Das LT blendet durch einen fotografischen Trick das Problem aus und zaubert eine geschönte Sicht der Welt. Für den Leser der hiesigen Lokalzeitung existiert das Problem somit nicht.
Tut mir leid, es so hart sagen zu müssen, aber das Foto lügt. Es zeigt nicht die Realität.
Wäre wenigstens der Text noch in Ordnung! Leider heißt es darin, die Tempo-30-Schilder (also nicht die Zone-30-Schilder) seien durch „Vorfahrt geändert“-Warnungen ersetzt worden. Der Redakteur verschweigt, dass an den Masten auch Vorfahrt-Schilder hingen. Hier sehen Sie den Pfosten aus der Zeitung, voriges Jahr vom selben Standort aus aufgenommen, an dem der LT-Fotograf stand:
Unfassbar für mich: Der Kollege fragte unseren Bürgermeister zwar, warum in der Riesen-30er-Zone noch Fußgängerampeln in Betrieb sind, gab sich aber mit der Antwort zufrieden, dies sei okay, da sie nur bei Bedarf gedrückt werden. Das ist auch dann falsch, wenn ein Bürgermeister es sagt. Die StVo kann man Internet nachlesen, das ist an Recherche nicht zuviel verlangt. §45 besagt in Absatz 1c:
„Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken. Sie darf nur Straßen ohne Lichtzeichen geregelte Kreuzungen oder Einmündungen, Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295), Leitlinien (Zeichen 340) und benutzungspflichtige Radwege (Zeichen 237, 240, 241 oder Zeichen 295 in Verbindung mit Zeichen 237) umfassen. An Kreuzungen und Einmündungen innerhalb der Zone muss grundsätzlich die Vorfahrtregel nach § 8 Absatz 1 Satz 1 („rechts vor links“) gelten. Abweichend von Satz 3 bleiben vor dem 1. November 2000 angeordnete Tempo 30-Zonen mit Lichtzeichenanlagen zum Schutz der Fußgänger zulässig.„
- Bei der Kolpingstraße handelte es sich bis vorige Woche um eine „weitere Vorfahrtsstraße“, die mit dem Zeichen 306 versehen war.
- Sie hat noch immer Leitlinien.
- Sie hat noch immer zwei Fußgängerampeln. Das ist nicht zulässig. Die Bestandsschutzklausel gilt nur in 30er-Zonen, die vor dem 1.11.2000 eingerichtet wurden, nicht für neue.
- Es gibt an Einmündungen noch immer Zebrastreifen.
Das Problem ist, dass allein die Existenz dieser Fußgängerübergänge dem Ziel einer jeden 30er-Zone zuwiderläuft, der Verkehrsberuhigung. In 30er Zonen dürfen Fußgänger die Straße überall überqueren, und laut Rechtsprechung müssen Autofahrer entsprechend fahren. Wo es aber Ampeln gibt, erwartet der Autofahrer vom Fußgänger auch, dass der sie benutzt. Drückt der Fußgänger auf den Knopf, sieht er Rot, der Autofahrer Grün, bevor die Ampel umschaltet. Also gibt der Autofahrer Gas, um noch bei Grün rüberzukommen. Genau das wollte der Gesetzgeber nicht. Die psychologische Wirkung von Zebrastreifen ist die gleiche: Da, wo keiner ist, darf ich brettern.
Eine interessante Passage, die sich die Redaktion des LT mal zu Gemüte führen sollte, um von ihrer Weichspülerei zu kritischem Journalismus zurückzufinden, fand ich übrigens noch in der Wikipedia mit Bezug auf die geltenden Vorschriften:
„Die Anordnung von Tempo 30-Zonen soll auf der Grundlage einer flächenhaften Verkehrsplanung der Gemeinde vorgenommen werden, in deren Rahmen zugleich das innerörtliche Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) festgelegt werden soll. Dabei ist ein leistungsfähiges, auch den Bedürfnissen des öffentlichen Personennahverkehrs und des Wirtschaftsverkehrs entsprechendes Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) sicherzustellen. Der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (wie Rettungswesen, Katastrophenschutz, Feuerwehr) sowie der Verkehrssicherheit ist vorrangig Rechnung zu tragen.“ Die Definition eines Vorfahrtsstraßennetzes ist also Voraussetzung zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen.“
Diejenigen, die wie Dagmar Kramer auf einem solchen Netz bestehen, haben Recht. Die B17 alt plus Bayern- und Viktor-Frankl-Straße sind kein leistungsfähiges Netz. Das hätte man übrigens schon bei der Befragung der Bürgermeisterkandidaten in der Lechau-Halle herausfinden können. Warum ist denn der Standort des neuen Feuerwehrhauses ein heikles Thema? Wegen der „Hilfsfrist“ von nur zehn Minuten. Soviel Zeit bleibt den freiwilligen Feuerwehrleuten, um vom Arbeitsplatz oder der Wohnung zum Feuerwehrhaus zu kommen, in die Montur zu springen und zum Einsatzort zu fahren. Auf der Fahrt zum Feuerwehrhaus haben sie kein Blaulicht und kein Martinshorn. Tempo 30 allein, erst recht mit rechts vor links, kann da ein bis zwei wertvolle Minuten kosten.
Insofern ist es unverantwortlich, was hier passiert.
Als einzige Tageszeitung, die hier einen Lokalteil produziert, stehen Sie in der Verantwortung, ihrer Kontrollfunktion nachzukommen. Eine heile Welt zu simulieren und kritische Bürger als Querulanten darzustellen („Und schon wieder gibt es Kritik von einigen Bürgern“), nur um Bürgermeistern nicht weh zu tun, kann nicht Ihre Aufgabe sein. Das ist kein Journalismus, sondern PR.
Sie sind der oder die 7154. Leser/in dieses Beitrags.
Ich werde nie das Landsberger Tagblatt kaufen, denn das Niveau dieser Tageszeitung ist inzwischen so niedrig wie das der Bildzeitung und den Schund braucht man wirklich nicht zu wissen.
Liebe Frau Blobner, ich finde den Vergleich schief. Bild ist so wegen skrupelloser Chefredakteure. Julian Reichelt schert sich nicht um seinen Ruf. Das LT leidet unter falsch verstandener Sparsamkeit des Verlags. Die haben schlichtweg zu wenig Manpower, um ihren Job so gründlich und sorgfältig zu machen, wie Sie und ich uns das wünschen. Ich werde in Kürze darüber schreiben, was mein Besuch in der Redaktion ergeben hat. Kurz gesagt: Das Foul war keine Absicht – etwas, was der BILD nicht passieren könnte. Es könnte sich aber wiederholen, wenn die Verlagsinhaber nicht mehr Geld in die Hand nehmen.
Sehr geehrter Herr Froitzheim,
da muss ich Ihnen leider recht geben. Das LT ist von investigativem Journalismus Lichtjahre entfernt. Deutlich wird dies bei den Kommentaren zur Podiumsdiskussion, wo der Moderator des LT nachher schreibt, „erfreulich war der harmonische Umgang der Kandidaten miteinander“. Das will ich als Kauferinger Wähler nicht sehen. Ich will genaueres Nachfragen nach angeblichen Kompetenzen.
Bei genauerem Nachforschen stellen sich einige Aussagen von Kandidaten/Innen doch etwas anders da. Ab und zu muss die Presse auch den Finger in die Wunde legen. Und Sie können mir glauben: Ich weiß, wovon ich spreche. Betrachtet man die Leserbriefe im LT und im Kreisboten, haben doch einige Bürger noch einigen Informationsbedarf. Diese Fragen werden aber dann in den Podiumsdiskussionen abgewürgt. Kaufering hat einige Probleme zu bewältigen. Dazu braucht es eine Führung, die zu 100 % zu Verfügung steht und die den nötigen Sachverstand für Betriebswirtschaft und Personalführung hat. Und nicht nur Geschmack an der Politik gefunden hat. Oder Kaufering wie eine schwäbische Hausfrau führen will. Eine Mediatorin benötigen wir auch nicht unbedingt. Dies endet in unendlichen Gemeinderatssitzungen. Rückblickend sieht man, was fehlende Kompetenz bewirken kann.
Leider vermisse ich auch von Ihnen hier eine stärkeres Einbringen. 2012 haben Sie ja kein gutes Haar an den damaligen Kandidaten gelassen. Wo sind jetzt Ihre Erfahrungen?