Tempo-30-Zonen bremsen Rettungsdienste aus

Ohne Vorfahrtsstraßen erreicht Kauferings Feuerwehr fast ein Drittel der bewohnten Fläche nicht mehr innerhalb der gesetzlichen 10-Minuten-Frist. Dies war im Rathaus bekannt, als die Vorfahrtsschilder nördlich der Haidenbucherstraße abmontiert wurden.

Wenn ein Notruf eingeht, bleiben der Freiwilligen Feuerwehr genau zehn Minuten Zeit, den Einsatzort zu erreichen – länger darf es nach dem Bayerischen Feuerwehrgesetz nicht dauern. Von diesen 10 Minuten hat der Disponent der Leitstelle 90 Sekunden Zeit für die Alarmierung. Die Feuerwehrleute haben dann fünf Minuten, um alles stehen und liegen zu lassen oder nachts aufzustehen, ins Feuerwehrhaus zu fahren, sich umziehen und die Fahrzeuge besetzen. Die restlichen dreieinhalb Minuten müssen reichen, vom Feuerwehrhaus mit Blaulicht und Martinshorn zum Einsatzort zu kommen.

Natürlich wird kein Kommandant bestraft, wenn seine Leute es aufgrund schlechter Witterung oder der Verkehrslage nicht immer innerhalb dieser so genannten Hilfsfrist schaffen. Die Vorgabe ist jedoch Grundlage der Standortplanung. Die Gebäude der Feuerwehr müssen an Stellen errichtet werden, von denen aus sie in der Regel mit diesen zehn Minuten auskommen. Und natürlich dürfen die Kommunen diese Bestimmung nicht durch unbedachte Beschlüsse konterkarieren.

Zu 100 Prozent war dies in Kaufering schon 2015, also vor Ausweisung der neuen Tempo-30-Zonen, nicht drin. Der so genannte Abdeckungsgrad – das ist der Teil der bebauten Fläche, die innerhalb der Hilfsfrist erreichbar ist – lag laut einem Gutachten damals bei 82,7 Prozent. In einem Sechstel Kauferings war also das Risiko, im Brandfall nicht schnell genug Hilfe zu bekommen, eigentlich zu hoch. In der Siedlung lagen der Naabweg, der Wörnitzweg und ein Teil der Donaustraße außerhalb der 10-Minuten-Zone, im Dorf der Riedhof, große Teile des Auenwegs und der Leitenbergstraße sowie die Straßen Angerleite, Am Glockenberg, Am Hohlweg und Am Weidanger, außerdem der südliche Teil der Leonhardistraße. Allerdings ging es damals vielleicht um ein, zwei Minuten mehr.

Im Dezember 2017, also wenige Wochen vor dem Abmontieren der Vorfahrtsschilder in der Kolpingstraße, Haidenbucherstraße und Albert-Schweizer-Straße, wurde allerdings im Zusammenhang mit dem avisierten Umzug der Feuerwehr ein neues Gutachten erstellt, bei dem die 30er-Zone berücksichtigt wurde. Und siehe da, der Abdeckungsgrad lag bei nur noch 68,9 Prozent. Fast ein Drittel der bebauten Fläche fällt jetzt raus. Fast ein halber Quadratkilometer ist von der Verschlechterung betroffen. Von 3,4 Quadratkilometer sind nur mehr 2,3 Quadratkilometer rechnerisch innerhalb der Hilfsfrist zu erreichen.

Das sind natürlich nur mathematische Kalkulationen, eine Statistik mit Daten aus der Praxis gibt es nicht. So spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle, wie weit für die Freiwilligen, die gerade Bereitschaftsdienst haben, der Weg zum Feuerwehrhaus ist. Ziehen Feuerwehrleute um oder kommen neue hinzu, hat dies Einfluss auf die Ausrückzeit und damit auf den Abdeckungsgrad. Derzeit wohnen dem Vernehmen nach einige Feuerwehrleute in der näheren Umgebung. Das darf aber nicht als gegeben vorausgesetzt werden. Eine Gemeinde kann sich nicht darauf verlassen, dass sich immer genug dafür qualifizierte Menschen im näheren Umkreis des Feuerwehrhauses für diesen nicht ungefährlichen Freiwilligendienst zur Verfügung stellen. Sollte die Feuerwehr einmal auf Personen angewiesen sein, die am Ortsrand wohnen, verschärft sich das Problem. Besser gesagt: Die Gefahr wächst.

Die Informationen, die ich auf Anfrage erhalten habe, zeigen, dass dieses Problem bei der Umsetzung der neuen 30er-Zone bekannt war, aber bewusst ignoriert worden ist. Die Feuerwehr Kaufering ist demnach im Vorfeld des Beschlusses nicht konsultiert worden, hat aber den damaligen Bürgermeister informiert, nachdem dieser in einer öffentlichen Marktgemeinderatssitzung auf die Frage eines Marktgemeinderats „Ändert sich etwas für die Feuerwehr?“ geantwortet hatte, es ändere sich überhaupt nichts, da sie ja Blaulicht und Martinshorn habe.

Dieser laienhaften Einschätzung, an der auch die Warnungen der Feuerwehr-Praktiker nichts zu ändern vermochten, widerspricht Feuerwehr-Kommandant Markus Rietig: „Eine Verzögerung der Ausrückezeiten findet durch die neue 30-Zone auf jeden Fall statt.“ Dies habe nicht zuletzt mit der Tatsache zu tun, dass die Feuerwehrleute die Sonderrechte, die ihnen bei der Anfahrt ins Feuerwehrhaus auch im Privatauto zustünden, mangels Blaulicht und Martinshorn nicht durchsetzen können. Das heißt: Wenn vor ihnen gerade mal kein langsameres Auto fährt, brauchen sie sich zwar nicht an Tempo 30 zu halten. Sie müssen aber an jeder Einmündung dem Rechtsverkehr Vorrang gewähren.

Nach den bisherigen Erfahrungen der Feuerwehrleute, die in 30er-Zonen wohnen, koste dies gut und gerne eine Minute – und losfahren kann die Mannschaft halt erst, wenn sie komplett ist. Die Anfahrt an die Einsatzstelle dauere ebenfalls länger, wenn die Feuerwehrleute nicht sich und andere Verkehrsteilnehmer gefährden wollten. Auch bei eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn müsse sich der Maschinist vergewissern, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen haben. An roten Ampeln und vor allem unübersichtlichen Ecken, von denen es nun sehr viele gibt, müsse er stehen bleiben und sich in die Kreuzung vortasten. Das geht schon los beim Netto-Markt. Die dort von rechts einmündende Florianstraße ist von der Bahnhofstraße aus – auf der die Feuerwehr nun mal bei den meisten Einsätzen in nördlicher Richtung ausrücken muss – nicht einsehbar.

Dass die Feuerwehr an der nächsten Ecke bei der Dr.-Gerbl-Straße jetzt Vorfahrt hat, reißt es laut Rietig in der Praxis nicht heraus. Bei einem Ausrücken in südlicher Richtung – etwa bei einem Unfall auf der B17 neu – macht der Feuerwehr die Iglinger Straße zu schaffen. Bis auf die Hilscher-Kreuzung hatte sie bisher Vorfahrt und konnte ungehindert schnell fahren. Wegen der vielen schwer einsehbaren Einmündungen auf der Nordseite hat die Feuerwehrführung den Maschinisten deshalb notgedrungen eine andere Fahrtroute empfohlen – über die B17 alt und die Viktor-Frankl-Straße. Die Strecke bis zu Einmündung der Iglinger Straße in die Viktor-Frankl-Straße beim westlichen Ortsausgang verlängert sich dadurch von 1,1 auf 1,9 Kilometer.

Viele der Faktoren, die die Feuerwehr ausbremsen, betreffen natürlich auch die Notärzte und Rettungswagen. Auch wenn diese nicht von der Bahnhofstraße aus starten, kommen sie nicht mehr so schnell voran – und sie müssen öfter das Martinshorn aktivieren, was weder im Interesse der Anwohner ist noch in dem der Patienten: Deren Aufregung steigt, wenn sie das Gefühl bekommen, es gehe bei ihnen um Leben und Tod.

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