Junge Eltern sind verunsichert. Wer kleine Kinder hat, kann den Warnungen gar nicht entgehen – nicht etwa Warnungen vor gefährlichen, als „Kinderkrankheiten“ verharmlosten Seuchen wie Masern, sondern Warnungen vor Impfungen. Die selbsternannten Vorkämpfer einer Volksgesundheit ohne Impfstoff schüren Ängste unter dem Deckmäntelchen angeblicher Aufklärung, in ihrem Jargon auch Impformation genannt. Dabei schrecken sie nicht vor nachweislich falschen Behauptungen zurück. Zu den Schlüsselfiguren in der Szene, die zur Verbreitung gefährlichen Unsinns beitragen, gehört der Kauferinger Homöopath Rolf Kron.
Wer am vorletzten Samstag um die Mittagszeit durch die Landsberger Altstadt lief, sah überall orangefarbene Luftballons. Keine Familie konnte den Georg-Hellmair-Platz passieren, ohne dass Aktivisten (m/w/d) in orangefarbenen T-Shirts oder Warnwesten den Kindern einen Ballon schenkten. Offiziell handelte es sich um eine Kundgebung gegen die Impfpflicht, mit der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Masern ausrotten will. Angeblich ging es den Organisatoren um die Entscheidungsfreiheit der Eltern und gegen einen „Zwang“ zum Impfen. Und gegen Wahlfreiheit ist ja eigentlich nichts zu sagen – wenn denn seriös und aufrichtig über Pro und Contra aufgeklärt wird. Aber …
… wer hinhörte (oder sich im Internet ein wenig auf den dazugehörigen Seiten umschaute), merkte freilich bald, dass das nur ein Propagandatrick war, um unvoreingenommene Eltern neugierig zu machen. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Veranstaltung betonharter Impfgegner, die jegliche Schutzimpfung verteufeln und schwunghaften Handel mit obskuren publizistischen Machwerken, Kampagnen-Materialien und Werbemitteln treiben. Wer durch die Fußgängerzone lief, konnte vom Podium einen Mann reden hören, der seinem Publikum riet, sich gegenüber Gesprächspartnern nicht als Impfgegner zu outen, sondern als impfskeptisch oder impfkritisch auszugeben. Es war eine unverhohlene Anleitung zum Framing, zu subversiver Kommunikation – und das in aller Öffentlichkeit.
Von den fast an Sanyassin erinnernden Aktivisten in Landsberg führt ein kurzer Weg zu Leuten, die die Existenz krankheitserregender Viren rundweg leugnen und sterbenskranke Ebola-Patienten in Afrika als Betrunkene verhöhnen (siehe Screenshot), in die Verschwörungstheoretiker-Szene und zu einem früheren NPD-Funktionär aus Berlin.
Aber fangen wir nicht in der Hauptstadt an, sondern in der Nähe Landsberg, hier in Kaufering, und zwar im „Dorf“ Alt-Kaufering. Dort hat ein Arzt seine Praxis, den man sich am besten als das glatte Gegenteil eines „Schulmediziners“ vorstellt: Rolf Kron. Seine Klientel sind keine Kassenpatienten, denn er schwört auf Homöopathie. (Als Journalist alter Schule stehe ich dem Kampfbegriff Schulmedizin sehr kritisch gegenüber, denn Schulen zu besuchen, ist grundsätzlich ein guter Weg, um etwas zu lernen. Wer nach dem Abschluss seine Ausbildung und seine Ausbilder nicht wertschätzt, hat entweder den Lernstoff nicht begriffen oder er ist ein Genie, ein Naturtalent, das die Meister seines Fachs deshalb verachtet, weil er ihnen überlegen ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass alle, die sich von der Schulmedizin distanzieren, sich in der zweiten Kategorie wähnen, obwohl der gesunde Menschenverstand sagt, dass es auch die erste Kategorie gibt, und bestimmt nicht zu knapp.)
Schwarzweißmalerei in Orange
Dass auch Kundgebungs-Impresario Kron zu denen zählt, die alles besser wissen, dokumentiert er in epischer Breite im Internet. Nun ist er aber kein Wissenschaftler, sondern nur ein praktischer Arzt im ländlichen Raum. In seiner Vita und seinem fachlichen Oeuvre finden sich deshalb keine Spuren einer Forschungsleistung, wie sie Robert Koch, Louis Pasteur, Paul Ehrlich oder Emil von Behring erbracht haben. Eine Würdigung von deren Verdiensten um die Ausrottung gefährlicher Infektionskrankheiten wie Pocken und Polio kann man in Krons Veröffentlichungen lange suchen. Worüber man bei dem sendungsbewussten Kauferinger hingegen sehr rasch stolpert, sind Links zu kruden Thesen, die geeignet wären, die Begründer der Immunologie zur Synchronrotation in ihren Gräbern anzutreiben.
Mit wenigen Mausklicks erreicht man ein Sammelsurium an Behauptungen, die erkennbar dem Zweck dienlich sind, Angst und Misstrauen zu schüren: Misstrauen gegenüber (Kinder-) Ärzten, den Impfstoffherstellern, dem Staat. Es ist keine Impfkritik, was da geübt wird, denn das hieße, zu differenzieren, etwa sachlich / fachlich die Nebenwirkungen von Dreifach- oder gar Sechsfach-Impfungen mit denen von Einzeldosen zu vergleichen und sich damit auseinanderzusetzen, in welchem Alter das Immunsystem eines Säuglings soweit ist, mit einem Impfstoff umzugehen. Man könnte auch kritisch diskutieren, welche Vorschriften wohl mehr von Wirtschaftlichkeitserwägungen geprägt sind als von schonendem Umgang mit den Babys. Kritik ist es allerdings nicht, wenn die Schlussfolgerung grundsätzlich lautet: Finger weg vom Impfen, schüttet Euer ungeimpftes Kind lieber mit dem Bade aus. Manchmal kommt Schwarzweißmalerei eben auch in frischem Orange daher.
Polemik? Mitnichten. Wer’s nicht glaubt, werfe einen Blick auf die Website von Levana und die dort angebotenen Links (siehe unten). Wer’s nicht weiß: Levana war in der Mythologie der alten Römer die Schutzpatronin der Neugeborenen. Hier jedoch handelt es sich um einen Internetauftritt von Herrn Kron, der die Leser mittels eines Pluralis Maiestatis vermuten lässt, es gebe außer ihm noch ein Team von Mitstreitern.
Man könnte meinen, einen Verein vor sich zu haben, doch ein solcher existiert weder jetzt noch hat er früher existiert: Ein Levana e.V. oder Levana Landsberg e.V. steht nicht im Vereinsregister, nicht einmal unter „gelöscht“. Und tatsächlich enthält, wie eine Google-Suche belegt, die gesamte Website nirgendwo das Wort „Verein“. Ganz schön clever, einen Verein zu simulieren, ohne zu lügen.
Diensteanbieter (und Datenschutzverantwortlicher) ist denn auch Rolf Kron, niemand sonst:
Mit den genannten „Interessengemeinschaften“ von Eltern ist es das Gleiche: Bundesweit findet das amtliche Registerportal keinen einzigen Verein, der „Impfaufklärung“ im Namen hat. Googlet man nach „Eltern“ und „Impfaufkärung“, stößt man jedoch auf eine Angelika Müller aus Friedberg bei Augsburg, die seit über 20 Jahren Eltern über Dinge „aufklärt“ (pardon, Monsieur Rousseau und Monsieur Voltaire, ich mache mir das Wort „Aufklärung“ nicht zu eigen), die sie selbst nicht verstanden hat: Heuschnupfen sei erst bekannt, seit es Pockenimpfungen gebe. Dies habe ihr ein homöopathischer Arzt gesagt. Welcher, schreibt sie nicht, so dass es irgendein Kollege von Kron gewesen sein kann. Letzterer muss sich aber zumindest vorwerfen lassen, dass er ihr diesen zum Himmel stinkenden Quatsch nicht ausgeredet hat. Und „zum Himmel stinkenden Quatsch“ darf ich das allein schon deshalb nennen, weil ich die lebende Falsifikation der Behauptung bin: Ich wurde niemals gegen Pocken geimpft, leide aber seit meiner Jugend unter Heuschnupfen. Auch der Rest des auf dem Screenshot zu lesenden Geraunes über Allergien zeugt von einer lebhaften Phantasie. Selbstverständlich spart sich Müller jeglichen Hinweis auf die Urheber der „geschichtlichen Forschungen“, die sie nach Hörensagen kolportiert.
Das Märchen vom Wir – von einem konkreten aus mehreren Personen bestehenden Gebilde namens Levana – zieht Kron durch bis zu einem „Copyright“-Hinweis, der schon insofern abstrus ist, als es ein Copyright nur im angelsächsischen Recht gibt, während das Urheberrecht bei uns ganz anders funktioniert als etwa in den USA. Aber selbst dort bedürfte es einer „Legal Entity“, also einer juristischen Person, um die Rechte am Inhalt zu halten, und keines „Figment of the Imagination„.
Potemkinsche Websites
Die Linkliste auf der Levana-Website ist durchaus von beeindruckender Länge. Dahinter verbirgt sich allerdings viel weniger Vielfalt, als man auf den ersten Blick glauben könnte.
Schauen wir uns einfach mal die „Impformationen“ an, auf die uns Herr Kron an erster Stelle verweist: Auch diese Website, eine Art Blog, betreibt er als alleiniger Verantwortlicher. Laut Impressum steht indes eine ganze Arbeitsgruppe aus „mehreren Autorinnen und Autoren“ dahinter, also mindestens je zwei Männern und Frauen. Überprüfen lässt sich die Behauptung nicht: Grundsätzlich sind die Artikel nicht namentlich gezeichnet, sondern mit „Euer AGI-Team“.
Die Impformationen sind unter drei verschiedenen URLs erreichbar. Kron täuscht also eine Vielfalt an einschlägigen Websites vor: Man landet auf identischen Homepages, es scheint sich um Redirects zu handeln. Auch unter den übrigen Links gibt es Redundanzen, weil verschiedene Akteure dieser Szene im Netz mehrgleisig fahren und so ihrerseits eine Breite vortäuschen, die es nicht gibt. Das Blendwerk verrät sich freilich sehr rasch selbst, wenn man sich wirklich durch den Wust klickt. Potemkin lässt grüßen.
Besonders perfide sind die Adressen impfschaden.info und impfschutzverband.de. Ein Verband dieses Namens existiert laut Vereinsregisterauskunft bundesweit nicht. Was es gibt, sind ein Bundesverband Impfschaden, ein Bundesverein Impfgeschädigter und eine Aktion Impfschutz. Zu diesen seriösen Organisationen verlinkt Levana alias Kron jedoch nicht. Es braucht nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass er eine Verwechslung zumindest billigend in Kauf nimmt.
Verräterisch ist auch der Urheberrechtshinweis. Darin ist von DEM Autor DER SeiteN die Rede, nicht etwa von DEN Autoren (oder dem Autor der jeweiligen Seite).
Somit muss sich Rolf Kron jeden Text zurechnen lassen, so auch diesen, in dem er namens der AGI („wir“) es als „selbstverständlich“ ansieht, die Frage nach der Existenz des Masernvirus NICHT beantworten zu können. In dem Beitrag geht es um den Impfgegner Stefan Lanka, der allen Ernstes die Existenz (nicht nur) dieses Virus bestreitet und nur aufgrund juristischer Haarspaltereien darum herum kam, die von ihm ausgelobten 100.000 Euro für den Existenzbeweis blechen zu müssen. „Lanka vertritt die Ansicht, dass keine Viren existieren würden, die Krankheiten verursachen“, schreibt die Wikipedia über den Mann, der seit 2015 Träger des Negativpreises „Das Goldene Brett vorm Kopf“ ist.
Allein die Tatsache, dass sich Rolf Kron nicht klar von Lanka distanziert, sollte eigentlich dazu führen, ihn zur Kategorie der Internet-Trolle zu zählen.
Aber der Vollständigkeit halber sollte man schon noch anschauen, was der Mann sonst noch alles zu bieten hat. In seiner Linkliste folgt seiner eigenen desimpformativen „Arbeitsgruppe“ AGI der „Impfreport“ des Molkereifachmanns und – wie er sogar selbst schon vor laufender Kamera sagte – „selbsternannten“ Fachjournalisten Hans Tolzin, einer überaus schillernden Persönlichkeit, die Impfungen beängstigender findet als Ebola. Tolzin, Weggefährte und Bruder im Geiste von Angelika Müller, gelangte im Netz vor einigen Jahren zu fragwürdigem Ruhm als wahrscheinlich bekanntester Fanboy der „Germanischen Neuen Medizin“ des neurechten Arztes, Betrügers und antisemitischen Verschwörungstheoretikers Ryke Geerd Hamer, der 2017 starb. Tolzin distanzierte sich zwar von Hamers Judenhass, trat aber 2016 der vom Verschwörungstheoretiker und Ex-ARD-Reporter Christoph Hörstel gegründeten Splitterpartei „Deutsche Mitte“ (DM) bei, die ihn prompt zum gesundheitspolitischen Sprecher erklärte.
Selbsternannter Journalist mit Wutbürgermanieren
Von Tolzin, der die Deutsche Mitte im folgenden Jahr nach einem revidierten Parteiausschluss verließ, ist ein denkwürdiger, nicht ganz freiwilliger Fernsehauftritt dokumentiert, der frappierend an den sächsischen Hutbürger erinnert. In dem sehenswerten Video von Spiegel TV ist auch Rolf Kron kurz und unfreundlich zu sehen. Tolzin steht übrigens auch hinter dem Nichtverein DAGIA (Deutsche Arbeitsgemeinschaft für unabhängige Impfaufklärung) und dem Nichtmehrverein AGBUG (Arbeitsgemeinschaft Bürgerrecht und Gesundheit, liquidierter e.V.).
Der nächste Sympathieträger aus Krons Netzwerk heißt Frank Reitemeyer, hat eine NPD-Vergangenheit und scheint ein Faible für Verschwörungstheorien zu haben, in deren Mittelpunkt UFOs stehen. Seine bei Levana Landsberg verlinkte Site mit dem URL „impfen-nein-danke.de“ sieht aus wie Kraut und Rüben. Wer mag, kann den Mann googlen oder lesen, was Psiram Nettes über ihn schreibt.
Das Interessanteste in dem Kuddelmuddel auf seiner Anti-Impf-Website ist die Verbindung zu einer Schweizer Firma namens Libertarian AG mit Sitz in Buchs im Kanton St. Gallen. Dieser Aktiengesellschaft kann man nämlich spenden (!), und man kann bei ihr Anti-Impf-Werbekugelschreiber kaufen. Reitemeyer verlinkt auf dieses Angebot: 500 Kulis kosten nur 199,90 €, und in diesem Preis ist sogar ein Satz Anti-Impf-Aufkleber inbegriffen. Der Onlineshop ist eine Art Fachversand für Impfgegnerbedarf aller Art. Er führt Bücher, Zeitschriften, Videos, Give-Aways, Propagandaflyer, Sticker. „Libertarians“ ist übrigens in den USA ein Synonym für marktradikale Staatsverächter alias „Anarcho-Kapitalisten“ – die Antipoden der „Liberals“.
Nicht gewinnstrebige Edelsteinhändler?
Wer steht hinter der Libertarian AG? Offiziell eine esoterisch angehauchte Buchser Masseurin namens Claudia Schädler. Die Verwaltungsrätin der Zwerg-Aktiengesellschaft ist aber ein unbeschriebenes Blatt; ihre in eine Garage verlegte Praxis für tibetische Klangschalen-Massagen ist laut Website vorläufig geschlossen.
Eine heißere Spur führt – und da schließt sich der Kreis – zu einem guten Bekannten von Rolf Kron. Er heißt Daniel Matthias Trappitsch, schmückt sich mit der selbst erfundenen Berufsbezeichnung „Holistopath“, und gilt als bekanntester Impfgegner der Schweiz. Er führt die Geschäfte des auch in Deutschland und Österreich aktiven „Netzwerks Impfentscheid“ (NIE), das er als Nachfolgeorganisation des Infektionsleugner-Clubs AEGIS („aktives eigenes gesundes Immun-System“) aufgebaut hat. NIE ist so gemeint, wie es klingt: Man soll nie impfen.
Die verstorbene AEGIS-Gründerin Anita Petek-Dimmer, in deren Tradition sich Trappitsch sieht, hatte unter anderem die absurde Behauptung in die Welt gesetzt, die bereits im 18. Jahrhundert beschriebene Poliomyelitis (bekannt als Polio oder „Kinderlähmung“) sei keine Infektionskrankheit, sondern Folge einer Vergiftung durch das erst ein Jahrhundert später eingeführte Insektizid DDT. Gegen Infektionen mit dem unbehandelt tödlichen Tollwut-Virus empfahl sie Zitronensaft und die Konsultation einen homöopathischen Arztes. Dabei ist unmittelbar nach dem Biss noch eine so genannte postexpositionelle Impfung möglich – als einzige Rettung. Anders gesagt: Es konnte tödlich sein, auf Petek-Dimmer zu hören.
2013 hat ihr Epigone Trappitsch zusammen mit einem weiteren Unternehmer die AG-Hülle einer Klotener Spenglerei genutzt, um die „nicht gewinnstrebige“ Firma Libertarian aufzubauen. Geschäftszweck: „Erhalt und Förderung der direkten Demokratie“.
Dieses Unternehmen hat seither einige „Mutationen“ und „Zügeleien“ durchlebt – auf Bundesdeutsch: Satzungsänderungen, Managementwechsel und Sitzverlegungen. So schied Trappitsch schon 2014 als Geschäftsführer aus und überließ den Job einem überaus schillernden Australier namens Dragan Guru Djuragin, der die Libertarian laut Handelsregister ein paar Wochen als Rohstoff-, Edelmetall- und Edelsteinhandel leitete, bevor der Geschäftszweck in Richtung Unternehmensberatung geändert wurde – beides für gewöhnlich gewinnstrebige Aktivitäten. (Es ist durchaus amüsant, sich Djuragins LinkedIn-Profil anzuschauen. Der Mann im weißen Dandy-Smoking mit güldenen Revers scheint Illusionist oder ein großer Schelm zu sein, denn er wirbt für Investments in eine „epochale“ Technik, die Strom „aus dem Nichts“ generiert und somit, Abrakadabra, die Energie- und Klimaprobleme der Menschheit löst. Dass Trappitsch sich mit so jemandem eingelassen hat, sagt einiges über ihn aus.)
Zurück zu Libertarian: 2015 zog die Firma nach Buchs und Schädler übernahm die Geschäftsführung. Seither lautet der Zweck: „Durchführung von Dienstleistungen im Gesundheitsbereich, in eigener Regie oder als Mandatar anderer Organisation und Firmen.“ Die Gesellschaft könne „in politischen Belangen aktiv werden oder politische Bestrebungen unterstützen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften im In- und Ausland errichten, sich an anderen Unternehmen im In- und Ausland beteiligen, im In- und Ausland Grundeigentum, Liegenschaften, Kapitalanlagen und Wertschriften erwerben, belasten, veräussern und verwalten, Finanzierungen für eigene oder fremde Rechnung vornehmen sowie Garantien und Bürgschaften für Tochtergesellschaften und Dritte eingehen“. Es ist ein Universal-Freibrief ganz nach libertärem Geschmack.
Nun ist die Buchser Adresse rein zufällig identisch mit jener, an der auch Krons Bekannter Trappitsch anzutreffen ist – so, als habe er zwar die Geschäftsführung der Libertarian delegiert, sei aber nach wie vor an ihr beteiligt. Darüber verrät das Handelsregister leider nichts. Für die Vermutung, dass er immer die Finger drinbehalten hat, spricht aber mehr als dagegen. Belegt ist, dass er für Libertarian tätig ist.
Schütteltraumata als Impfschäden verharmlost
Die Verbindung zwischen Daniel Trappitsch und Rolf Kron sieht nun so aus, dass beide Herren gemeinsam mit zwei Damen den Vorstand eines weiteren Schweizer Vereins bilden, der mit dem NIE kooperiert. Er nennt sich „Impfnebenwirkung – Elterlicher Sorgerechtsentzug“, kurz IN-ES. Im bayerischen Nittenau unterhält er nach eigenen Angaben eine Geschäftsstelle, was allerdings auch wieder ein fadenscheiniger Trick ist: Im deutschen Vereinsrecht sind solche Konstruktionen nicht vorgesehen und daher auch nicht geregelt. Es gibt also keinen Verein, dem man in Deutschland beitreten und in dem man als Mitglied mitbestimmen könnte. (Was ein Förderer des Vereinszwecks aber machen kann, ist eine Spende zu treuen Händen an die Libertarian AG zu überweisen.)
Schaut man sich an, worum es bei dieser Organisation geht, wird es ausgesprochen unappetitlich und geradezu infam: Bekanntlich darf man schreiende Babys nicht schütteln, damit sie Ruhe geben. Aufgrund der noch schwachen Nackenmuskulatur wird beim Schütteln der Kopf hin- und hergeschleudert; es kommt zum sogenannten Schütteltrauma, das oft tödlich verläuft oder bleibende Schäden hinterlässt. Überlebt das Baby die Tortur, gehen Gerichte gerne auf Nummer sicher und entziehen den überforderten und gewalttätigen Eltern erst einmal das Sorgerecht. Der Gründungsmythos, auf den IN-ES aufgebaut ist, unterstellt nun aber, dass Ärzte häufig fälschlicherweise ein solches Trauma diagnostizierten, während es sich in Wirklichkeit um Impfschäden handle, die sie vertuschen wollten. Diese gewagte Hypothese stammt von einer IN-ES-Mitbegründerin, die als Sozialpädagogin arbeitet und Vätern geschädigter Kinder glaubt, sie hätten ihre Babys nicht geschüttelt.
So sympathisch es auch sein mag, dass Menschen die Unschuldsvermutung als Pfeiler unseres Rechtsstaats hochhalten, so abstoßend ist es, im Gegenzug einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht zu stellen – nämlich den der Ärzte, sprich: der Kinderärzte und Rechtsmediziner. Die nicht tragfähige Story vom angeblichen Impfschaden genügte dem Anti-Impf-Aktivisten Michael Leitner, einen Film mit dem reißerischen Titel „Fehldiagnose Schütteltrauma? Impfschäden systematisch vertuscht!“ zu drehen. Dieser wird als DVD im Online-Shop der Libertarian AG vertrieben. Das Coverfoto spricht Bände: Es zeigt eine an den Fäden eines Marionettenspielers hängende Ärztin mit Spritze in der Hand und zugepflastertem Mund. Das Bild ist ehrverletzend, hetzerisch, rufmörderisch – und charakteristisch für den Stil der Verschwörungstheoretikerszene.
Wie es aussieht, ist diesen Leuten jedes Mittel recht, um ihr Geschäftsmodell „Impfkritik“ durchzuziehen. Kein Agitprop-Trick ist offenbar zu plump, um einen ganzen Berufsstand zu verleumden, eine große Gefahr für kleine Kinder systematisch herunterzuspielen und den Tätern zu zeigen, wie sie versuchen können, sich herauszureden.
Neben der Nummer mit IN-ES wirkt es glatt wie eine Petitesse, dass sowohl Kron als auch Trappitsch vor ein paar Jahren ins Geschäft mit der Angst vor ungesundem Trinkwasser eingestiegen ist. Unter der Marke „Swiss Water Systems“ wurde Libertarian Vertriebspartner der Karlsruher Firma Wasserweik. Um teure Filteranlagen zu verkaufen, schürte das Unternehmen (das in Deutschland inzwischen unter der Marke Truu auftritt und für seine Tupperparty-ähnlichen Treffen bekannt ist) die Furcht besorgter Bürger vor Schadstoffen aus dem Wasserhahn, wobei es sich eines vom Firmenchef Timo Krause geführten Vereins namens Wassertankstelle e.V. bediente. Während die normalen Kunden des Wasserweikschen Strukturvertriebs „nur“ eine Tankstelle betrieben, die sie stolz ihren Freunden und Verwandten vorführten, stand Kron mit einer „Geschäftsstelle“ in der Liste der Wassertankstellen. Die Website des Tankstellenvereins war Mitte Oktober außer Betrieb.
Muss man sich wirklich um die Qualität des Trinkwassers Sorgen machen? Hier in Kaufering jedenfalls nicht. Es enthält viel Kalk, und den filtern die Wasserweik-Anlagen gut heraus. Aber die sind nicht billig. Verbraucherschützer raten daher immer wieder vom Kauf derartiger Systeme ab – die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein nennt Wasserweik explizit als Negativbeispiel wegen „Vermarktung mit fragwürdigen Glaubenssätzen“.
Deshalb, liebe junge Eltern im Kreis Landsberg und anderswo: Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen! Bevor Ihr Eurem Arzt oder dem Gesundheitsminister misstraut, überlegt Euch dreimal, was dafür spricht, den Leuten in den orangefarbenen Shirts zu vertrauen.
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