E-Auto kommt? Wirklich?

Im Wirtschafts-Leitartikel der Wochenend-Ausgabe behauptet meine Leib-und-Magen-Qualitätszeitung apodiktisch: "Das E-Auto kommt".

Soso. Begründung? Der US-Großinvestor Warren Buffett, bekannt als klügster und ehrenwertester Langfrist-Spekulant der Welt, hat sich auf seine alten Tage bei der chinesischen Akku- und Automanufaktur "Build Your Dreams" alias BYD eingekauft (stand schon vor einem Jahr auf dem Fortune-Titel). Daimler arbeitet inzwischen mit dem Laden zusammen, VW auch. Tenor des Kommentars: Jahrelang hat die deutsche Autoindustrie geschlafen, jetzt rennt sie los und den schlitzäugigen Schlitzohren Asiaten hinterher, die mal wieder cleverer sind als wir.

Könnte es nicht sein, dass es sich bei der neuen Liebe der Stuttgarter und Wolfsburger zum E-Auto vor allem um PR-Projekte handelt? Weil Medien, Politiker, Bürger hören wollen, dass man was tut in Deutschland? So sieht es aus.

Nix gegen Buffett. Der kann kaum etwas falsch machen: Egal wie sich der Elektroautomarkt entwickelt, für einen großen Batteriehersteller langt es allemal für eine Wachstumsstory, wenn überhaupt in halbwegs nennenswertem Umfang Stromer auf die Straßen kommen. Man muss sich nur mal vorstellen, wie viele Lithium-Akkus nötig sind, um ein Kraftfahrzeug zu bewegen. Im Tesla Roadster, auch Lotus e-Liese genannt, stecken 6831 Notebook-Batterien.

Der wahre Bedarf bei einem Alltagsauto wäre noch viel größer. Mit einem frisch aufgeladenen Tesla schafft man es kaum von München nach Frankfurt. Ein schwerer Familienkombi, ob E-Passat oder E-E-Klasse, bräuchte eine noch viel fettere Kraftquelle, um nicht an irgendeinem Hügel auf der A7 schlapp zu machen.

Wenn die klugen Köpfe von Meridian Research sich nicht total verrechnet haben, reichen die heute bekannten Lithium-Weltreserven nicht aus, um alle existierenden Benziner durch Akkuautos mit der mittelprächtigen Ladekapazität des Roadsters zu ersetzen. Selbst wenn man das bodenständigere Konzept von Shai Agassis Betterplace zugrundelegt, dessen brave Mittelklasse-Renaults nach Werksangaben alle 160 Kilometer (also realistisch alle 120 Kilometer, weil E-Autos keinen Ersatzkanister haben) einen Boxenstop zum Batteriewechsel brauchen, dann reichen die Lagerstätten gerade mal so eben, um für jedes Auto einen Ersatzakku in der Tankstelle bereitzuhalten. (Wobei zu hoffen, aber nicht zu erwarten ist, dass sich der Ansturm der Ladewilligen über den Tag verteilt und nicht auf die Rush-hours konzentriert.)

Rein physikalisch könnte das E-Auto also unter folgenden (rein hypothetischen) Voraussetzungen kommen:

– Wir (und die Amerikaner) verabschieden uns von dem Gedanken, je wieder in einem Rutsch 500 Kilometer ohne Tankstopp fahren zu können. Dass Agassi in Kurzstreckenländern wie Dänemark und Israel anfängt, hat seinen Grund.

– Wir gewöhnen uns das Rasen ab.

– Wir verzichten auf stark motorisierte Autos.

– Wir finden uns damit ab, dass wir durch das Abrechnungssystem der Auflade- oder Batterietausch-Stationen Bewegungsprofile hinterlassen, die unsere heutige Empörung über mögliche Pkw-Maut-Erfassungssysteme niedlich wirken lassen werden.

– Wir finden uns damit ab, dass das Lithium in Naturschutzgebieten in den Anden abgebaut wird.

– Wir finden uns mit langen Lieferzeiten für unsere E-Autos ab, weil die natürlich-solare Verdunstungstrocknung in den Anden-Salzseen mit den größten Lithium-Vorkommen eine ziemlich langwierige Angelegenheit ist.

– Wir akzeptieren, dass die Versicherungskosten in die Höhe schießen, weil selbst nach einem kleinen Blechschaden die teuren Akkus vorsichtshalber ersetzt werden müssen. Ein kleiner Riss in einem Akku, quasi eine innere Verletzung, könnte nämlich zu einem gefährlichen Brand führen. Li-Ion-Akkus sind technisch bedingt nur so lange sicher, wie die Trennwände zwischen ihren Kammern unbeschädigt sind. Von detonierenden Handys und abrauchenden Notebooks haben Sie sicher schon gelesen.

– Die Chinesen, Inder, Brasilianer und Russen ignorieren hartnäckig alle Prognosen, denen zufolge sie uns in Sachen motorisierter Individualverkehr nacheifern, und begnügen sich mit Rikschas oder Fahrrädern.

Die Physik und der Zwang zu einer neuen Bescheidenheit sind freilich noch die kleineren Hemmnisse. Das große ist die Ökonomie: Wenn ein Rohstoff so knapp ist, dass die Weltvorräte nur mit Ach und Krach den Bedarf decken, blüht die Spekulation an den Börsen. Dann mag die Batterienproduktion dank Massenfertigung billiger werden, aber die Kosten fürs Lithium werden diese Einsparungen mindestens auffressen. Dass E-Autos langfristig so preisgünstig werden wie die heutigen Benzinkutschen, die ja nicht wirklich billig sind, dürfte eine fromme Illusion sein.

A propos Benzinkutschen:

Der Zeitungskommentator fragt sich in unfreiwilliger Komik, ob sich Architekten von Autokonzernzentralen künftig nicht mehr von Vierzylindermotoren inspirieren lassen wie einst bei BMW, sondern "am Design von Akkus und Batterien orientieren". Wer da kurz an Knopf- und Mignonzellen denkt, liegt natürlich falsch. Die sinnvollste, weil fertigungstechnisch unkomplizierteste Form für Li-Ion-Akkus ist nämlich exakt die, in der die meisten Konzernzentralen erbaut sind: der stinklangweilige Quader.

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