Wie Bill Gates sich verspekulierte

Dieser Text über die absehbare kaufmännische und technische Kurzsicht euphorischer Manager aus der Telekommunikationsindustrie erschien 1997 in der August-Ausgabe des Magazins connect!

 

Kommunikationskrieg im Weltall

Handy und Internet heizen das Satelliten-Fieber bei Microsoft & Co. an. Für 50 Milliarden Dollar wollen acht Konsortien über 500 Satelliten in den Orbit schießen. Um die besten Plätze im Weltall und bei den Finanziers ist ein regelrechter Guerillakrieg entbrannt.

 

Iridium braucht Geld. Enorm viel Geld: Fünf Milliarden Dollar (8,5 Milliarden Mark) wird der Aufbau des ersten weltumspannenden Handy-Netzes verschlingen. Allein die 66 Fernmeldesatelliten, die das Unternehmen aus Arizona dazu bis Ende 1998 in den Orbit schießen will, kosten schon mehr als 1,3 Milliarden Dollar. Dazu kommen die Raketen, die Bodenstationen, die Werbung. Deshalb geht Iridium an die Börse; die Plazierung soll 186 Millionen Dollar frisches Eigenkapital in die Kasse der kreditbeladenen Firma bringen. Teledesic braucht noch viel mehr Geld als Iridium. Mindestens neun Milliarden Dollar veranschlagt die gemeinsame Company von Bill Gates (Microsoft) und dem Handypionier Craig McCaw für ihr geplantes Satellitennetz »Internet in the Sky«. Das Risiko wollen die beiden MultimiIIiardäre aus Seattle Dritten überlassen – sie selbst sind nur mit ein paar Milliönchen aus der Portokasse dabei. Bisher größter Investor ist der Jumbo-Konzern Boeing, der die 288 fliegenden Vermittlungsstellen in die Exosphäre schaffen soll. Weitere Financiers sind herzlich willkommen.

Nicht nur in Seattle: Wer sein Vermögen auf hochfliegende Telecom-Pläne verwetten will, hat freie Auswahl. Das Satellitenfieber glüht. An die 50 Milliarden Dollar, addierte kürzlich die Business Week, benötigen aufstrebende Weltraum-Fernmelder für die Umsetzung ihrer zum Teil verwegenen Pläne. Dic technischen Konzepte von IC0 und Odyssey, Ellipso und Orbcomm, Globalstar und Cyberstar, Iridium und Teledesic sind so unterschiedlich wie die Zielgrupen. Einig sind sich die Newcomer nur darin, dass die Zukunft der Telekommunikation nicht am Boden stattfindet, sondern irgendwo zwischen 700 und 36 000 Kilometer hoch über unseren Köpfen.

Bei flüchtiger Betrachtung erscheint diese Zukunft fast zu schön, um wahr zu sein. Glaubt man der Propaganda der Betreiber, so können bald

– chinesische Dorfbewohner von ihrer solarbetriebenen  Satfon-Zelle aus den Arzt rufen,

– verunglückte Alpinisten vom Rand des Abgrunds aus die Bergwacht anfunken und sich punktgenau orten lassen,

– Spediteure ständigen Kontakt zu ihren Truckern halten,

– Kapitäne preiswert mit ihren Familien daheim plaudern,

– Krisenreporter Berichte in die Redaktionen mailen,
– Telearbeiter ihren Arbeitsplatz in der Wildnis der Rocky Mountains einrichten.

Die euphorischen Szenarien der Möchtegern-Betreiber haben nur einen Haken: Die 50 Milliarden Dollar müssten in sehr kurzer Zeit amortisiert werden. Den ersten Satelliten geht nach fünf Jahren die Energie aus, nach zehn Jahren muss das Gros des orbitalen Fuhrparks ersetzt sein. Die Investoren müsssen also bereits in der Startphase traumhafte Umsätze schreiben – ansonsten stehen die Gewinne Erträge in keiner Relation zu den Kosten.

Der Blick in Marktforschungsdaten hilft in dieser Situation kaum weiter. Es ist zwar kein Problem, Studien zu finden, die den Satfon-Konzernen für Anfang bis Mitte der nächsten Dekade Jahresumsätze von zwölf oder gar 15 Milliarden Dollar vorhersagen. Doch Stuart Lipoff, Direktor bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little in Boston, gibt darauf nicht viel. »Es gibt keine verlässlichen Zahlen«, gab er dem Wall Street Journal zu Protokoll, »wieviele internationale Geschäftsleute ein Sat-Handy brauchen.« Einer der Gründe dieser  Unsicherheit ist der Siegeszug des GSM-Standards: In den meisten Wirtschaftsmetropolen reicht das D-Netz-Handy völlig aus. Selbst in den USA sind erste GSM-Netze im Aufbau, und künftige Dual-Mode-Handys – mit denen sich zwei verschiedene Netze benutzen lassen – funktionieren in Europa so gut wie in Amerika. Für die Straßenschluchten von Manhattan würden reine Orbital-Handys ohnehin nicht taugen – sie brauchen eine direkte Sichtverbindung zum Satelliten. Sicherheitshalber gehört daher bei den künftigen Weltraumtelefonen das zweite Empfangsteil für GSM oder den US-Standard AMPS zur Serienausstattung.

Wie krass die Einschätzungen der Nachfrage auseinandergehen, zeigt der Blick in die Kalkulationen der Industrie. So rechnete Odyssey 1996 vor, dass ein mit dem D-Netz vergleichbarer Minutenpreis von unter einem Dollar möglich sei, wenn sich acht Millionen Kunden fänden.

Iridium hingegen orientiert sich lieber an den Schätzungen des Londoner Instituts Ovum. Die vorsichtigen Briten halten bis zum Jahr 2002 insgesamt nur acht Millionen Satelliten-Telefonierer für rea- listisch, davon gerade einmal 1,3 Millionen in Europa. Deshalb positioniert sich Iridium als Premium-Dienst (siehe »Zur Sache«) und hofft Tarife zu erzielen, die näher am teuren Inmarsat, dem Nachrichtenübertragungssystem für die internationale Handelsschiffahrt, liegen, als an GSM: drei Dollar die Minute.

Ungeklärt ist auch noch die Frage, ob die Handapparate subventioniert werden sollen: Großserien wird es so schnell nicht geben, weil zu jedem Satellitensystem spe­zielle Telefone entwickelt werden müsssen – mit der Folge, dass Motorola die ersten Iridium-Phones kaum unter 4000 Mark auf den Markt bringen wird. Der Preis dürfte jedoch nicht einmal für ein High-Tech-Kleinod durchzusetzen sein, das mit weniger als einem Watt Sendeleistung 780 Kilometer weit in die Höhe funkt.

Die Furcht der Kapi­talgeber, daß statt freundlicher Renditen ein mörderischer Preiskrieg bevorsteht, bekam Iridium bereits zu spüren: Im Herbst 1995 schei­terte der Versuch des Branchenpioniers, über Junk-bonds (Risiko-Schuld­ver­schreibungen) 300 Millio­nen Dollar zu beschaffen, weil die Inter­es­senten eine Garantieverzin­sung von 25 Prozent sowie eine Be­teiligung an der Firma forderten. Auch Globalstar mußte einen Rückzieher machen. Erst in letzter Zeit sprudeln die Geldquellen wieder kräftiger.

Während Satelliten- und Raketenhersteller einen Boom erleben, liefern sich die Betreiberkonsortien inzwischen einen regelrechten Guerillakrieg. Offen streuen sie Zweifel an der Technik der Rivalen. Parallel dazu schließen sie Exklusivverträge mit Staaten, in denen weite Landstriche bis heute völlig von der elektronischen Kommunikation abgeschnitten sind: Globalstar sicherte sich durch einen Pakt mit der Moskauer Rostelecom den russischen Markt, Odyssey war in China schneller.

Der Londoner Newcomer ICO, ein Ableger der multinationalen Ex-Behörde Inmarsat, muß sich sogar eines unerwarteten Tiefschlags erwehren, den ihm der US-Rivale TRW zugefügt hat: Die Amerikaner wedeln mit Patenten, die sie in Washington und in München auf ihre Odyssey-Orbits erhalten haben. Der gemeine Trick mit den Exklusivrechten an Erdumlaufbahnen könnte dem Nachzügler ICO, an dem die Telekom-Tochter T-Mobilnet beteiligt ist, zumindest den Zeitplan verderben.

Einen Kampf gegen den Kalender führt auch Iridium. Ursprünglich hätte das Netz aus 66 miteinander verbundenen, tieffliegenden Satelliten (ein Abfallprodukt des »Star Wars«-Rüstungsprogramms Strategic Defense Initiative/SDI) schon 1996 in Betrieb gehen sollen. Jetzt hoffen die Großaktionäre Motorola, Otelo und Sprint, daß es Ende 1998 so weit ist.

Den Cheftechniker von Iridium, Raymond Leopold, berühren solche Banalitäten nicht mehr. Aus Begeisterung über die eigene Leistung schwebt er längst in höheren Sphären. »Für jeman­den, der an Gott glaubt«, lautet sein in der Branche milde belächeltes Kredo, »ist Iri­dium Gott, der sich durch uns of­fenbart.«

Ulf J. Froitzheim

Zur Sache

„Wir bewegen uns in der Marktnische“

connect sprach mit Thomas Lö­wenthal, Geschäftsführer der Düs­seldorfer Otelo-Tochter Iridium Services Deutschland GmbH, über die Zielgruppen des satellitenge­stützten Mobilfunks.

connect: D-Netz-Handies funktionieren auf allen Kontinenten, sogar Roaming mit Nicht-GSM-Systemen ist ge­plant. Wer braucht da eigentlich noch Iridium?

Lö­wenthal: Wir wollen den normalen Mobilfunk nicht ersetzen, sondern ergänzen. Terrestrische Funksysteme werden niemals mehr als sieben Prozent der Erde abdecken. Viele Menschen müssen darüber hinaus erreichbar sein.

connect: Geschäftsreisende in Saudi-Arabien und Trucker auf dem Weg nach Kasachstan?

Lö­wenthal: Die gehören ebenso zu unserer Zielgruppe wie Reporter. Oder Be­satzungen von Erdölplattformen und Offiziere auf Schiffen…

connect: …die heute via Inmarsat miteinan­der reden?

Lö­wenthal: …die heute gar nicht telefonieren, jedenfalls keine Privatgespräche führen. Unsere Vision ist, daß künf­tig jeder Kapitän sein Iridium-Han­dy hat. Wenn er Landurlaub hat, telefoniert er damit im lokalen GSM-Netz, auf hoher See erreicht er seine Familie über unsere Satelli­ten.

connect: Ein teures Vergnügen: Diese Dual-Mode-Handys sollen 5000 Mark ko­sten, jede Minute fünf Mark.

Lö­wenthal: Unsere Preise stehen noch nicht fest. Richtig ist, daß wir Iridium als Premium-Dienst vermarkten wer­den. Wir erheben nicht den An­spruch, jeden Menschen, der heute mit Handy telefoniert, in Zukunft mit Satellitentelefonie glücklich zu machen. Wir bewegen uns in der Nische.

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