Die Spinne im Web

T-ONLINE. Mit einem Geflecht von Allianzen will die Telekom-Tochter die Marktführerschaft zementieren. Bezahlte Inhalte sollen das Unternehmen jetzt endlich profitabel machen.

Von »Deutschlands heißester Adresse« will Thomas Holtrop lieber nichts wissen. Seltsam ungehalten reagiert der Boss von Europas größtem Internet-Provider auf die gut gemeinte Warnung vor einer Sexfalle, die nur zwei Mausschritte hinter seinem WebPortal auf gutgläubige Surfer wartet: Ein ziemlich schamloses Pop-up-Luder lockt da zum Besuch im Gratis-Puff.de. In dem virtuellen Etablissement können leichtsinnige Gäste ihre Telefonrechnung in ungeahnte Höhen treiben.

Der Betreiber der halbseidenen Website macht im Prinzip nichts anderes als das, was T-Online-Vorstandschef Holtrop (siehe auch Porträt: BIZZ 07/2001) selbst seit Monaten plant: Er verdient sein Geld mit Paid Content. So nennt die Internet-Wirtschaft kostenpflichtige Inhalte, die derzeit als Wundermittel gegen den Dot-com-Blues hoch im Kurs stehen. Nur will der Chef-Onliner der Telekom dieses Ziel erreichen, ohne dass die Leute T-Online für einen Betreiber digitaler Peepshows halten.

Die Marke, sagt er, stehe für „Qualität und Seriosität“. Und Qualität hat ihren Preis: Deshalb soll der vernetzte Mensch nicht bloß Miete für den Web-Zugang zahlen, sondern auch einen Obolus für Texte und Bilder, Videos und Musikstücke, Spiele und Software-Programme, die er aus dem Web auf seinen PC lädt. »Mit der Kostenloskultur im Internet«, fordert Holtrop, »muss endlich Schluss sein.«

Wenn es überhaupt ein Anbieter schaffe, den Deutschen zusätzliches Geld aus der Tasche zu ziehen, lässt der 47-jährige Ex-Banker durchblicken, dann T-Online. Niemand in der Branche, der ihm widersprechen würde: Die Telekom-Tochter arbeitet zwar chronisch defizitär, sitzt aber im Internet wie die Spinne im Netz. Zehn Millionen Web-Surfer, davon 8,5 Millionen im Inland, haben das Unternehmen aus dem hessischen Weiterstadt zum Marktführer in Europa gemacht, weltweit zur Nummer zwei. Der gut dreimal so große Rivale AOL, in den USA absolut dominant, bekommt im Kampf gegen das gemeinsam werbende Duo Telekom/T-Online kein Bein an die Erde. Trotz Boris Beckers »Ich bin drin« gewann die Hamburger Dependance zum Ärger ihres Chefs Uwe Heddendorp (»Mit angeblichen Kundenzahlen von T-Online wäre ich vorsichtig«) seit ihrem Start im Jahr 1995 gerade einmal knapp drei Millionen Abonnenten – während die Teilnehmerzahl von T-Online um mehr als sieben Millionen wuchs.

Die Stärken und Schwächen von T-Online

+ Kein Konkurrent erreicht in Deutschland ähnlich viele Surfer.
+ Das Inkasso von Kleinbeträgen via Telefonrechnung schließt eine Marktlücke.
+ Weil T-Online und Telekom die Breitband-Technik T-DSL gemeinsam vermarkten, beißen sich die Rivalen die Zähne aus: Kleinere Anbieter wie QSC kommen nicht auf die kritische Masse an Kunden
– Die Internationalisierung hakt: Frankreich, Spanien und Portugal bringen Verluste, selbst mit Österreich und der Schweiz ergeben sich nur geringe Synergien.
– Die neuen Portale wirken überladen. Die Seiten von Web.de und AOL sind übersichtlicher.
– Der meiste Content wird zugeliefert, darum schwankt die Qualität und Aktualität der Inhalte.

Holtrops generalstabsmäßig geplante Kulturrevolution soll nun dafür sorgen, dass endlich auch die Kasse stimmt – vor allem durch eine Vielzahl von Bündnissen mit Medienunternehmen, die die exklusiven, ergo wertvollen Inhalte zuliefern sollen. Bisher stammen 85 Prozent des Umsatzes, der voriges Jahr etwas über einer Milliarde Euro lag, aus dem beinharten Access-Geschäft, sprich: den Gebühren für die Online-Zeit der Teilnehmer. Die reichten im dritten Quartal 2001 gerade einmal für eine schwarze Null. So erzielte T-Online in Deutschland einen Kleinstgewinn von 900.000 Euro vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Das Gesamtergebnis inclusive Auslandsgeschäft und Beteiligungen ist aber noch negativ. Deshalb soll der Umsatzanteil des als lukrativer geltenden Portalgeschäfts – Werbeeinnahmen, Provisionen aus dem Online-Shopping und Paid-Content – bis 2004 auf 30 Prozent steigen.

Damit die Abonnenten die im Browser voreingestellte T-Online-Homepage künftig nicht mehr so schnell wegklicken, läuft derzeit der aufwändigste Relaunch in der 20-jährigen Geschichte jenes Dienstes, der 1982 unter dem Namen Bildschirmtext die Ära der Neuen Medien eröffnet hatte. Es ist eine Reise zurück in die Zukunft: Technisch ist alles neu, mit Breitbandtechnik und Video auf Abruf. Nur das Geschäftsmodell stammt aus der Zeit, als der unlängst aus dem Vorstand ausgeschiedene Eric Danke als Beamter im Postministerium das Projekt Bildschirmtext leitete.

Damals sollte der vernetzte Mensch am Fernseher einkaufen, sich informieren und amüsieren – über Inhalte von verschiedensten Zulieferern mit Inkasso per Telefonrechnung. Bei ihrem Ideen-Recycling scheren sich Holtrop und sein fürs Marketing zuständiger Adlatus Burkhard Graßmann nicht um die in den späten 90ern geprägten Glaubenssätze der Branche. Etwa um das Mantra, es quelle so viel Content für lau aus den Suchmaschinen, dass kein Mensch freiwillig zahlen werde. Oder um das Dogma, verkäuflich seien nur Wirtschaftsinfos und die bunte Palette zwischen Erotik und Pornografie.

Das Unternehmen

Die T-Online International AG ist mit 1,1 Milliarden Euro Umsatz die dünnste Konzernsäule der Telekom. Ihre Wurzeln hat sie im Bildschirmtext-Dienst der Bundespost. Mit der Mutter kooperiert sie eng in Werbung und Marketing. Die Töchter in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Spanien und Portugal tragen nur neun Prozent zum Umsatz bei und sind allesamt defizitär. Für 2001 erwarten Analysten einen Verlust (Ebitda) von 200 Millionen Euro. T-Online beschäftigt rund 2700 Mit arbeiter, davon zwei Drittel in Deutschland.

Die rund 100 neuen Angebote reichen vom E-Mail-Profi-Account mit großem Speicher und Virenschutz bis zum Online-Spiel, vom Sport-Highlight bis zum Live-Konzert. Parallel zum Aufbau des Paid-Content-Bereichs haben die Hessen die Gratis-Rubriken ihres Portals aufgefrischt – in einer Optik, die nicht auf ungeteilten Beifall stieß. Während Holtrops Mannen noch am Relaunch bastelten, startete Rivale AOL sein eigenes DSL-Portal AOL Plus. »Diese Top-Inhalte bieten wir unseren Mitgliedern ohne zusätzliche Kosten«, wirbt AOLs deutscher Statthalter Uwe Heddendorp.

Mangel an Content-Lieferanten hat der Platzhirsch trotz dieser Konkurrenz nicht. Binnen weniger Monate meldete das Unternehmen Allianzen mit dem ZDF, Springers »Bild« und »Auto Motor Sport«, mit den Touristik-Riesen TUI und Thomas Cook, mit Mercedes-Benz und der Ergo-Versicherungsgruppe.

Die Kunden

Über keinen Provider gehen in Europa mehr Menschen ins Netz: T-Online hat zehn Millionen Kunden. Mitgezählt sind allerdings viele Gelegenheits-Surfer. Denn bei bestimmten Tarifpaketen der Telekom ist der Vertrag bei der Tochter inklusive. Der Umsatz pro Kunde ist daher mit acht Euro pro Monat bescheiden (in den USA kostet ein AOL-Abo 23,90 Dollar). Das Info-Portal von T-Online ist die meistbesuchte deutsche Site – deutlich vor den etwa gleich starken Rivalen MSN, Web.de und AOL.

Inzwischen stehen Produzenten von Texten, Bildern und Videos Schlange. 330 Angebote zählte Marketing-Vorstand Burkhard Graßmann Mitte Dezember. »Content ist nicht mehr King«, sagt er, »wir haben eher das Problem, aus der Fülle die richtigen Partner auszuwählen.« Waren exklusive Inhalte auf dem Gipfel der Internet-Euphorie vor zwei Jahren nur gegen Höchstpreise zu bekommen, sind Anbieter heute froh, wenn ein großes Portal ihnen die Infoware auf Provisionsbasis abnimmt.

Hinter den Kulissen läuft die Marketing-Maschine schon auf Hochtouren. Für den Januar steht der Soft Launch im Terminkalender der Telekom-Tochter: Ohne lautes Werbegetöse gehen diverse Bezahlangebote online. Zur Cebit im März soll die Probierphase beendet sein und die offensive Vermarktung beginnen. Dabei dienen – ähnlich wie im besagten virtuellen Bordell – Gratisangebote als Köder, um die Gäste zum Anklicken der renditeträchtigen Links zu animieren.

Die T-Online-Manager tun alles, um ihren Kunden das Geldausgeben leicht zu machen. Wer sich einmal registriert hat, kann fortan auf diesem PC jeweils mit einem schnellen Mausklick den angezeigten Preis begleichen. Um die Hemmschwelle niedrig zu halten, setzen sie aufs Pay-per-Click-Prinzip: Der Nutzer bezahlt nur, was er abruft. Eine Grundgebühr gibt es ebenso wenig wie einen Mindestumsatz oder eine Content-Flatrate.

Der durchschnittliche T-Online-Kunde, der derzeit knapp acht Euro im Monat für seine Verbindungen ausgibt, muss trotz dieser Aktivitäten nicht fürchten, demnächst nur noch gegen heftige Online-Maut durchs Web surfen zu können. Graßmann und sein Chef sind schon zufrieden, wenn sie 80er-Jahre-Preise durchsetzen können. Bei 50 Cent beginnt die Preisliste, mehr als fünf Euro wird auch der teuerste Content in DSL-Breitbandversion nicht kosten. Zum Vergleich: Beim spartanischen Urahnen lag die Höchstgebühr bei 9,99 Mark.

1969

Die US-Regierung gründet den Internet-Vorläufer Arpanet. In Cambridge/Massachusetts nutzt Ray Tomlinson das @-Zeichen für die erste E-Mail der Welt.

1977

Auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin zeigt die Bundespost einen Prototypen von Bildschirmtext. Basis: Viewdata aus England.

1983

Nach Abschluss der Feldversuche startet BTX – parallel zum MiniteI-System in Frankreich. Die Franzosen sind begeistert. Sie nutzen die Geräte als Telefonbuchersatz.

1984 -1991

BTX entwickelt sich nur zäh. Zum Jahresende 1987 sind erst 100.000 Deutsche online – obwohl das elektronische Schmucktelegramm echte E·Mail-Avantgarde ist.

1989 -1992

In Genf am Cern entwickelt Tim Berners-Lee das Konzept des World-Wide-Web. Die Fachwelt jubelt. Die Post gibt BTX als Datex-J eine zweite Chance.

1993

Der Mosaic-Browser erleichtert die Bedienung des WWW. Marc Andreessen gründet Netscape.

1994

Mit dem Web-Katalog Yahoo strukturieren die Studenten Jerry Yang und David Filo das beginnende Chaos. Burda investiert in den BTX-Herausforderer Europe Online.

1995

Datex-J wird besser ans Internet angebunden. Die Agentur 1&1 macht den Namen T-Online einem Massenpublikum bekannt. Neu: MSN und AOL Bertelsmann.

1997

Alles redet vom Web, niemand mehr von T-Online Classic. Der letzte Schrei heißt Streaming Video. Doch für Bewegtbilder sind die 33-KB-Modems viel zu träge.

2000

Internet-Werte boomen an der Börse. Die Emission der T-Online-Aktie markiert den Anfang einer Baisse.

2001

Der für den Börsengang entworfene Avatar Robert T. Online wird als Breitband-Werbeträger recycelt. Der neue Chef Thomas Holtrop holt Partner wie Springer an Bord.

2002

Das Streaming kann beginnen: Mit dem Breitband-Portal T-Vision setzt T-Online auf Multimedia-Inhalte. Ab sofort gilt die Devise: „Was nichts kostet, ist auch nichts.“

»Wir haben die Position erarbeitet«

INTERVIEW. Vorstandschef Thomas Holtrop über Image und Strategie von T-Online. Holtrop, 57, studierte Psychologie. Bis Ende 2000 war er Marketing-Vorstand der Deutschen Bank 24, dann wurde er T-Online-Chef. Interview: Ulf J. Froitzheim und Lothar Kuhn.

BIZZ: Herr Holtrop, Sie wirken entspannt. Hat das Telekom-Sorgenkind T-Online die schlechten Nachrichten hinter sich? THOMAS HOLTROP Wir haben weder gejammert, als der Kapitalmarkt in tiefster Depression lag, nochjubeln wir übermäßig, wenn uns jetzt die Börsianer feiern. Zehn Millionen Kunden beweisen, dass unsere Strategie funktioniert.

Die erinnert an Bildschirmtext (BTX): Für Inhalte wird per Telefonrechnung kassiert, und die Erotik kommt nicht zu kurz. Auf der Homepage von T-Online ist nichts, für das wir unsschämen müssten. Aber Erotik ist kein Gebiet, das wir im Fokus haben. Schon BTX war vor allem ein Dienstleister für  Qualitätsangebote. Daher zählen 70 Prozent der deutschen Banken zu unseren Kunden. Solches Vertrauen ist ein wichtiger Faktor – gerade wenn es um Bezahlangebote geht.

Sie glauben, die Zeit ist reif, dass User zahlen? Nicht nur ich. Mehr und mehr Unternehmen führen kostenpflichtige Services ein, ob Web.de oder Yahoo. Die Online-Industrie kann nicht mehr um jeden Preis wachsen. Jetzt schaut man auf neue Ertragsmöglichkeiten. Wir verfolgen hier drei strategische Projekte. Erstens: interaktive Werbung auf unseren Portalen. Zweitens: E-Commerce, denn bei den Unternehmen, die den Versandhandel verstehen, steigen die Zahlen. Drittens: Paid-Content – angefangen beim E-Mail-Profi für Heavy-User mit extra großem Postfach über Business-Homepages bis zu Entertainment, Information, Sport und Musik.

Sie wollen mit Musik im Internet Geld verdienen? Ja. Wir verkaufen der Musikindustrie eine Pipeline zu zehn Millionen Kunden. Wir haben den Vertriebskanal für digitale Güter, der ihr fehlt.

An eigenem Content sind Sie nicht interessiert? Die Produktion von Inhalten ist nicht unser Geschäft. Lieber vertreiben wir starke Offline-Medienmarken online – gegen Umsatzbeteiligung. Deswegen müssen wir ja nicht mit einem Partner quer durch all dessen Abteilungen kooperieren. Bei unserem neuen Breitbandportal T-Vision sind wir mit allen Großen im Gespräch.

Können davon auch die vielen Internet-Kunden der Telekom-Konkurrenten profitieren? Zunächst ist T-Vision leider ausschließlich für T-Online-Kunden erreichbar.

Haben Sie keine Angst, dass deshalb der Regulierer einschreitet? Das Telekommunikationsgesetz gilt nicht für die Online-Branche. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb. In den USA ist AOL der Platzhirsch – und benimmt sich so. Hierfunktioniert dieses Geschäftsmodell nicht, darum ruft AOL nach dem Regulierer. In Deutschland haben wir sicherlich eine starke Position. Aber die haben wir uns erarbeitet.

Zum Beispiel mit einer Dumping-Flatrate, die Sie durch Quersubventionen finanziert haben? Wir sind ein börsennotiertes Unternehmen. Da sind Quersubventionen auf Grund der vorgeschriebenen Transparenz nicht möglich.

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