Nach der Einstellung des Magazins highTech Ende 1991 liefen die Technik-Specials der Wirtschaftswoche unter der Marke highTech. Die erste solche Technikstrecke in Heft 3/1992 widmete sich dem Thema „Alternative Energien“.
Photovoltaik: Billigere Solarzellen in Sicht
Häuser, deren Strom- und Wärmebedarf das Sonnenlicht deckt, sind heute keine Utopie mehr.
Bedrohlich dunkle Wolken sieht Professor Adolf Goetzberger aus Richtung Bonn heraufziehen. Die Ernte seiner jahrelangen Forschungsarbeit können sie ihm allerdings nicht mehr verhageln, denn der Freiburger Wissenschaftler hat sich und seinem Team gerade noch rechtzeitig einen Platz an der Sonne gesichert. Im kommenden Herbst darf der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme nach einjähriger Bauzeit endlich den Beweis antreten, daß eine Familie selbst im eher unfreundlichen Klima Mitteleuropas auch ohne Stromanschluß und Heizungskeller recht komfortabel leben kann.
Goetzberger und seine Mitarbeiter bauen an einer kleinen Sensation, dem ersten hundertprozentig energieautarken Solarwohnhaus in Deutschland. Für den Bau des Freiburger Mustereigenheims mit seinen bescheidenen 100 Quadratmetern Wohnfläche haben Bundesforschungsministerium, Fraunhofer-Gesellschaft, Landesregierung, Stadt und Industriepartner so tief in die Tasche gegriffen, daß es beispielsweise auch für den Kauf einer Villa am Starnberger See gelangt hätte. Die konventionellen Baukosten sind auf 600.000 Mark veranschlagt, die exotische Energietechnik verlangt weitere 800.000 Mark. Allerdings ging es Goetzberger und seinem Projektleiter Wilhelm Stahl auch gar nicht um eine wirtschaftliche Lösung, bei der sich die Investition nach ein paar Jahren amortisiert. Ziel war von Anfang an die Maximallösung, das absolute Nonplusultra des Energiesparens.
Die zentrale Rolle im energieautarken Freiburger Haus spielt – neben extrem effizienter Wärmedämmung und -rückgewinnung – die Photovoltaik, also die direkte Umwandlung von Sonnenlicht in Elektrizität. Damit sommers wie winters die Sonnenstrahlen ausreichen, den Energiebedarf der Hausbewohner zu decken, verteilen die badischen Häuslebauer außer neuartigen Flachkollektoren mit transparenter Wärmedämmung zur Brauchwassererwärmung rund 42 Quadratmeter photovoltaischer Solargeneratoren mit einer Spitzenleistung von 4,5 Kilowatt auf dem Dach. Der überschüssige Strom, der an schönen Tagen übrigbleibt, wird im Haus gespeichert.
Kein Stromkabel verbindet das Gebäude mit dem öffentlichen Netz. Statt dessen sorgen Bleiakkus mit einer Speicherkapazität von 21,6 Kilowattstunden dafür, daß der Kühlschrank nachts nicht abtaut, die Bewohner die Tagesschau ansehen können und die Nachttischlampen nicht verlöschen. Für das Überbrücken längerer Zeiträume mit wenig Sonnenschein erhält das energieautarke Solarhaus ein Speichersystem mit Wasserstoff und Sauerstoff, die ein Elektrolyseur mit dem Überschuß an photovoltaisch gewonnenem Strom aus Wasser erzeugt. Beide Gase werden in einfachen Tanks gelagert. Bei Bedarf kehren Brennstoffzellen den Trennvorgang um und setzen wieder Elektrizität frei. Dabei entsteht nur reines Wasser.
Auch zum Kochen eignet sich der solare Wasserstoff. In einem Spezialherd werden die beiden Gase mit Hilfe eines Katalysators zu Wasser vereinigt. Dabei entstehen Temperaturen von rund 200 Grad Celsius – gerade genug fürs Kochen. Das kommerziell noch nicht ausgereifte Wasserstoff-Sauerstoff-System verschlingt den Löwenanteil der Kosten für die Energieversorgung.
Daß die Sonnenstromerzeuger in ihrer üblichen Bauform sich häufig nicht ästhetisch befriedigend mit der Architektur eines Gebäudes in Einklang bringen lassen, störte die Fachleute der Kölner Flachglas Solartechnik GmbH (Flagsol). Um den Eindruck eines störenden Fremdkörpers zu vermeiden, integrieren sie die Solarmodule in gläserne Fassadenelemente.
Ihren Pilotkunden fand die Flagsol in der Stawag Stadtwerke Aachen AG, die bei der wärmetechnischen Sanierung ihres fünfstöckigen Bürogebäudes, der Südfassade ein attraktives Gesicht verpaßte. Die Aachener Energieversorger erwarten von den 37 Quadratmetern polykristallinen Siliziums eine Stromerzeugung von 3200 Kilowattstunden pro Jahr – bei Gesamtkosten der Anlage von 300.000 Mark.
Obwohl Solarzellenanlagen nach wie vor fernab von jeder Wirtschaftlichkeit sind – ein System mit einer Spitzenleistung von einem Kilowatt liefert jährlich gerade 3000 Kilowattstunden, kostet in der Regel aber kaum weniger als 27.000 Mark – , zeichnet sich ab, daß ein lukrativer Markt für photovoltaische Produkte im Entstehen ist.
Vor allem in der Dritten Welt und in netzfernen Bereichen von Industriestaaten hat Solarstrom gute Chancen, beispielsweise zum Versorgen von Telekommunikationsanlagen und Berghütten. Oft ist die Photovoltaik billiger als das Verlegen eines Stromkabels. Dazu kommt noch das sogenannte 1000-Dächer-Programm, bei dem sich 2250 private Bauherren von Bund und Ländern bis zu 75 Prozent Zuschuß zu ihrem Solardach holen können.
Anbieter gibt es bereits genug. Allein in Deutschland produzieren die Siemens AG, der weltgrößte Hersteller von Solarzellen, die Telefunken Systemtechnik GmbH (eine Dasa-Tochter), die Nukem GmbH und die Phototronics Solartechnik GmbH, eine gemeinsame Tochter von MBB und dem französischen Ölmulti Total, verschiedene Solarzellentypen. Insgesamt beträgt die Kapazität der deutschen Produktionsstätten rund zehn Megawatt pro Jahr. Siemens baut derzeit in Wackersdorf eine Großanlage für 25 Megawatt.
In der amerikanischen Ölmetropole Dallas überraschte kürzlich der Elektronikkonzern Texas Instruments Inc. (TI) die Fachwelt mit einer neuartigen Fertigungstechnik, die der Photovoltaik zu wesentlich größerer Rentabilität verhelfen könnte. Statt des teuren hochreinen Siliziums aus den Säge- und Produktionsabfällen der Halbleiterfertigung genügt bei der TI-Methode sogenanntes metallurgisches Silizium, das in großen Mengen billig zu haben ist.
Der Trick der Texaner besteht darin, winzige Kügelchen zu formen, die jeweils eine Solarzelle darstellen. Tausende davon werden zu Modulen zusammengefaßt. Der elektrische Wirkungsgrad dieser Zellen soll, so behaupten die Entwickler, bei stolzen zehn Prozent liegen. Zudem kostet die Produktion pro Wattpeak (Leistung in Watt bei maximaler Sonneneinstrahlung) laut TI nur noch 1,50 Dollar gegenüber 8 bis 15 Dollar bei hochreinem Silizium.
Zur Zeit entsteht eine Pilotfertigung in Dallas. Und bis Ende des Jahres will der amerikanische Branchenaußenseiter in Kooperation mit dem Energieversorger Southern California Edison genug Erfahrungen gesammelt haben, um über eine Massenfertigung zu entscheiden.
In Deutschland konzentrieren sich nur Siemens und Phototronics auf amorphes Silizium, das meist erheblich preiswerter in Solarzellen verwandelt werden kann als die kristalline Variante. Dieser Vorteil muß freilich mit einer mäßigen Stromausbeute erkauft werden. Während industriell gefertigte Zellen aus kristallinem Silizium heute bis zu 16 Prozent des Sonnenlichts in Strom umsetzen, gelten bei ihren amorphen Verwandten schon sieben Prozent als respektabel.
Welche Technik sich in welchen Märkten durchsetzen wird, ist für den Photovoltaik-Promoter Walter Sandtner vom BMFT freilich fast zur Nebensache geworden. Aus einigen Bundesländern liegen bereits mehr Anträge auf Teilnahme am 1000-Dächer-Programm vor, als die Länderquoten zulassen. „Wenn das Interesse noch größer wird“, deutet der Bonner an, „könnte es durchaus sein, daß wir das Programm noch einmal aufstocken.“
ULF J . FROITZHEIM
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