DOKTOR A.D.

Diese Froitzelei stammt von Anfang März 2011, ist aber nie gedruckt worden, da sich Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg überraschend doch noch zurückzutreten bequemte, während ich – auf seine anhaltende Sturheit spekulierend – bereits an der Kolumne saß. Ich habe den Text noch zu Ende geschrieben; die Redaktion entschied sich aber, das Thema Plagiate nach dem Rücktritt Guttenbergs lieber nicht ins Lächerliche zu ziehen. Aber warum sollen diese Sottisen auf meiner Festplatte vergammeln? In einer satirischen Chronik des Jahres 2011 haben sie ihren Platz.

Was die Akademiker dieser Republik brauchen, ist ein zeitgemäßer Weg zum Titel: innovativ, kreativ und googlesicher.

Wer auf linke Meinungen allergisch reagiert, sollte lieber nicht weiterlesen. Jedenfalls nicht, wenn er „links“ so definiert, wie es sich in den vergangenen Wochen in Foren und auf Leserbriefseiten eingebürgert hat. Links, das ist das neue Etikett für uns Bildungsromantiker, die wir uns mit unseren antiquierten Moralvorstellungen auf dem Elfenbeinturm verbarrikadiert haben. Als Linker gilt anno 2011, wer penetrant auf überkommenen preußischen Sekundärtugenden wie Akkuratesse, Anstand, Aufrichtigkeit und Fairplay herumreitet und meint, moderne adlige Pop-Politiker der Generation Facebook wegmobben zu müssen, nur weil sie auf dem Weg zum Doktortitel eine clevere Abkürzung gefunden haben. Links hieß früher wohl mal „konservativ“.

Unter uns Linken: Über den Verursacher des Spektakels brauchen wir wohl kein Wort mehr zu verlieren. Der ist nicht satisfaktionsfähig, allein schon wegen seines dilettantischen Timings. Was ist das bitte für ein katholischer Sünder, der nicht die acht Tage bis Aschermittwoch warten kann, bevor er sich die Asche aufs Haupt streut? Soziologisch und kriminologisch weitaus interessanter als der Zitatenschatz des Freiherrn ist ohnehin dessen identifikationsstiftende Wirkung auf Heerscharen kleiner Sünderlein aus der Mitte unserer Gesellschaft. Als notorischer Gutmensch von der Naivität eines, sagen wir, Bayreuther Juraprofessors hätte ich mir zum Beispiel nie träumen lassen, wie tief die Wilderer-Mentalität im Freistaat Bayern heute noch verwurzelt ist: Für 92 Prozent der Bayern-1-Hörer ist jemand, der es wagt, sich fremde Federn an den Doktorhut zu stecken, ein Held, den man in der Politik nicht missen möchte. Seit FJS selig ist unmoralisches Verhalten nicht mehr so gut angekommen.

Nun gut, diese kriminellen Südlichter denken sich auch nix dabei, Maibäume zu klauen. Aber im Rest der Republik ist es auch nicht viel besser. Wo immer über K. T. von und zu Cut and Paste debattiert wurde, ging es zu wie auf dem Parteitag der Piratenpartei. Auf jeden empörten Doktoranden, der trotzig darauf bestand, seine Dissertation allein zu schreiben, kamen gefühlte elfeinhalb Mitbürger, die ihr gestraucheltes Idol in einer derart kameradschaftlichen Treue verteidigten, dass nicht der Hauch eines Zweifels bleibt: Nicht etwa China, sondern Deutschland ist das Welthauptquartier der Abschreiber und Raubkopierer. Die altkommunistischen Kader in Beijing wären stolz auf so ein Volk.

Aus dieser Erkenntnis müssen wir Neulinken Konsequenzen ziehen. Der Ulmer Design-Professor Rido Busse, Gründer der Stiftung Plagiarius, braucht keine fernöstlichen Messen mehr abzugrasen, um Exponate für sein Museum dreister Nachbauten zu finden. Da Abkupfern für die Kernwählerschaft der Union offenbar eine Selbstverständlichkeit ist, dürfte eine Google-Bildsuche genügen, um all die Handwerker zu entlarven, die ihre Meisterstücke – ganz nach konfuzianischem Vorbild – Vorlagen aus fernen IHK-Bezirken nachempfunden haben. Die Flut an Beispielen wird den Ex-Minister rasch rehabilitieren, so dass seinem von den Massen ersehnten Comeback nichts mehr im Wege steht.

Die Universitäten sollten sich schon jetzt für diese Ära wappnen – und das Patentrezept des Ökonomen Joseph Schumpeter abkupfern. Der empfahl Unternehmen die kreative Zerstörung des Bewährten. Entweder werden nur noch komplett mit dem Füllfederhalter geschriebene Doktorarbeiten angenommen (dann führt eine KT-mäßige Arbeitsweise unweigerlich zu Schreibkrämpfen). Oder wir schaffen die Dissertation ganz ab. Schließlich ist es reine Zeitverschwendung, dass die Kandidaten sich per Google Textbausteine zusammensuchen und die Prüfer versuchen, die Primärquellen zu finden; man weiß ja eh nie, ob die Passagen aus zweiter, dritter oder vierter Hand sind. Echte Forscher dürfen nach dem Master einfach weiter Leistungspunkte sammeln, und wer 1000 Punkte zusammen hat, darf sich Doktor nennen, für 5000 gibt’s den „Prof.“ dazu. Das Beste daran: Wenn es auf Leistungspunkte ankommt, wird die Zahl der Titelträger in der Politik sehr überschaubar.

ULF J. FROITZHEIM ist ja nur neidisch. Wie KT holte er mit seiner Diplomarbeit nur eine mittelprächtige Note, kämpfte aber nicht um eine Ausnahmegenehmigung zum Promovieren.

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