Aus gegebenem Anlass ein kleiner Tipp für Familienangehörige von Kommunalpolitikern: Es kommt gar nicht gut an, auf offener Straße über den Charakter von KandidatInnen einer anderen Fraktion herzuziehen. Wer will, dass sich mehr Bürger in der Kommunalpolitik engagieren, sollte nicht den Eindruck entstehen lassen, dass der Gemeinderat ein Haifischbecken ist. Kritik muss sein, Ironie darf sein, aber Bösartigkeit sollte man den anonymen Shitstormern in Internetforen überlassen.
Nachtrag zur Bürgermeisterenthaltung
Manche Mitbürger fragen sich, warum sie zur Wahl gehen sollten, wenn sie niemanden wählen wollen.
Es stimmt natürlich, dass letztlich nur die gültigen Stimmen entscheiden. Aber die ungültigen sind ein Signal: „Ich gehe zur Wahl!“ Wenn genug Wähler auf diese Weise klarmachen, dass ihnen die Wahl nicht egal ist, können die Parteien das schlecht ignorieren. Es zeigt Politikerverdrossenheit.
Eine geringe Wahlbeteiligung dagegen könnte als Desinteresse der Bürger gesehen werden: Macht ihr mal, ist mir egal. Das wäre Politikverdrossenheit.
Wer sich nicht guten Gewissens für einen Kandidaten entscheiden kann, trägt zu einer guten Wahlbeteiligung bei, wenn er sich auf diese sichtbare Weise seiner Stimme enthält.
Es müssen nur genug Leute mitmachen. Wenn nachher nur 20 ungültige Stimmen in der Liste stehen, ist es witzlos. Sollte die Zahl der „Nichtstimmen“ aber ähnlich hoch sein wie die Stimmenzahl eines der Bewerber, kann der/die letztlich Gewählte nach dem höchstwahrscheinlich nötigen zweiten Wahlgang nicht so tun, als hätte der/die Beste einen verdienten Sieg errungen.
Bei der Stichwahl muss man sich natürlich dann entscheiden. In Familien, die sich politisch einig sind, kann man ja auch splitten: Einer streicht durch, der andere entscheidet sich für den/die erträglichste Kandidaten/Kandidatin. 🙂
Kaufering: Qual der Wahl
Unser Bürgermeister ist zu krank, um bis zur nächsten Kommunalwahl im Amt zu bleiben. Deshalb sollen wir am 11. März eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger wählen.
Was das bedeutet, kann man sich vielleicht ausmalen, wenn man die ARD-Serie „Um Himmels Willen“ kennt: Der Bürgermeister – im TV Wolfgang Wöller alias Fritz Wepper – ist ein Macher, der den Gemeinderat vor allem als Gremium wahrnimmt, das seinen Elan bremsen möchte, aber selbst keine relevanten Ideen hervorbringt.
Klaus Bühler, seit 25 Jahren unangefochtener Chef im (Kaufe)ring, ist freilich keiner, der versuchen würde, Nonnen ihr Kloster abzuluchsen, und sein Charakter ist weiß Gott dem der Wepperschen Karikatur eines bayerischen Kommunalgranden haushoch überlegen. Andererseits ist er eine so dominante Persönlichkeit, dass schon lange niemand von Format mehr den Ehrgeiz entwickelt hat, gegen ihn anzustinken. Kommunalpolitik als One-Man-Show mit Beisitzern und einer hilflosen Opposition: das hat Kaufering mit Kaltental schon irgendwie gemeinsam. Man übertreibt nicht, wenn man über Bühler sagt: Sein Wille geschah, und oft – freilich nicht immer, der Mann war bisweilen wirklich zu forsch und eigensinnig – sahen die Bürger, dass es gut war.
Wie es so ist, wenn starke Figuren plötzlich abtreten müssen: Niemand war darauf vorbereitet, vor 2014 für ein Bürgermeisteramt zu kandidieren.
Dennoch erschienen vier Aspiranten und eine Aspirantin auf der Bühne, die sich das Amt irgendwie zutrauen. Zumindest die Namen der Herren sagen einem nichts. Der Kandidat der Bürgermeisterpartei UBV (Unabhängige Bürgervereinigung) leitet das Seniorenheim und ist weder rot noch schwarz noch grün noch gelb, sondern farblos. Der Rote signalisiert den älteren und konservativeren Bürgern durch geschmückte Ohrläppchen, dass er auf ihre Stimmen keinen Wert legt, und kann höchstens auf seine Freunde aus dem Fußballverein zählen. Hinzu kommt, dass die Bedeutung seines derzeitigen Jobs innerhalb der Hierarchie der Münchner Schulverwaltung aus seiner eigenen Sicht ein wenig höher ist, als neutrale Beobachter dies zu erkennen vermögen. Kurzum: manche halten ihn für einen Angeber (andere, die ihn näher kennen, allerdings für einen netten Kerl). Der Schwarze macht schöne Fotos, war mal Manager, gilt aber schon aufgrund seiner jetzigen Tätigkeit als chancenlos: Er ist selbständiger Immobilienmakler und hilft seiner Frau in ihrer kleinen Naturkosmetik-Manufaktur. Für die Freien Wähler tritt ein Verwaltungsangestellter an, den man zwar im Gartenbauverein kennt, den die meist älteren Gartler aber trotzdem eher nicht wählen werden, allein schon weil er die fixe Idee verfolgt, er könne etwas für die Energiewende tun, wenn er mit anderen Lechtaler und Lechrainer Bürgermeistern der Eon AG die Staustufen mit ihren Wasserkraftturbinen abkauft.
Bleibt die grüne Kandidatin, eine Sportlehrerin, die nach eigenem Bekunden gar keine Grüne ist, sondern eine Alternative. Bei uns gibt es ja keinen Ortsverband der Grünen, sondern nur eine Grün-Alternative Liste. Ob die Alternative wirklich eine Alternative zu den wenig überzeugenden Herren ist? Okay, die Dame, die als Wahlgeschenk rote Schokokäfer (nicht Bio!) verteilt, kann kommunalpolitische Erfahrung vorweisen, schließlich hat sie sich viele Jahre lang als ungekrönte Oppositionsführerin im Gemeinderat am Dynamiker Bühler abgearbeitet. Allerdings fällt es vielen Bürgern schwer, sie sich nach all ihren Neins – auch zu des alten Bürgermeisters guten Ideen – in einer Rolle vorzustellen, in der sie daran gemessen wird, wozu sie Ja sagt. Zu der Schnapsidee mit der Energieautarkie durch den Kauf abgeschriebener Wasserkraftwerke sagt sie nicht, dass es Quatsch ist, Steuergeld in ein energiewirtschaftliches Nullsummenspiel zu versenken, sondern dass sie die Idee auch schon hatte, bevor sie einsah, dass das keine realistische Option ist. Dass sie keine weiteren Freiflächen-Solaranlagen auf Gemeindegrund sehen will, begründet sie nicht wirtschaftlich (was angesichts der sinkenden Einspeisevergütung nahe läge), sondern landwirtschaftlich: Die wunderbaren Böden seien zu schade dafür. Als sei es besser, wenn die Bauern Mais für Biogas pflanzen.
Nein, ich weiß wirklich nicht, wen ich wählen soll. Dass die fünf Möchtegern-Gemeindeoberhäupter nett und freundlich auftreten, genügt mir nicht. Dass innerhalb von nur drei Monaten ein neuer Amtsinhaber aus dem Hut gezaubert werden soll, der dann sechs Jahre im Amt bleiben darf, ist ein Konstruktionsfehler der bayerischen Gemeindeordnung. Über eine Probezeit von zwei Jahren bis zur nächsten regulären Kommunalwahl könnte man ja reden.
Bevor ich jemanden wähle, der mich nicht überzeugt, uns aber sechs Jahre erhalten bleibt, mache ich lieber etwas, das ich noch nie getan habe:
Ich werde wohl den Wahlzettel durchstreichen.