Liebe Abgeordnete des Europäischen Parlaments,
es liegt jetzt an Ihnen. Beweisen Sie Weitblick! Widerstehen Sie der Versuchung, bei der Urheberrechtsnovelle populistisch zu entscheiden, aus der trügerischen Hoffnung heraus, sich mit einer Entscheidung gegen die Urheber die Stimmen der Generation Y(ouTube) oder I(nstagram) für die Europawahl am 26. Mai zu sichern! Es wäre naiv, zu glauben, dass diejenigen, die lautstark gegen die Richtlinie protestieren, zum Dank für Sie votieren, wenn sie morgen ihren Willen bekommen. Ob sich diese Leute überhaupt aufraffen würden, zur Wahl zu gehen, ist sogar eher zweifelhaft, denn von allgemeinpolitischer Reflexion oder gar tiefergehender politischer Bildung war rund um die Empörung über vorformulierte und geschickt lancierte „Aufreger“ leider nicht viel zu sehen in den Social Media.
Vielleicht haben Sie in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag den sehr treffenden und überfälligen Kommentar meines Kollege Andrian Kreye gelesen („Ihr unterstützt datengierige US-Konzerne!„) oder vor einer Woche Heribert Prantls Wochenblick. Falls ja, nehmen Sie sich die Mahnungen bitte zu Herzen. Falls noch nicht, lesen Sie die Texte bitte jetzt (und nehmen sie sich zu Herzen). Und vergessen Sie all den Unsinn, den einige andere Redakteure und Autoren der SZ in den vergangenen Wochen in Unkenntnis der Zusammenhänge nachgebetet haben. Wenn Ihr Leib-und-Magen-Blatt die FAZ ist, sind Sie wahrscheinlich schon etwas länger gut informiert.
Ich appelliere an Sie in meiner Eigenschaft als altgedienter Technik- und Wirtschaftsjournalist, der sich mit Onlinemedien und IT-Firmen schon auseinandergesetzt hat, als das Wort „Internet“ in Deutschland noch unbekannt und das World Wide Web noch lange nicht erfunden war, und sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich mit dem Urheberrecht befasst. Unter anderem war ich auf Autorenseite Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe „Metis“ in der VG Wort, die das Vergütungssystem für Texte auf Internetseiten auf die Beine gestellt hat. Seit längerer Zeit stehe ich zudem in ständigem Austausch mit Urhebern ganz anderer Disziplinen – von Komponisten über die Fotografin bis zur Bestsellerautorin – und einschlägigen Fachleuten. Kurz gesagt: Im Gegensatz zu vielen Menschen, die sich seit vorigem Sommer zu meinungsstarken öffentlichen Äußerungen berufen fühlen, kenne ich die Thematik aus all ihren Perspektiven.
Im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung möchte ich noch einmal die viel zu selten hinterfragte Absurdität der Argumentation hervorheben, mit der die Gegner versuchen, Sie von einem Ja zur Richtlinie abzuhalten oder abzubringen. Neudeutsch spricht man ja von „Narrativen“, die in die Welt gesetzt wurden. Gemeint sind damit freilich Dinge, die man früher als Legenden oder Märchen bezeichnet hätte. Noch treffender wäre es, von kampagnentauglichen Sprachregelungen zu reden, denn dann kommt man nicht mehr der Frage aus, wer weshalb wessen Sprache regelt.
Entscheiden Sie also bitte morgen richtig, nämlich für den ausgehandelten Kompromiss, und erklären Sie im vor Ihnen liegenden Wahlkampf sachlich, offen und ehrlich, warum Sie sich so entschieden haben! Hier meine Zusammenfassung der Knackpunkte: