Warum Medizintechnik vor 20 Jahren Hoffnung machte

Titelgeschichte highTech 2/1990

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Operation Krankenhaus

Hinter den Mauern altehrwürdiger Krankenanstalten wird derzeit kräftig aufgeräumt. Die Integration von modernster Informations- und Medizintechnik soll nicht nur den Patienten zugute kommen, sondern auch dem Hospital 2000 zur Wirtschaftlichkeit verhelfen.

Notaufnahme, Samstagabend, 22 Uhr: Ein Herzpatient, erst wenige Tage zuvor entlassen, wird bewusstlos eingeliefert. Eine schnelle Information über die zurückliegende Behandlung wäre für den diensthabenden Arzt jetzt Gold wert. Doch das Krankenblatt mit den entscheidenden Daten liegt in der Verwaltung und ist vor Montag früh nicht greifbar – eine Horrorvision für jeden Patienten, die sich so oder ähnlich tagtäglich im bundesdeutschen Gesundheitsapparat abspielt.

Paradox: Unwichtige Daten wie den Kontostand kann jedermann jederzeit bei seiner Bank abrufen, doch lebenswichtige Informationen liegen im Ernstfall unter Verschluss. Professor Joachim Dudeck, Medizininformatiker an der Universität Gießen, zieht einen drastischen Vergleich: »Die Kommunikationstechnik unserer Krankenhäuser steht auf dem Niveau des Telefonnetzes der DDR.«

Dabei könnten mit einem integrierten Krankenhaus-Informationssystem (KIS) – das nicht einmal mehr als den gegenwärtigen Stand der Technik widerspiegelt – alle medizinisch wichtigen Daten mit Hilfe des Computers rund um die Uhr im gesamten Hospital bereitgehalten werden. Auf dem Weg zum Krankenhaus der Zukunft sind die Franzosen bereits einen Schritt weiter. Die Ärzte der Grande Nation erproben schon heute scheckkartengroße Patientenausweise, auf denen alle relevanten Detailinformationen elektronisch gespeichert sind: von der Blutgruppe über Allergien bis hin zu chronischen Krankheiten.

Diesem preiswerten und kompakten System, das auf der Chipkartentechnik der französischen Computerfirma Bull SA basiert, will die schweizerische Agentur Sanacard aus Riehen bei Basel zum Durchbruch in Europa verhelfen. »Von der Karte profitieren sogar Krankenkassen und Versicherungen«, verspricht Sanacard-Chef Walter Ziegler. Die Informationen können mit speziellen Lesegeräten, die schon ab etwa 1000 Mark angeboten werden und alle maßgeblichen Datenschutzauflagen erfüllen, in Arztpraxis- und Klinikinformationssysteme eingelesen werden. Bei intelligenter Vernetzung kann die Patienten-Kreditkarte in heiklen Fällen den Notarzt am Unfallort in die Lage versetzen, die aufgerufenen Daten per Mobilfunk ins nächste Krankenhaus zu übermitteln. Dort muss keine wertvolle Zeit mehr verplempert werden. Schon bevor das Opfer eintrifft, sind Blutkonserven besorgt und der Operationssaal optimal vorbereitet. Doch von einem solchen informationstechnischen Idealzustand ist das real existierende Gesundheitswesen der Bundesrepublik noch Jahre entfernt. »Es gibt wohl keinen Großbetrieb, der so wenig über seine eigenen Betriebsabläufe weiß wie ein Krankenhaus«, attestiert Frank Ulrich Montgomery, Arzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Vorsitzender des Berufsverbands Marburger Bund.

Ein denkbar schlechtes Attest – nur wenige deutsche Spitäler sind technologisch auf dem neuesten Stand. Durchgängige Konzepte für eine integrierte Nutzung modernster Systeme sind selbst in den fortschrittlichsten Kliniken noch Rarität – Innovation zeigt sich allenfalls in spektakulären Insellösungen. Im Zeitalter von Laserchirurgie und Kernspintomographie dokumentieren viele Arzte ihre Befunde immer noch mit Bleistift und Papier. Sündteure Diagnosegeräte sind nicht miteinander kompatibel, Normen für die Übertragung von Bildern und Daten existieren nicht. Die Archivorganisation ist in aller Regel so unzulänglich, dass von den abgelegten Röntgenbildern nach fünf Jahren nur noch jedes zweite auf Anhieb wiederzufinden ist. Das alles gleicht einer chaotischen Zettelwirtschaft, deren Folgen maßgeblich zur Ineffizienz des deutschen Gesundheitswesens beitragen.

Solange Krankenkassen und öffentliche Hand – wenn auch widerstrebend – pauschal alles zahlten, was ihnen die Spitäler in Rechnung stellten, konnte die Misswirtschaft prima wuchern. Doch immer häufiger legen sich die Finanziers quer. Ermutigt vom Bonner Kostendämpfer Norbert Blüm, drehen die Ortskrankenkassen unrentablen Krankenhäusern jetzt den Geldhahn zu. Die ersten Kündigungen sind behördlich genehmigt, weitere werden folgen. Hans Sitzmann, Geschäftsführer des bayerischen AOK-Landesverbandes in München, moniert die unnötig aufgeblähten Kapazitäten: »Wir haben 10 000 Betten zu viel!«

Eugen Münch, Krankenhausmanager aus Bad Neustadt an der Saale, lassen solche Diagnosen völlig kalt. Seine Zahlen sind tiefschwarz: 5,1 Millionen Mark Jahresübeschuss weist die Bilanz des Rhön-Klinikums AG für 1988 aus. »Bei den Betriebskosten«, freut sich der Vorstandsvorsitzende der nordbayerischen Privatklinik, »liegen wir um 25 bis 32 Prozent unter denen öffentlicher Vergleichskrankenhäuser.« Allerdings unterscheidet sich auch Münchs Betriebsführung grundlegend von der seiner kommunalen Kollegen. Die Unternehmensgruppe Rhön-Klinikum, zu der auch eine Spezialklinik in Wiesbaden gehört, wird nach industriellen Kriterien gemanagt. Auf der Prioritätenliste des Hospitalchefs steht deshalb die Nutzung modernster Informations- und Medizintechniken an oberster Stelle.

Die hausinterne Kommunikation beispielsweise wird über ein Glasfasernetz abgewickelt. Für die Ärzte in der Wiesbadener Filiale, einer zuvor von der öffentlichen Hand defizitär betriebenen Klinik, gehören heute Videokonferenzen zur Routine. Im medizintechnischen Bereich verfügt die Aktiengesellschaft über zwei Herzkatheter-Arbeitsplätze, an denen Kardiologen Eingriffe vornehmen können, die vor noch nicht allzu langer Zeit eine Öffnung des Brustkorbs erfordert hätten. In der Diagnostik können die Ärzte der profitorientierten Behandlungsfirma mit zwei Kernspintomographen filigrane Schnittbilder aus dem menschlichen Körper erzeugen. Damit lassen sich Tumore weitaus besser erkennen als im herkömmlichen Röntgenverfahren und das auch noch mit geringerer Belastung des Patienten. Um die Datenverarbeitung auf den aktuellsten Stand zu bringen, hat sich das nordbayerische High-Tech-Hospital sogar ein eigenes Softwarehaus zugelegt.

Doch solche vereinzelten Innovationsexempel reichen nicht aus, um das marode Gesundheitswesen zu kurieren. An probaten Rezepturen aus dem Lager der Anbieter von Medizin- und Informationstechnik indes herrscht kein Mangel. Sie wollen die kaum mehr überschaubare Vielzahl von technischen Insellösungen, darunter immer mehr computergesteuerte Apparaturen, in ein allumfassendes Kommunikationsnetz einbinden. »Das Krankenhaus muss zu einem Gesamtsystem zusammenwachsen, vergleichbar mit den CIM-Konzepten in der Fertigungsindustrie«, erläutert der Ulmer Anästhesiearzt Josef-Wolfgang Friesdorf, der ein gemeinschaftliches Forschungsprojekt von Universitätsklinik und Geräteherstellern leitet.

In der Tat entsprechen die propagierten Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) in ihrer Struktur weitgehend den Modellen des Computer Integrated Manufacturing, die jetzt sukzessive Einzug in die Fabriken halten: Von der Materialwirtschaft über die Betriebsdatenerfassung und die Ablaufsteuerung bis hin zum Rechnungswesen sollen alle Prozesse optimal ineinander greifen, um das Gesamtsystem effizienter zu machen. Dies gilt als Beispiel dafür, wie die Vernetzung verschiedenster Geräte und Abteilungen den Betriebsablauf verbessern kann – etwa in puncto Zusammenarbeit zwischen Station, Krankenhauslabor und Verwaltung bei einer Blutuntersuchung. Statt den Namen des Patienten mit der Hand auf das Etikett des Reagenzröhrchens zu schreiben und der Laborantin ein Auftragsformular mitzugeben, kann die Schwester ein Verfahren nutzen, das in der Fertigungsautomation schon gängige Praxis ist: die Markierung von Werkstücken per Strichcode. Damit wird die Probe unverwechselbar, auch wenn es in mehreren Stationen einen Patienten namens »Müller, G.« gibt. Liegt der Befund vor, sendet die Laborantin die Daten elektronisch an den behandelnden Arzt weiter, während die Verwaltung auf demselben Weg erfährt, dass eine Blutanalyse mit der Kasse abgerechnet werden muss. Weil aber auch eine 20-Milliliter-Einwegspritze verbraucht wurde, verändert der Computer automatisch den Bestand und bestellt bei Bedarf eine neue Packung dieser Blutsauger in der Hausapotheke. Dort wiederum checkt das Warenwirtschaftssystem, ob es an der Zeit ist, per Datenleitung beim Hersteller nachzuordern oder ob noch ein paar Mark zur Mindestbestellmenge fehlen.

Die übrigen Voraussetzungen, die Systemintegratoren in Deutschlands Bettenburgen vorfinden, sind allerdings nur selten mit denen in der Industrie vergleichbar. Denn im Gegensatz zu Produktionsbetrieben verfügen Krankenhäuser fast nie über eigene Entwicklungsmannschaften für professionelle Datenverarbeitung. Deshalb versprechen sich die Hersteller fertiger Softwarepakete hier ein blühendes Geschäft. Der bundesrepublikanische Branchenführer auf dem Gebiet der weichen Ware, die Darmstädter Software AG, sicherte sich jetzt den Zugang zum Medizinmarkt über eine Vertriebskooperation mit der Gesellschaft für Systemforschung und Dienstleistungen im Gesundheitswesen mbH (GSD).

Ausgehend vom Rechnungswesen, entwickelte diese hochspezialisierte Berliner Programmwerkstatt in Zusammenarbeit mit 14 Kliniken der Stadt ein ganzes Paket an Modulen – so etwa eine Patientendatenverwaltung, eine Leistungs- und, Kostenrechnung sowie eine Materialwirtschaft, die auch die Hausapotheke voll mit einschließt. Mit diesem Produkt offeriert die GSD ein Werkzeug zur so dringend geforderten Kostenminderung: Weil über mobile Erfassungsgeräte stets der Verbrauch und der aktuelle Bestand festgehalten werden, kann die interne Apotheke ihr Sortiment straffen und das mit teuren Medikamenten vollgestopfte Lager deutlich verkleinern.

Doch die Anwendungsentwickler wissen noch immer nicht, ob ihre Marschrichtung überhaupt stimmt. Während sich die Industrie in puncto Datenaustausch immerhin ‚auf eine Handvoll genormter Protokolle geeinigt hat, herrscht in den Krankenanstalten, so findet der Medizininformatiker Peter Haas, komplette Anarchie: »Jeder Abteilungsleiter entscheidet selber, was er einsetzen will.« Haas, bei der Software AG für den Vertrieb von klinischen Anwendungen verantwortlich, fordert deshalb den zentralen Koordinator. Dieser müsse zum einen prüfen, ob die zusammengekauften Lösungen überhaupt integrierbar sind, und zum anderen gegen inkompatible Gerätschaften sein Veto einlegen. Denn anerkannte Schnittstellen fehlen bisher auf breiter Front. So ist weder die Kommunikation mit den Diagnose- und Analysegeräten genormt noch der Datenaustausch mit anderen medizinischen Softwareprodukten realisiert.

Die Malaise mit dem offenkundigen Systemwirrwarr ruft inzwischen die ersten Berater auf den Plan, die sich besonders der Integration bestehender Systeme widmen wollen. Schließlich kann es sich angesichts der desolaten Finanzlage im Gesundheitswesen niemand leisten, alte und inkompatible Anlagen einfach zu verschrotten. Spezialisierte Unternehmensberatungen wie die mgm Gesellschaft für Organisationsberatung, Information und Datenverarbeitung im Gesundheitswesen mbH in Grünstadt, die Münchner Hospital-Gruppe und die Kulmbacher update GmbH operieren mit Erfolg in der klinischen Marktnische. Auch in der EDV-Division der Dornier GmbH widmet sich eine Arbeitsgruppe dem Thema Klinikintegration. Und das Walldorfer Softwarehaus SAP AG will mit industriell erprobten Anwendungspaketen an den medizinischen Fakultäten in Heidelberg, Ulm, Freiburg und Tübingen Furore machen.

Vernetzte Einblicke in das Körperinnere der Patienten

Mit einem System zur Patientenabrechnung und -verwaltung steckt das nordbadische Unternehmen noch im Anfangsstadium, andere Komponenten laufen bereits. Konstatiert SAP-Manager Paul Neugert: »Die Übereinstimmung ist recht groß, denn in der Abrechnung der Hausapotheken nach Kostenstellen unterscheidet sich ein Krankenhausbetrieb kaum von einem pharmazeutischen Unternehmen.«

Eine viel größere technische Herausforderung als in der Automatisierung der Verwaltung steckt jedoch im Aufbau eines Kommunikationssystems für die sogenannten bildgebenden Verfahren, die den Arzten Einblicke in das Körperinnere ihrer Patienten gewähren. In klinikweiten Netzen mit dem Namen Picture Archiving and Communication System (Pacs) sollen künftig sämtliche Diagnosebilder elektronisch gespeichert werden, um sie später für Vergleichsbetrachtungen nutzen zu können. Dazu gehört vor allem das digitale Röntgen, bei dem eine lichtempfindliche Folie den klassischen Film ersetzt; diese Innovation erspart dem Patienten in vielen Fällen eine nochmalige Bestrahlung, weil das wiederverwendbare Material toleranter gegenüber Fehlbelichtungen reagiert. Neue Ultraschallgeräte, die ihre Signale auch digital und damit computergerecht liefern können, machen den traditionellen Verfahren überdies zunehmend Konkurrenz.

Eine bedeutende Rolle im Bereich dieser bildgebenden Verfahren, die etwa die Hälfte des 42-Milliarden-Mark-Weltmarktes für Elektromedizin repräsentieren, spielen die strahlungsarmen bis strahlungsfreien Diagnoseverfahren: Computertomographie (CT), Magnetresonanz-Tomographie (MRT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Magnetoenzephalographie (MEG). Von PET und MEG erhoffen sich die Wissenschaftler detaillierte Aufschlüsse über Stoffwechselstörungen, ein weitgehend unerforschtes Feld. Hersteller wie Siemens und General Electric buttern seit Jahren Millionenbeträge in die Entwicklung dieser High-Tech-Diagnosesysteme, die schon in wenigen Jahren in die Universitätskliniken Einzug halten sollen.

Die im Bereich bildgebender Verfahren anfallenden Datenmengen sind so immens, dass die Pacs-Entwickler nicht auf Erfahrungen aus anderen Industriezweigen zurückgreifen können. Jedes einzelne Bild verbraucht mehrere Megabyte. Allein die radiologische Abteilung am Uni-Klinikum Freiburg produziert nach Berechnungen der Basler Technologieberatungsgesellschaft Prognos AG jährlich etwa drei Terabyte an Bildinformationen – das entspricht drei Millionen Megabyte oder der Speicherkapazität von 100 000 Personalcomputern mit 30-Megabyte-Festplatten. Diese Menge mit dem Faktor zehn multipliziert ergibt das Gesamtvolumen, auf das sich die Pacs-Planer im Breisgau eingerichtet haben. Denn die deutsche Röntgenverordnung verpflichtet die Radiologen, ihre Bilddokumente zehn Jahre lang aufzuheben. Davon sollen wenigstens die zwei letzten Jahrgänge, so die Forderung der Praktiker, jederzeit automatisch im Online-Zugriff zur Verfügung stehen.

Röntgenarchiv speichert soviel wie 100 000 Personalcomputer

Damit die Ärzte am Monitor nicht genauso lange auf die Röntgenbilder warten müssen wie bisher am Leuchtkasten, bedarf es außerdem extrem schneller Übertragungssysteme auf Basis von Glasfaserkabeln. Als Massenspeicher setzen die Freiburger in einem großangelegten Pilotversuch die einmal beschreibbare Laser-Bildplatte (Worm-Technik) ein; das Wechseln der Scheiben besorgt eine sogenannte Jukebox automatisch.

Mustergültig – nach einem genau festgelegten Stufenplan – schließt die badische Hochschule ihre einzelnen klinischen Abteilungen an das Datennetz an: zuerst die Radiologie und die Chirurgie, weil zwischen diesen beiden Disziplinen der größte Bilddatenfluss erwartet wird. Dann folgt die Medizinische Klinik mit der Inneren Abteilung, der Orthopädie und der Kardiologie also den Sparten, die im nichtoperativen Bereich die besten Kunden der Röntgenologen sind. Das Gesamtkonzept bereits ganz am Anfang zu erstellen, hält der Prognos-Projektleiter und Diplominformatiker Michael Engelhorn für entscheidend: »Erst Inseln zu bauen und diese dann zu verbinden, das kann einfach nicht gut gehen.«

Trotz der rigiden Sparvorschriften der Kostenträger forciert die medizintechnische Industrie die Weiterentwicklung ihrer Technologien. Doch immer wieder stoßen innovative Anbieter an die Grenzen des Marktes. »Selbst wenn ein Krankenhaus einen Lithotripter geschenkt bekommt, darf es ohne Genehmigung keine Behandlung abrechnen«, entrüstet sich Helmut Wurster, F&E-Chef des mittelständischen Medizingeräteherstellers Richard Wolf GmbH in Knittlingen. Aber das Geschäft der Schwaben mit den Geräten, die fast schmerzlos Steine in Niere, Galle und Bauchspeicheldrüse zu winzigen Fragmenten zerstäuben, floriert im Export. Zwei Drittel der Branchenproduktion gehen ins Ausland, überwiegend in die USA und die EG-Staaten, aber immer mehr auch nach Japan (siehe Tabelle oben).

Hierzulande dagegen müssen selbst hochkarätige Branchenleader den politischen Entscheidern medizintechnische Investments wie mit Gebetsmühlen offerieren. Verspricht Siemens-Medizinvorstand Werner Maly in Richtung Bonn: »Der Einsatz moderner Technik kann die Medizin effizienter im Sinne der Heilungschancen, humaner im Sinne einer geringeren Belastung des Patienten und ökonomischer im Sinne volkswirtschaftlicher Gesamtkosteneinsparungen machen.«

Der Chef der Siemens-Med-Division in Erlangen, dem auch eine riesige Entwicklungsabteilung in den USA untersteht, zielt mit seiner Aufklärungskampagne vor allem auf einen Effekt der neuen Verfahren ab, der mehr dem Patienten nutzt als dem Portefeuille des behandelnden Krankenhauses. Durch den Einsatz sogenannter gering-invasiver Methoden, etwa der Erweiterung verengter Herzkranzgefäße mittels eines durch die Adern eingeführten Ballonkatheters, lassen sich die stationären Liegezeiten drastisch verkürzen. Das nutzt auch der Wirtschaft, denn die im High-Tech-Hospital versorgten Kranken werden viel eher an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Auch für die Gesundheitsvorsorge eröffnen sich neue Perspektiven. Ein Techno-Beispiel par excellence: Durch gezielten Einsatz hochentwickelter Früherkennungstechniken – etwa der digitalen Subtraktionsangiographie (DSA), einer softwaregestützten Röntgentechnik zur Untersuchung der Blutbahn – kann der Arzt rechtzeitig feststellen, ob er einen Risikopatienten mittels Katheter und Ultraschall-Entkalkung der Herzklappen vor dem drohenden Infarkt bewahren muss.

Intensivschwestern bekommen stressärmere Arbeitsplätze

In der Notfallmedizin stehen ebenfalls Innovationssprünge ins Haus: Bis zu 80 verschiedene Versorgungs-, Analyse- und Überwachungsgeräte finden sich heute in den Intensiv- und Anästhesieabteilungen moderner Krankenhäuser. Sie liefern Daten über Puls, Blutdruck, Atmung, Herzströme, Zusammensetzung der ausgeatmeten Luft und andere Parameter; sie pumpen frisches Blut und Medikamente in die Venen, liefern sterile Atemluft mit optimaler Temperatur und Feuchtigkeit, steuern die Narkose.

Doch die ausgefeilte Technik hat auch ihre Tücken, die im Ernstfall lebensgefährlich sein können. Jedes Gerät besitzt seine eigene Bedienlogik, ein unabhängiges Alarmsignal für den Notfall und ein eigenes Dokumentationssystem. »Mit solchen Arbeitsplätzen sind Schwestern und Ärzte völlig überfordert«, wettert der Ulmer Anästhesie-Spezialist Wolfgang Friesdorf. Die Tätigkeit an diesen High-Tech-Arbeitsplätzen, die schon der Verantwortung wegen mit enormem Stress verbunden ist, soll bald leichter werden – und damit sicherer für den Patienten. Unter Leitung von Friesdorf entwickelt eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe den Intensiv- und Narkosearbeitsplatz für das Krankenhaus der Zukunft.

Das Team von Ärzten, Pflegekräften, Ingenieuren und Informatikern hat dabei die Integration der vielen Komponenten im Sinn. Das Personal soll sich wieder auf die Patienten konzentrieren können statt auf die Geräte. Darum legen die Ulmer Forscher auch besonderes Gewicht darauf, dass neue Kräfte sich an den Systemen leicht einarbeiten können. Ein Prototyp für den Einsatz in der Intensivstation existiert bereits. Jetzt steht bei den Sponsoren B. Braun Melsungen AG und Drägerwerk AG die Umsetzung in Einzelprodukte an, die mit dem Gesamtkonzept kompatibel sind – beispielsweise integrierte Infusions- und Beatmungssysteme, die sich nahtlos in den Stationszusammenhang einfügen lassen.

Mit der neuen Technik kann die Intensivschwester an jedem beliebigen Bett der Station auf dem Monitor feststellen, welches Ereignis – etwa ein Herzanfall oder eine abgerissene Infusionsnadel – bei welchem Patienten gerade einen Alarm ausgelöst hat und ob es nötig ist, alles stehen und liegen zu lassen, um sofort den Arzt zu rufen. Alle Geräte sind nach demselben Bedienungsprinzip aufgebaut und liefern ihre Informationen an einen zentralen Computer, der nach einem vorgegebenen Schema die Alarme unterschiedlicher Notfallstufen weiterleitet.

Diesem Trend entsprechend hat der amerikanische Konzern Hewlett-Packard, der in Deutschland eine große medizintechnische Abteilung unterhält, die neueste Generation seiner Patientenüberwachungssysteme völlig flexibel gestaltet: Alle Messwerte – etwa Hirnstrom, Blutdruck, Puls, Temperatur oder Luftsauerstoff – laufen in einer einzigen Workstation zusammen. Ordnet der Arzt die Kontrolle eines zusätzlichen Parameters an, braucht die Schwester nur das entsprechende Modul in das Gerät einzuschieben.

Die nächste Stufe der Integration: Blutwerte aus dem Labor werden künftig per Datenübertragung in den Operationssaal gemeldet und wandern – um neue Fakten angereichert – nach der Überführung des Patienten in alle relevanten Kanäle des Krankenhausapparates. Der Computer druckt automatisch das Krankenblatt aus, Ärzte diktieren ihre Befunde über Spracherkennungssysteme direkt in den PC. »Das i-Tüpfelchen«, illustriert Wolfgang Bayer, Medizin-Marketingchef bei der Hewlett-Packard GmbH in Bad Homburg, »ist der Multimedia-Befund, in dem die Diagnosedaten aus der Praxis des niedergelassenen Arztes mit denen aus dem Krankenhaus verknüpft werden.«

Wie sehr sich das Management der Krankenanstalten im Zuge der Integration an Modelle aus der Industrie annähert, zeigt sich auch im Bereich der Personal- und Ablaufplanung. Just-in-time läßt der Computer die Patienten zur richtigen Untersuchung antreten, damit die Ärzte und Schwestern keinen kostspieligen Leerlauf produzieren. Stehen einmal wenige Untersuchungen auf dem Programm, kann der allwissende Klinikrechner dem Chef sogar vorschlagen, einigen Schwestern endlich den lange aufgeschobenen Überstundenausgleich zu verordnen.

Diese Möglichkeiten des Kapazitätsmanagements findet auch der Vorsitzende der Berufsvertretung Marburger Bund verlockend. Bestätigt Frank Ulrich Montgomery mit Blick auf das vernetzte Krankenhaus: »Solange wir nicht mehr Kollegen bekommen, ist die Informationstechnologie die wirksamste Medizin gegen den Personalinfarkt im Pflegebereich.«

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