Verpackungen: Ideen im 6er-Pack

Nach Jahrzehnten sorglosen Umgangs mit Blistern, Folien und Schachteln entdeckt die Industrie den Kostenfaktor Verpackung. Neue Konzepte reduzieren nicht nur den Müllberg, sondern verbessern oft auch die Rendite.

 

Top Business 9/1992

Vor den Werbebotschaften des amerikanischen Markenartikels Procter & Gamble (P & G) gibt es kein Entrinnen. Egal, ob in Funk oder Fernsehen, mit Produkten wie Ariel und Pampers, Valensina und Blendamed, Meister Proper und Wick präsentiert sich der Waschmittel- und Fruchtsaftmulti auf allen Kanälen in Überlebensgröße.

Im Handel allerdings macht sich der 30-Milliarden-Dollar-Konzern zusehends dünn. Erst wurden die meterlangen Regale mit seinem Weichspüler Lenor immer kürzer. Dann schrumpfte der Platz in den Supermärkten, den P&Gs Waschpulverpaletten ausfüllten, um mehr als ein Drittel zusammen. Schließlich war sogar beim bekanntesten Produkt des Hauses, den Pampers-Windeln, buchstäblich die Luft raus: Plötzlich stapelten sich die Windelpakete in den Drogeriemärkten nicht mehr an der ganzen Schaufensterfront bis unter die Decke, sondern ducken sich unauffällig in eine Ecke.

Hinter dieser neuen Bescheidenheit an der Verkaufsfront verbirgt sich aber nicht etwa ein Umsatzrückgang des Konsumgütergiganten aus Cincinnati/Ohio auf dem deutschen Markt. Im Gegenteil – die Procter & Gamble GmbH aus Schwalbach am Taunus realisiert gerade mit ansehnlichem Erfolg eine neue Marketingstrategie. „Für viele Verbraucher ist Umweltverträglichkeit einer der wichtigsten Faktoren bei der Kaufentscheidung“, hatte Konzernchef Edwin L. Artzt vor zwei Jahren seine Mitarbeiter ermahnt, „bei allem, was wir tun, müssen wir Umweltgesichtspunkte in unsere Überlegungen einbeziehen.“

Auf diesem Gebiet freilich macht die deutsche Dependance längst der US-Mutter etwas vor. Denn die Innovationen, mit denen die Schwalbacher Entwicklungsabteilung in den vergangenen Jahren aufwarten konnte, haben nicht nur das Öko-Image des Unternehmens aufpoliert, sondern auch zu Materialeinsparungen in Millionenhöhe geführt. Gemeinsamer Nenner ist die drastische Verdichtung der Produkte. Kompaktwaschmittel ohne Füllstoffe, Weichspülerkonzentrat in der Nachfüllpackung und luftleer gepreßte Windeln, die nur noch 50 Prozent des bisherigen Volumens ausfüllen. Von der Optimierung der Verpackungen profitieren alle Beteiligten – nicht nur die Kunden, deren Mülltonnen sich nicht mehr so schnell füllen. „Die Logistikkosten“, rechnet Klaus Dräger von Procters Abteilung für Umwelt- und Verbrauchersicherheit vor, „werden bis hinunter auf die Einzelhandelsstufe signifikant gesenkt.“

Beispiel Pampers: Seit die Windeln luftleer ausgeliefert werden,

• spart der Hersteller die Hälfte des Verpackungsmaterials ein;

• sind nur noch halb so viele Lastzüge für den Transport nötig, so daß bis zu 10.000 Tonnen Dieseltreibstoff pro Jahr weniger verbraucht werden;

• verdoppelte sich in den Windelabteilungen der Supermärkte der Quadratmeterumsatz.

Bei Weichspülern, die als Konzentrat in der Nachfüllpackung ausgeliefert werden, ist die Bilanz noch günstiger: Der Verpackungsabfall vermindert sich beim Ein-Liter-Refill gegenüber der Vier-Liter-Normalflasche um rund 80 Prozent. Auch der Transport- und Lageraufwand geht entsprechend zurück.

Der Wettbewerbsvorteil hält sich dennoch in Grenzen – alle großen Konkurrenten haben mittlerweile nachgezogen und auf Kompaktwaschmittel und Nachfüllbeutel bei flüssigen Reinigungsmitteln umgestellt. Neben den direkten Einsparungen haben die Hersteller übrigens ein weiteres handfestes Motiv, in die neue Abfülltechnik zu investieren: Nur so konnten sie einem staatlich verordneten Pflichtpfand auf ihre Kunststoff-Flaschen entgehen.

Die Macht des Handels

Nicht alle Branchen gehen das Thema Verpackung so offensiv an wie die Waschmittelproduzenten. Statt dessen ergreift nun zunehmend der Handel, dem Umweltminister Klaus Töpfers Verpackungsverordnung den Schwarzen Peter zugeschoben hat, die Initiative. Unabhängig vom Aufbau des „Dualen Systems Deutschland“ mit seinem „Grünen Punkt“ zwingen große  Handelsketten jetzt die Industrie, über umweltfreundlichere Verpackungsmethoden nachzudenken.

So konfrontierte die Rewe-Gruppe ihre Lieferanten mit einem umfangreichen Forderungskatalog zum Thema „Transportverpackungen, Umverpackungen und Verkaufsverpackungen – Vermeiden, Vermindern, Verwerten“. Unmissverständlich verlangt der Konzern darin eine Beschränkung „auf das zum Schutz der Ware sowie statisch/dynamisch und sicherheitstechnisch erforderliche Minimum“. Bis ins Detail diktiert der Zentralbereich Umwelt der Kölner Rewe Zentral AG den Herstellern, wie sie ihre Waren anzuliefern haben: Zur Sicherung der Ladung dürften nur Spannbänder verwendet werden und nicht die beliebten quadratmetergroßen Plastik-Schrumpffolien, unvermeidliche Folien sollten zumindest nicht auch noch eingefärbt sein.

Mit den sogenannten Umverpackungcn (etwa Schachteln um Zahnpastatuben), die der Handel seit April zurücknehmen muß, möchten die Kölner am liebsten kurzen Prozess machen. Bei der Sortimentsanalyse eines Kontra-Markts entdeckten die betriebsinternen Umweltschützer 930 Artikel mit Umverpackungen, von denen sie nur in 17 Fällen einen Verzicht für ausgeschlossen hielten. Mögliche Reduktion: 98 Prozent.

Inzwischen zeigen die Vorstöße von Konzernen wie Rewe und Tengelmann Wirkung. Der Hamburger Lebensmittelriese Unilever beispielsweise verzichtet bei seiner Edeleiscreme „Langnese Carle d’Or“ neuerdings auf die Pappschachtel und klebt nur noch Papieretiketten auf die Kunststoffboxen.

Der Trend zum sparsameren Umgang mit Verpackungsmaterialien und zu umweltgerechteren Technologien beschränkt sich allerdings nicht allein auf die Umverpackungen. Die Schokoladenfabrik Alfred Ritter GmbH & Co. KG im württembergischen Waldenbuch, die bisher ihre quadratischen Süßigkeiten in eine Verbundfolie aus Papier, Aluminium und Polypropylen (PP) einwickelte, stellt derzeit ihre Packstraßen auf eine dünne, 3O Prozent leichtere Folie um, die ausschließlich aus PP besteht und recyclingfähig ist. Bei einem Durchsatz von einer Milliarde Stück – vom Minitäfelchen über Schokoriegel bis zum 100-Gramm-Block – spart das Unternehmen damit jedes Jahr mehrere hundert Tonnen Material ein.

Fragiles im Strohsack

Daß Plastikverpackungen ein schlechtes Image anhaftet, nimmt Jürgen Först in Kauf: „Wir wollten keine opportunistische Lösung, sonst hätten wir am Papier festgehalten.“ Först weiß sich auf dem richtigen Weg: Ritter hält sich vor der Entscheidung für Polypropylen vom Fraunhofer-Institut für Lebensmittel-Technologie und Verpackung in München eigens eine Ökobilanz erstellen lassen. Außerdem, so der Umweltmanager, schütze dieser äußerst dichte Kunststoff das Produkt besser: An Tankstellen, einem wichtigen Vertriebskanal für „Ritter-Sport“, könnten mit der neuen Verpackung keine Schadstoffe wie Benzol mehr aus der Luft in die Schokolade eindringen.

Der deutsch-schweizerische Ritter-Konkurrent Jacobs Suchard AG hält dagegen bei seinen Milka-Tafeln noch an der traditionellen Stanniol-Papier-Kombination fest. Die einzig nennenswerte Neuerung besteht darin, daß das Papier jetzt mit umweltfreundlichen, fettlöslichen Farben bedruckt wird. Beim Kaffee aber (Hauptmarken: Krönung, Onko) greift bereits das im vergangenen Jahr angekündigte Umweltschutzprogramm „EFP“ (Environmentally Friendly Packaging).

In diesem Produktbereich will das Unternehmen, das mehrheitlich zum US-Genußmittelkonzern Philip Morris gehört, noch 1992 den Verbrauch an Verpackungsmaterial auf 15.000 Tonnen pro Jahr senken – das wäre immerhin eine Reduktion um 25 Prozent gegenüber 1989.

Während die Hersteller von Nahrungsmitteln und Haushaltsprodukten nach und nach erkennen, wie sie mit weniger aufwendigen Verpackungen nicht nur ihr Image verbessern, sondern auch Geld sparen können, halten viele Anbieter von Investitionsgütern es bereits für eine Errungenschaft, daß ihre Kartons jetzt einen höheren Anteil Altpapier enthalten oder daß sie auf Mehrwegpaletten umgestiegen sind. Selbst multinationale Großunternehmen mit renommierten Forschungsstäben wie die Computerproduzenten IBM oder Hewlett-Packard (HP) tun sich schwer mit Innovationen auf so banalen Gebieten wie Verpackung. So verwarf das IBM-Warenverteilzentrum (WVZ) im hessischen Nieder-Roden die an sich pfiffige Idee, Popcorn anstelle von Polystyrolchips als Füllmaterial zu verwenden – die Maisflocken würden nämlich Ratten und Ungeziefer anlocken. Und HP mußte sich unlängst von einem japanischen Konkurrenten öffentlich dafür vorführen lassen, daß die Tintenpatronen ihres Druckers „Deskjet“ gleich dreifach verpackt sind und daß sich im Laufe der Zeit die etwa 50fache Müllmenge im Vergleich zum Japan-Produkt ansammele.

Dabei gibt es – zumindest für den Transport von hochwertigen Geräten – längst clevere Ideen, wie sich Verpackungsabfälle vermeiden lassen. Ein mittelständischer Hersteller von Personalcomputern, die Peacock Computer GmbH im westfälischen Wünnenberg-Haaren, sichert seine Geräte bereits seit Ende 1990 mit Mehrweg-Packmodulen. Diese wurstförmigen Gebilde, die sich beliebig zusammenstecken und zerlegen lassen, sind fünfmal so teuer wie die üblichen Einweg- Styroporpolster, amortisieren sich aber durch vielfachen Rücklauf.

Eine andere Möglichkeit, teure Technik umweltfreundlich zu transportieren, stammt von der Biopack Verpackungs-GmbH & Co. KG aus Lippstadt. Mit ihren kompostierbaren Säckchen aus Manilafaser-Zellstoff, die mit gehäckseltem Stroh gefüllt sind, verpackt beispielsweise Siemens-Nixdorf Computerteile. Das BMW-Werk Dingolfing verwendet das BioPack-Material beim Transport von Windschutzscheiben, außerdem arbeiten eine Reihe von Pharmaherstellern damit.

Die besten Ideen kommen indes nicht immer von den Verpackungsherstellern oder aus den zentralen Entwicklungsabteilungen. Oft ergeben sich verblüffend naheliegende Ideen aus der Praxis – wie das Beispiel des Geschäftsbereichs Medizintechnik der Bad Homburger Hewlett-Packard GmbH beweist. „Der Außendienst hat darauf gedrängt, daß sich etwas ändert“, berichtet Hans-jürgen Henritzi, als Projektleiter zuständig für die Betreuung der HP-Kunden im Bereich Patientenmonitoring, „weil die Müllberge endlos wurden.“

Chancen für Biohüllen

Die Homburger machten aus der Not eine Tugend und entwickelten gemeinsam mit dem Werk ein neues Transportsystem, das ohne die Massen von Styropor auskommt, mit denen früher die empfindlichen Instrumente geschützt wurden. Statt einzeln verpackte Komponenten erst in der Klinik zusammenzusetzen, schickt HP die Patientenmonitore jetzt betriebsfertig montiert in  Spezialcontainern an die Intensivstationen. Im Krankenhaus fällt praktisch kein Müll mehr an, die Apparate werden jetzt mit Mehrweg-Schaumstoffkeilen gesichert.

Solche Innovationen funktionieren freilich nur, wenn alle Abteilungen in einem Unternehmen mitspielen. So erkaufte sich HP die geringeren Verpackungskosten mit einem höheren Personalaufwand, und das Werk mußte sich aufs Just-in-time-Prinzip umstellen, weil es keine Kartons mehr gibt, in denen die Ware im Lager gestapelt werden könnte. Henritzi ist sich jedoch sicher, daß das Projekt nach der Erprobungsphase in Deutschland und den Niederlanden generell eingeführt wird. Die großen Impulse auf diesem Sektor sind gleichwohl eher von der Konsumgüterindustrie zu erwarten, weil dort der Kostenfaktor Verpackung weit mehr ins Gewicht fällt als bei den Investitionsgüterherstellern.

Der Zwang zur Innovation wird sogar noch größer, denn das „Duale System Deutschland“ (DSD) will, so sein Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Rüschen, die Gebühren für den „Grünen Punkt“ nicht allein nach dem Volumen des zu entsorgenden Packungsmülls kalkulieren, sondern auch nach den Kosten seiner Verwertung. Und dabei schneiden einige der heute verwendeten Kunststoffe nicht allzu gut ab: Sie eignen sich, wenn sie überhaupt  nutzbringend verwertet werden können, nur zum „Downcycling“ – einem Recycling auf niedrigerem Niveau, also etwa zur Produktion von Palettenklötzen. Selbst wenn höherwertige Güter dabei herauskämen, meint der Friedrichshafener Unternehmensberater Siegfried Dornburg, sei dies der falsche Ansatz: „So viele Parkbänke können wir gar nicht aufstellen.“

Dornburg propagiert den Einsatz nachwachsender Rohstoffe für Verpackungen, und damit meint er nicht die vielzitierten Pralinenkartons aus Maisstärke oder Popcorn als Puffer für Computer, sondern biologisch abbaubare Polymere (siehe TopBusiness/Industriemagazin 9/1991). Noch sind diese Materialien, die sie beispielsweise von der italienischen Montedison-Gruppe, der Deutschen ICI GmbH und der EMS-Chemie AG im schweizerischen Domat produziert beziehungsweise entwickelt werden, recht teuer und nicht für alle Anwendungen geeignet. Doch ist der Fortschritt unübersehbar. Für Dornburg liegt hier die Zukunft. „Es gibt eigentlich gar kein  Verpackungsproblem“, glaubt der Berater, „nur ein Werkstoffproblem.“

Ulf J. Froitzheim


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