CeBIT-Special – Kritische Nabelschau der Computerwelt

Auf der CeBIT drängelt sich alles, was in der Branche Rang und Namen hat. Allerdings wird auch immer offener Kritik laut – Grenzen des Wachstums?

Top Business 2/1993

Wer heute mit einem Computerspezialisten innovative Trends bei Hardware oder Software diskutieren will, erntet höchstens noch ein mitleidiges Lächeln. Um ernstgenommen zu werden in der Fachwelt, muß er über Multimedia und Systemintegration reden, am besten aber über Themen wie Vernetzung und Kommunikation parlieren können. Tatsächlich attestieren Markt-forscher diesen Sparten der Informationstechnik noch ein solides Wachstumspotential – wogegen mit traditioneller Rechner-Hardware kaum noch Geld zu verdienen ist.

Was Wunder, daß sich auch die CeBIT mehr denn je als Pflichtveranstaltung für Computervernetzer zu profilieren sucht und gleich vier Hallen der Telekommunikation widmet. Auf Jürgen Müller, Marketing Communications Manager der Novell GmbH in Düsseldorf, machen die neuesten Anstrengungen der Niedersachsen allerdings keinen Eindruck mehr. Nach der CeBIT 1992 zog der Messeverantwortliche des führenden deutschen Anbieters von Personalcomputer-Netztechnik einen Schlußstrich unter das Thema „Hannover“. „Etwa 30 Prozent der Messebesucher waren an Netzen interessiert, und nach unseren Stichprobenzählungen waren die wohl alle auch bei uns auf dem Stand“, denkt Müller nur noch mit Grausen an jene Horden von Seh-Leuten, die es unmöglich machten, „ein ruhiges Wort mit wirklich interessierten Kunden zu wechseln.“

Jetzt investiert Müller, der voriges Jahr 1,1 Millionen Mark für die Hannover-Teilnahme berappen mußte, sein Budget in kleinere Fachmessen und -kongresse, bei denen ein Dialog mit dem Kunden noch ohne Hetze und Gedrängel möglich ist.

Den Mut, die frühjährliche Massenveranstaltung an der Leine ganz der Konkurrenz zu überlassen, bringen freilich nur wenige Manager der informations- und kommunikationstechnischen Industrie auf. Präsenz um jeden Preis ist angesagt; schließlich ist die CeBIT die größte Computermesse der Welt – und eine der publikumswirksamsten Branchenschauen überhaupt. Heuer präsentieren sich auf 320.000 Quadratmetern Nettofläche 5600 Firmen – zwei neue Rekorde, die freilich weniger mit einer entsprechenden Nachfrage aus der Computerindustrie zu tun haben als mit dem Einzug von immer mehr Telekom-Endgeräten oder Satellitenschüsseln ins Messeangebot sowie mit der Öffnung Osteuropas.

In der DV-Branche Osteuropas ist „CeBIT“ zum Reizwort geworden – kaum ein Aussteller, der nicht hinter vorgehaltener Hand über ausufernde Personal- und Reisekosten schimpft. Noch unterzeichnen die Manager der DV-Industrie zähneknirschend die Millionenbudgets für ihre Hannover-Beteiligung. Ihre Kundschaft jedoch beginnt bereits zu sparen. Viele Anwenderfirmen werden diesmal wohl mit stark verkleinerten Delegationen anreisen. Sogar Messevorstand Hubert H. Lange warnte deshalb unlängst vor übertriebenen Hoffnungen: Der Gästerekord von 1992, ließ er wissen, sei ein „Ausreißer“ gewesen. Im neuen Jahr erwarte die Deutsche Messe AG nur noch „knapp über eine halbe Million Besucher“.

Dieser Rückgang entfacht indessen aufs neue die Diskussion um eine von vielen Beteiligten für nötig gehaltene Konzeptänderung der CeBIT. Nur gehen die Interessen auseinander: Während den am Massengeschäft und an Imageaufwertung interessierten PC-Herstellern gar nicht genug Publikum durch die Hallen geschleust werden kann, würden die Anbieter aus dem Investitionsgüterbereich die für sie ärgerliche Messetage am liebsten aus dem CeBIT-Kalender streichen.

Selbst die großen Verbände, von denen die CeBIT getragen wird, artikulieren inzwischen vorsichtig die Unzufriedenheit ihrer Mitglieder. So fragt Gotthard Graß, Sprecher des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) in Frankfurt am Main, „ob man alles im jährlichen Rhythmus ausstellen muß“. Eine consumerorientierte Computer- und Telekom-Branchenschau sei für die Produzenten von Mobiltelefonen, Faxgeräten oder PC zwar das Richtige, meint der ZVEI-Mann. Doch weniger glücklich seien damit die Lieferanten der Telekommunikationsinfrastruktur – also jener komplizierten Netze aus Kabeln, Computern und Funkstrecken, von denen meist nur die kleine weiße Anschlußdose in seiner Wand zu sehen ist.

Ulrich G. Schneider, Geschäftsführer des Bundesverbandes Büro- und Informationssysteme, sieht zwar die CeBIT auch künftig als „Welt messe Nummer eins“, diagnostiziert aber in der Branche bereits einen Trend zur Spezialmesse mit präziserer Fokussierung auf ihre Zielgruppen: „Die Messelandschaft wird sich verändern.“

Und noch ein weiterer Interessenkonflikt droht zwischen Messeleitung und Industrie. Seit alle paar Monate schnellere Prozessorchips und verbesserte Software auf den Markt drängen, können es sich die Firmen nicht mehr leisten, mit ihren Neuerungen eine jährliche Messe abzuwarten. Kleine Kongreßmessen für Spezialisten schließen zusehends diese Marktlücke. Elitäre Veranstaltungen wie die Konferenz der German Unix User Group (Guug) oder die Netzmesse Networld stehen bei der jeweiligen Zielgruppe immer höher im Kurs.

Dieser Trend spiegelt zwar eine allgemeine Erscheinung, die nicht nur die CeBIT trifft. Doch nachdenklich machen sollte er die Hannoveraner Messe-Manager allemal.

Ulf J. Froitzheim

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