Über die Photo CD, ein elektronisches Fotoalbum, will der Kodak-Konzern sein Geschäft mit chemischem Film absichern und gleichzeitig vom Multimedia-Boom profitieren. Doch erst auf lange Sicht verspricht der digitale Zwitter auch Gewinne.
Die Jubiläumsfilme waren längst im Kino angelaufen, unzählige Reden auf unzähligen 500-Jahr-Feiern schon geschwungen, da leistete Leo J. („Jack“) Thomas noch einen späten Beitrag zum Kolumbus-Jahr. „Es ist, als hätten wir einen neuen Kontinent entdeckt, auf dem die Felder unserer Möglichkeiten nur durch die Phantasie begrenzt sind“, schwelgte der Präsident des Geschäftsbereichs Imaging der Eastman Kodak Company in Metaphern.
Was den amerikanischen Topmanager zu solch orakelhaften Formulierungen inspirierte, ist die vielseitigste Erfindung, die seine Entwicklungsingenieure seit langem auf die Beine stellten: eine bespielbare Compact-Disc, die konventionelle Fotos in die Welt der Elektronik integrieren soll.
Für Kodak, den diversifizierten Mischkonzern, dessen lebenswichtiges Kerngeschäft mit Filmen und Fotopapier seit Jahren unter Wachstumsschwäche leidet, ist die goldglänzende Photo CD nichts Geringeres als eine Brücke in die digitale Zukunft. Denn wenn Jack Thomas‘ Pläne aufgehen, wird die zwölf Zentimeter große Laserscheibe nicht etwa nur eine kleine Marktlücke stopfen. Als elektronischer Tausendsassa soll sie jeden ansprechen, der im Beruf oder in der Freizeit mit Fotos umgeht.
Die Photo CD ist für Kodak das strategische Produkt der 90er Jahre schlechthin: Vom Erfolg der seit September laufenden Einführungskampagne hängt ab, ob der Konzern aus Rochester seinen traditionsreichen Namen auf Flop oder Top verwettet hat.
Viele Fachleute sehen in der Verknüpfung von traditioneller Fotografie mit digitaler Weiterverarbeitung tatsächlich das Ei des Kolumbus. Denn anders als noch vor ein paar Jahren glaubt in der Branche heute niemand mehr so recht daran, daß das einst hochgelobte Still-Video, das filmlose Fotografieren auf lichtempfindliche CCD-Sensoren (charge coupled-device), in absehbarer Zeit den traditionellen Silberhalogenid-Film verdrängen könnte. So reicht das Auflösungsvermögen der CCD-Sensoren für anspruchsvolle Anwendungen bei weitem nicht aus, um mit dem herkömmlichen chemischen Filmstreifen zu konkurrieren.
Dies war Kodak-Entwicklungsmanager Stephen Stepnes und seinem Kollegen Scott Brownstein bereits 1989 klar. Das Gespann aus Rochester verfiel deshalb auf den an sich naheliegenden Gedanken, die Vorteile von Chemie und Elektronik zu einer preiswerten Hybridlösung zu verschmelzen. Stepnes damals siegessicher: „Wir ändern die Spielregeln.“ Und bereits ein Jahr später präsentierten die Tüftler den Prototypen eines Photo-CD-Abspielgerätes für die Diaschau auf dem Fernseher.
Profis im Visier
Seither ist die neue Technik, bei der herkömmliche Dias, Negative oder Abzüge erst nachträglich digitalisiert und als schier endlose Folge von Bits in die CD eingebrannt werden, Dauerthema von Amateur- und Berufsfotografen. Zwar nimmt die Stuttgarter Kodak AG mit einer millionenschweren Annoncenkampagne vor allem Hobbyfotografen ins Visier, damit sich diese ihre „Fotos live on TV“ ansehen – und dann möglichst vor lauter Begeisterung noch mehr Kodak-Filme verknipsen als bisher.
Dennoch ist das Angebot des Fotoriesen heute in erster Linie für gewerbliche Nutzer interessant. Die Kosten für eine CD mit 100 Bildern liegen nämlich mit 120 bis über 200 Mark noch auf einem Niveau, das fast nur diejenigen akzeptieren, die mittels dieser Investition Geld verdienen können.
Für diese Zielgruppen hat Kodak neben der Basisausführung, also dem elektronischen Fotoalbum für den Amateur-Lichtbildner, vier Spezialversionen mit einer Reihe von Extrafunktionen in petto. So sollen künftig Berufsfotografen, Bild- und Werbeagenturen, Verlage und Druckereien eine Profi-Variante der goldenen Disc als vergleichsweise preiswerten, robusten und praktischen Datenträger nutzen. Und weil Kodak bei dieser Klientel ohnehin fest etabliert ist, rechnet sich das Unternehmen gute Chancen aus, seine „Pro Photo CD“ rasch als neuen Industriestandard zu etablieren. Von der Kamera des Fotografen bis zum bedruckten Papier – so das Ziel des Konzerns – soll es für alle Glieder der „Imaging Chain“ (Bildverarbeitungskette) passende Kodak-Produkte geben.
Tatsächlich haben sich die PhotoCD-Strategen für jeden Anwender spezifische Argumente ausgedacht. Den Fotografen locken sie damit, daß er seine kostbaren Originale nicht mehr aus der Hand zu geben braucht. Bildagenturen ködert Kodak mit der Aussicht, in eiligen Fällen die Fotos aus ihrem CD-Player per Datenleitung direkt in den Computer des Kunden zu überspielen. Verlage bekommen ein Werkzeug, um farbige Magazine im Eiltempo von A bis Z am Bildschirm zu produzieren, weil die Fotos im CD-Zeitalter nicht mehr zum lithographieren außer Haus gegeben werden müssen, sondern direkt von der Disc des Fotografen in die Layout-Software eingespeist werden können.
Um besonders gravierende Einsparungen geht es bei den Werbeagenturen: Wenn jedes gute Landschaftsmotiv aus dem CD-Archiv als Kulisse für Reklamefotos genutzt werden kann, brauchen die Artdirektoren nicht mehr komplette Aufnahmeteams um den halben Globus zu schicken, um etwa ein Auto unter Palmen abzulichten. Statt dessen fälschen sie den Shot täuschend echt am Computer. Die Manipulation von Bildern, an der Kodak mittels Photo CD und spezieller Bildbearbeitungscomputer verdienen will, liegt voll im Trend: Schätzungen zufolge werden schon jetzt 70 Prozent aller Farbbilder elektronisch nachbearbeitet, sei es in Form des Photocomposing (digitale Fotomontage), der Retusche oder der Farbverbesserung.
In naher Zukunft soll die Stepnes-Erfindung aber auch in völlig neue Märkte vorstoßen. Ersatzteilkataloge, Reparaturanweisungen oder Seminarunterlagen können in kleinen Auflagen auf der Photo CD verbreitet werden, auch Sprachkurse oder Reiseführer sind in der Planung. Auf der „Portfolio Disc“, einer Spezialversion der Laserscheibe, können dazu Bilder, Texte und Ton beliebig kombiniert werden, während die normale Amateur-CD auf Bilddaten beschränkt ist.
Kataloge per Disk
Sogar im Krankenhaus wird die Photo CD bald anzutreffen sein – als „Medical“-Ausführung für die Speicherung von Röntgen-, Ultraschall- oder Computertomographie-Bildern und Patientendaten. Dieses System soll das bestehende Klinik-Sortiment von Kodak am unteren Rand ergänzen – im Gegensatz zu den bestehenden Produkten wäre eine Photo-CD-Lösung selbst für Gemeinschaftspraxen und kleine Hospitäler erschwinglich.
Zu einer wirklich runden Sache wird das Photo-CD-System allerdings erst, wenn es Kodak gelingt, kommerzielle und private Anwendungen miteinander zu verzahnen. Ideen dafür gibt es bereits. So könnten Versandhäuser ihre dicken Papierwälzer durch kompakte „Catalog CDs“ ersetzen, was nicht nur den Briefträger entlasten, sondern über das eingebaute Schlagwortverzeichnis auch die Suche nach einem bestimmten Produkt erleichtern würde. Voraussetzung dafür wäre freilich, daß genügend Haushalte über einen Photo-CD-Player verfügen.
Da genau aber hapert es noch. Die Preispolitik des Herstellers macht das „echte Privatfernsehen“ (Kodak-Werbung) für den Hobby-Fotografen zu einem kostspieligen Vergnügen – über 700 Mark kostet der einfachste Photo-CD-Player. Hinzu kommen ärgerliche Wartezeiten: Vier Wochen für die simple Überspielung einer Handvoll Dias auf CD sind keine Seltenheit. „Das Einscannen ist immer noch so zeitaufwendig, daß man mit wenigen Aufträgen ein Labor tagelang auslasten kann“, konstatiert der Münchner Fotohändler Hanno Barchmann. Dabei trifft die wenigen „Finisher“, die sich bereits eine Scanner-Station zugelegt haben, keine Schuld. Sie arbeiten bereits im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr.
Damit hatte Kodak nicht gerechnet: Weil sie von den Lieferfristen wissen, zögern viele Hobby-Lichtbildner mit dem Kauf eines Gerätes. Zudem hoffen sie auf sinkende Preise. Schließlich wissen sie aus Erfahrung, wie schnell neue Fotoapparate, Computer und CD-Player billiger werden. Ähnlich denken auch viele Foto-Finisher. Die Großlaboranten stellen die Anschaffung der teuren Scanner-Stationen erst einmal zurück und warten ab, ob sich die Systeme bei der Konkurrenz überhaupt amortisieren. Hinzu kommt, daß sich frühzeitig herumgesprochen hat, daß bereits 1993 eine leistungsfähigere Workstation auf den Markt kommen wird.
Warten auf den Massenmarkt
So köchelt das Amateurgeschäft mit der Photo CD erst einmal auf Sparflamme. Nicht einmal die japanischen Unterhaltungselektroniker wie Sony oder Matsushita bringen mit fotofähigen Musik-CD-Playern Bewegung in die Läden, kämpfen sie doch zu sehr mit ihren eigenen Sorgen, als daß sie schon jetzt Geld in die Entwicklung von Lizenzgeräten stecken würden. Nur Philips, Kodaks holländischer Entwicklungspartner, hat sich mit eigenen Photo-CD-Playern auf den Markt gewagt. Soll das Kodak-Geschäft mit CD-Katalogen ins Rollen kommen, braucht der Konzern dringend Konkurrenten, die der neuen Technik mit billigen Geräten den Massenmarkt eröffnen.
Schon werden Befürchtungen laut, die Einführung der Photo CD könne für Kodak zum kostspieligen Abenteuer werden. Es wäre nicht das erste: In den 80er Jahren fielen bereits die superflachen „Disc-Kameras“ mit ihren scheibenförmigen Filmen durch; der Einstieg ins Sofortbildgeschäft endete mit einer Verurteilung wegen Patentverletzung zu 900 Millionen Dollar Entschädigung an Polaroid. Außerdem investierte Kodak in eine Reihe von Verlustbringern in der Computerbranche.
Von Unkenrufen freilich will Jack Thomas, der Chef von Kodaks Bildersparte, nichts wissen. Unbeirrt rechnet er damit, daß die Photo CD seinem Unternehmen in wenigen Jahren ein Milliardengeschäft beschert: „Auch Farbfernsehen, Videorecorder und Audio-CD haben schließlich viele Jahre gebraucht, um den Markt zu durchdringen.“
Ulf J. Froitzheim
Eastman Kodak Company, Rochester/New York
❏ diversifizierter Mischkonzern mit Schwerpunkten Foto/Film und Chemie
❏ neue strategische Produkte: Photo CD, digitale Bildverarbeitungssysteme
❏ Ziel: mit elektronischen Produkten das Fotogeschäft abzusichern und mit einheitlichem technischen Standard Endverbraucher und Druckindustrie zu bedienen
❏ Erfolgsaussichten: rasche technische Dominanz bei professionellen Anwendungen, Massenmarkt jedoch noch in weiter Ferne
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