Druckvorstufe: Heiße Kartoffel

Multimedia schafft eine neue Branche. Die Abkehr vom Papier ist vorgezeichnet.

WirtschaftsWoche 28/1993

Bewerber haben bei Hartmut Pütterich schlechte Karten. Der Ex-Unternehmensberater, heute Geschäftsführer der SKU Repro GmbH in München, ist im Gegenteil froh, wenn einer seiner Mitarbeiter geht. Das Unternehmen, das aus Originalfotos und Grafiken Druckvorlagen für Verlage und Werbeagenturen herstellt, befindet sich auf einem strammen Konsolidierungskurs. Vor drei Jahren beschäftigte Pütterich noch knapp 100 Mitarbeiter, derzeit sind es 80, Ende des Jahres werden es nur noch 70 sein.

Damit steht SKU im Vergleich noch sehr robust da. Lutz Kredel, geschäftsführender Gesellschafter der Pre Print Publishing Consulting GmbH in Berlin, kennt Reprobetriebe und Setzereien, die ihre Belegschaft mehr als halbieren mußten. „Von denen hat nie einer an Innovationen gedacht“, stöhnt der Berater, „viel zu wenige in dieser Branche wissen, wo es langgeht.“

Die Misere der Unternehmen, die früher ehrfürchtig als Repro-, Litho- und Satz-Anstalten tituliert wurden, hängt eng zusammen mit dem rasanten technischen Fortschritt, der die sogenannte Druckvorstufe obsolet macht. Seit den siebziger Jahren, als der Fotosatz den Bleisatz verdrängte, löschen Computer und Software ein handwerkliches Berufsbild nach dem anderen aus.

Setzer wurden überflüssig, weil Redaktionen und Anzeigenabteilungen ihre Texte nur noch elektronisch anliefern. Metteure mußten erst lernen, mit dem Skalpell Fotosatzfilme zu umbrechen. Heute haben sie nur noch eine Chance, wenn sie Desktop-Publishing-(DTP-) Software am Bildschirm beherrschen. Als nächstes kam der Bildscanner, der die Lithographen arbeitslos machte. Von den vielen Berufen der Druckvorstufe bleibt lediglich der Druckvorlagenhersteller übrig, der alle Arbeitsgänge beherrschen muß.

Mit Hardware und Software der neuesten Generation verschwinden nun die letzten nichtelektronischen Glieder aus der Verarbeitungskette: Die Bildvorlagen werden bereits digitalisiert angeliefert – etwa auf einer Photo-CD – und direkt ins Layoutprogramm eingespielt; der Computer speist die Daten der fertig gestalteten Seite in ein Gerät, das alle Texte und Bilder mit Hilfe eines Laserstrahls unmittelbar in die Druckplatten fräst. Der chemische Film und mehrere Arbeitsschritte entfallen.

Um die wenigen verbleibenden Arbeiten ist mittlerweile ein Verteilungskampf ausgebrochen. Die Satzstudios, die immer öfter nur noch zum Umbrechen und Gestalten bereits erfaßter Texte gebraucht werden, versuchen, mit elektronischer Bildverarbeitung Boden gutzumachen. Doch hier treffen sie bereits auf Fotolabors, die derartige Dienstleistungen ebenfalls als zukunftsträchtig erkannt haben. Die Druckereien wiederum sehen in der technischen Integration der Arbeitsschritte eine Chance, Unteraufträge auf ein Minimum zu reduzieren und alles selber zu machen.

Tuncay Genceller, Mitinhaber der Reproline Offsetreproduktionen in München, glaubt aber, daß Spezialbetriebe mit Qualitätsanspruch ihren Erfahrungsvorsprung nutzen können. Die Newcomer würden bei anspruchsvolleren Aufträgen erst mal ins Schleudern geraten. „Wenn’s bei denen schiefgeht, dürfen wir die heißen Kartoffeln aus dem Ofen holen“, so die Erfahrung von Genceller.

Auch der Berliner Berater Kredel prophezeit eine Renaissance der Qualität. Doch in der Ferne sieht er bereits eine Entwicklung auf die Branche zurollen, gegen die alles bisher Dagewesene harmlos wäre: „Aus dem technologischen Zusammenwachsen der Sektoren Computer, Verlag, Film und Telekommunikation wird eine völlig neue Medienindustrie entstehen.“ In diesem Multimedia-Zeitalter geht der Trend – so Kredel – klar weg vom Papier. Der Berliner rechnet sogar mit einer Neuauflage der längst totgesagten Bildschirmzeitung.

Obwohl diese Veränderungen nicht blitzartig hereinbrechen werden, befaßt sich SKU-Geschäftsführer Pütterich bereits mit den denkbaren Optionen. „Wir haben Riesenchancen, mit unserem Potential neue Dinge anzugehen“, glaubt der Münchner. Zu diesen Ideen gehört , die Pflege elektronischer Bildkataloge, die per Datenleitung zugänglich sind. Was den papiernahen Bereich betrifft, ist Pütterich jedoch Pessimist. Wenn der Preisdruck anhalte, komme die elektronische Arbeitsteilung mit Billiglohnlandern wie der Türkei oder Tschechischen Republik. Das koste zwar Jobs, doch die Qualität müsse darunter nicht leiden: „Die Leute sind ja auch nicht dümmer als wir.“

Ulf J. Froitzheim

Printing on Demand: Immer frisch gedruckt

Es ist immer wieder der gleiche Balanceakt bei Druckwerken, die häufig aktualisiert werden müssen: Wenn die Auflage zu klein ist, muß nachgeordert werden, ist sie zu groß, landet der Überschuß im Altpapiercontainer. Doch jetzt können Fachverlage und Unternehmen, die Preislisten und technische Anleitungen herausgeben, beliebig kleine Auflagen nach dem aktuellen Bedarf drucken. „Printing on Demand“ (PoD) wird durch neue leistungsstarke Laserdrucker möglich, die bis zu 340 Seiten pro Minute – fast sechs Seiten pro Sekunde – ausspucken. Sogar doppelseitiger DIN-A3-Druck und Farbdrucke sind möglich, und zum Schluß wird alles noch vollautomatisch gefalzt und ordentlich zusammengeheftet. Im Angebot haben derartige Drucker Siemens-Nixdorf, Kodak und Rank Xerox.

Die Oracle Corp., einer der größten Anbieter von Datenbankprogrammen, gehört zu den ersten Nutzern von PoD. Sie druckt zu jeder erdenklichen Konfiguration das exakt passende Handbuch in der gewünschten Länderversion. Nur die Manuals für das Standardprogramm werden noch auf Vorrat gedruckt.

Auch der auf Patentschriften spezialisierte Wila Verlag W. Lampl GmbH in München macht sich das Potential der neuen Technik bereits zunutze. Wila beliefert Unternehmen wie Mannesmann, Thyssen, VW und Opel regelmäßig mit sauber gedruckten Kurzfassungen aller neuen Patentanmeldungen aus den jeweils abonnierten Fachgebieten. Hätten die Universitätsbibliotheken etwas üppigere Etats, könnten demnächst auch Studenten vom Printing on Demand profitieren.

Technisch ist es überhaupt kein Problem, ganze Fachbücher und Dissertationen PoD-gerecht zu speichern; an der Universität Dortmund gibt es bereits eine Pilotinstallation. Beim dezentralen Drucken aus dem Speicher des Bibliothekscomputers gehen die Verlage nicht leer aus: Sie bekommen für jedes ausgedruckte Stück ihren Obolus. UJF

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