Bill Gates: Größer als Muhammad Ali

ms-boss-chip1993Vor zehn Jahren startete Microsoft von München aus seinen außeramerikanischen Siegeszug. Anlaß genug für ein Dutzend Bosheiten über das beliebteste, meistgehaßte Softwarehaus der Welt – und über den MS-Boß.

Wenn es sogar Eliteblätter wie das Wall Street Journal und Business Week schreiben, muß wohl etwas dran sein. Also: William H. Gates der Dritte ist ein Genie. Billy weiß, was User wünschen. Intuitiv. Gates ist die Inkarnation des American Dream, ein Mega-Superstar, dessen kommerzieller Erfolg Madonna, Michael Jackson und Arnold Schwarzenegger als arme Wichte erscheinen läßt. Mit diesem Status darf er sich alle nur denkbaren Allüren erlauben. Am liebsten spielt Gates den Oskar Matzerath aus der „Blechtrommel“: Obwohl er mit 37 nun endlich erwachsen sein sollte, bleibt er der verzogene, unbeherrschte Lümmel aus der Vorstadt von Seattle, dem als Pennäler jeder Trick recht war, sich Rechnerzeit auf der PDP-10 zu erschleichen.

Sicher, Billyboy ist lieb und nett zu jedem, der ihm die gebührende Huldigung zuteil werden läßt. Dann und wann läßt er sogar so etwas wie Umgangsformen erkennen, aber nur, wenn er Lust hat. Wehe dem, der ihm kritisch kommt – da kann der Junge richtig jähzornig werden. Für seine aggressiven Auftritte liebt ihn das Publikum umso mehr, wie einst das Großmaul Muhammad Ali. Nur daß Gates‘ sich nicht erst das Hirn weichklopfen lassen mußte, um der Größte zu werden.

Der theoretische Milliardär

Daß er aber der reichste Milliardär Amerikas sei, gehört ins Reich der Fabel. Denn der oft zitierte astronomische Börsenwert seines Windows-Konzerns ist fiktiv. Bill und sein Spezi Paul Allen hatten einst die nach Microsoft-Dividenden lechzenden Börsianer recht clever mit einem Bruchteil der Aktien abgespeist. Die Rechnung ging auf – solange die Nachfrage an der Wall Street das Angebot übersteigt, bleibt der Kurs oben. Würfe Gates auch nur die Hälfte seiner Anteile auf den Markt, der Kursverfall würde ihn im Handumdrehen um eine Milliardensumme ärmer machen. Armer Bill-Ionär: Sein Reichtum existiert nur auf dem Papier der Forbes-Hitliste.

Millionen Kunden können nicht irren.

Mit Computern ist es wie mit dem Essen: Es muß kein Kaviar sein. Zum Beispiel hat jeder Erdenbürger, statistisch gesehen, mindestens sieben Mal bei McDonald’s gegessen – Bill Clinton noch öfter. Durch bewußten Verzicht auf große kulinarische Ansprüche und professionelle Werbung wuchs die US-Bullettenbraterei zum erfolgreichsten Gastronomieunternehmen aller Zeiten.

Ähnlich funktioniert das Marketing von Microsoft: Orientiere Dich nicht an den Bedürfnissen der Elite – wer mitreden kann, macht Dir bloß Ärger. Schau lieber dem Volk aufs Maul. Gib den Kunden, die der Qual der Wahl nicht gewachsen sind, das Gefühl, Du verstündest ihre Nöte – dann fallen mindestens 90 Prozent des Marktes vor Dir auf die Knie. Empfiehl Dich den Mühseligen und Beladenen als Seelsorger, und sie empfehlen Dich weiter. „Für die DV-Anwender“, schreibt die deutsche Microsoft GmbH in einer Einladung, „stellt sich in der gegenwärtigen Umbruchphase die Frage: Wie soll man sich im neuen Zeitalter der Unabhängigkeit von einzelnen Herstellern orientieren? Microsoft bietet diesen Anwendern Orientierung…“

Ist das nicht nett? Jetzt braucht wieder keiner selber zu denken, wie ehedem in der Großrechnerwelt von IBM.

Der Anwender haßt perfekte Software.

Man stelle sich einmal das Geschrei vor, wenn ein Kfz-Hersteller ein neues Auto ausliefern würde, dessen Räder bei Tempo 100 plötzlich blockieren oder dessen Airbag sich beim Betätigen des Blinkers aufbläst.

Großen Softwarehäusern nimmt vergleichbare Pannen niemand krumm. Kündigt ein so bekanntes Unternehmen wie Microsoft eine „New Technology“ an, gieren viele Anwender sogar danach, die Software als allerallererste zu bekommen, selbst wenn sie noch gar nicht fertig ist. Für diese Bitbastler gibt es nichts Schöneres, als höchstselbst an den Kinderkrankheiten herumzudoktern. Dafür wollen sie kein Geld, im Gegenteil, sie bringen sogar noch welches mit – etwa als Beitrag für eine User Group, deren Mitglieder an Vorabversionen herangelassen werden und darauf mächtig stolz sind. Allein an der Erprobung von Windows NT arbeiten 9.000 Kunden (weltweit 80.000) als „Betatester“ – während der von ihren Chefs bezahlten Arbeitszeit. Microsoft bekommt so nicht nur ein besseres Produkt, sondern spart zur Freude seiner Aktionäre auch noch ein hübsches Sümmchen.

Ach ja, was sagt eigentlich Hans Kamutzki, Geschäftsführer der Windows User Group, zum unfertigen NT? „Daß es noch nicht auf dem Markt ist, sehen wir mit Bedauern.“ Solche Verbraucherschützer braucht die Industrie.

Wir brauchen keine Visionen.

Die amerikanische Computerwissenschaft hat überragende Köpfe hervorgebracht, die mit ihren Visionen ihrer Zeit oft weit voraus waren. Alan Kay zum Beispiel, dessen „Dynabook“-Konzept schon in den siebziger Jahren den Personal Digital Assistant gedanklich vorwegnahm. Oder Adele Goldberg mit ihrer objektorientierten Programmierung. Sogar Steve Jobs, der im Xerox Palo Alto Research Center brachliegende Ressourcen entdeckte und im Macintosh auf den Markt brachte.

Keiner von diesen hochintelligenten Vordenkern spielt auch nur entfernt die Rolle in der Branche wie der schlaue Kaufmann Gates, dem visionäres Denken zutiefst wesensfremd ist. Sein Talent liegt woanders: Er wittert Geschäfte 5000 Meilen gegen den Wind.

Ein Visionär hätte schon 1981 erkannt, daß die 640 Kilobyte des Quick-and-Dirty Operating System (Q-DOS alias MS-DOS) zu wenig sind. Er hätte auch keine zehn Jahre gebraucht, um den technischen Vorsprung des Apple Macintosh aufzuholen. Und die berühmte Gates-„Vision“ namens „Information at your fingertips“? Das Werk eines pfiffigen Puzzlespielers: Der MS-Boß brauchte nur die vielen bunten Steinchen, die andere Leute gemeißelt hatten, zu einem hübschen Mosaik zusammenzufügen. Es ist das altvertraute Strickmuster von MS-DOS: Warum selber machen, was man kaufen kann?

Software vom Bill-igen Jakob

Wer reich ist, muß gönnen können. Selbstverständlich hat unser Freund Bill ein großes Herz für arme Anwender. Zumindest, wenn sie in Amerika wohnen. Damit sich die Kids nicht beim Piraten um die Ecke eine illegale Kopie kaufen müssen, gewährt er ihnen schon mal einen Supersondersubskriptionspreis von 99 Dollar für ein neues Datenbankprogramm, für das deutsche Anwender mit 995 Mark den sechsfachen Einführungspreis berappen sollen. Allerdings nur unter einer Bedingung: daß er mit seiner Offerte gleichzeitig einem frech gewordenen Konkurrenten wie Borland-Boß Philippe Kahn die Suppe versalzen kann.

Echt großzügig gibt sich Bill nur bei Großkunden. PC-Herstellern, die Zigtausende von Geräten in den Markt drücken, offeriert er verführerische Paketpauschalen für MS-DOS, Windows und Anwendungsprogramme. Die cleverste Idee ist die „DOS-Steuer“: Wer eine Betriebssystemlizenz für seine gesamte PC-Produktion erwirbt, zahlt durchschnittlich gerade noch 20 Mark für MS-DOS. Wundert sich da noch jemand, warum so wenige Händler DR-DOS anbieten?

Harte Einstiegsdrogen für Softjunkies

Als Hewlett-Packard-Chef Lew Platt im Juni stolz den Zwergcomputer Omnibook 300 präsentierte, der ab Werk mit DOS, Windows, MS-Word und Excel bestückt ist, wagte ein Reporter die häretische Frage: „Und wenn ich keine Microsoft-Programme mag?“

Solches sei, wurde dem Mann beschieden, eigentlich nicht vorgesehen, denn die ins ROM eingebrannte Software sei schließlich vom Feinsten; er könne sein Wunschprogramm ja in den Flash-Memory laden.

Allerdings schienen die Herren auf dem Podium, unter ihnen Bill der Größte, es eher als gelungenen Witz anzusehen, daß jemand einer anderen Softwaremarke den Vorzug geben könnte. Das Produktkonzept ist ja auch unmißverständlich: Wenn der Außendienst nur noch Microsoft hat, muß man eben die Computer im Büro an die Notebooks anpassen – statt wie bisher umgekehrt. Für Wordperfect, Lotus 1-2-3 und Paradox hieße das dummerweise „Delete“. Der nächste Schritt liegt nahe: Microsoft-ROMs auch für Desktop-PCs.

Wettbewerb der Halsabschneider

Unterstellt man ihm unfaires Verhalten gegenüber seinen Mitbewerbern, wird Bill Gates so aggressiv, als habe man mit der glühenden Nadel sein schlechtes Gewissen angepiekst. Die Vorwürfe sind nicht neu, aber ernst: Microsoft baue in seine Betriebssysteme geheime Funktionsaufrufe ein, die ausschließlich für die Entwickler von Word, Excel und Access bestimmt seien, störe mit verfrühten Produktankündigungen das Geschäft der anderen, reiße sich gute Ideen unter den Nagel, ohne sie gebührend zu honorieren. Inzwischen warnte Mike Maples, einer der einflußreichsten Microsofties, den Firmen Sun, Novell und IBM sogar unverblümt, daß künftige DOS- und Windows-Anwendungen auf deren Betriebssystemen nicht mehr laufen würden.

Im amerikanischen Slang heißt dieser Stil „Cutthroat Competition“; im deutschen bleibt die Gurgel heil: Verdrängungswettbewerb. Zwei der Unterlegenen versuchen es jetzt mit einer ungewohnten Taktik: Borland und Wordperfect verbünden sich gegen den großen Bruder. Sehr ungewöhnlich: Bei Bündnissen in der Softwareindustrie heißt einer der Partner sonst immer Microsoft.

Eine gute Rechtsabteilung ist Gold wert.

Alle wollen Microsoft ans Leder: Produktpiraten treiben den Konzern mit ihren MS-DOS-Blüten fast an den Rand des Ruins. Apple will beweisen, daß Windows ein Plagiat der Macintosh-Software ist. Ehemalige Geschäftspartner wie die Stac Electronic, deren Datenkompressor Stacker als Element von DOS 6.0 „Doublespace“ heißt, fühlen sich geprellt und ziehen rudelweise vor den Kadi. Nicht zuletzt hat die US-Kartellbehörde FTC Microsoft seit Ewigkeiten auf dem Kieker.

Bill, der Anwaltssohn, hat für so etwas seine Leute. Eine Rechtsabteilung mit hochprofessionellen Experten für prozessuale Retourkutschen, Dementis, Verzögerungsstrategien und Drohgebärden. Keine juristische Spitzfindigkeit ist ihnen fremd. Angreifer wie Stac etwa bringen sie mit Widerklagen einstweilen in die Defensive. Auch ausgebuffte Profis beißen sich die Zähne aus: Nicht einmal die cleveren Apple-Anwälte, die vier Milliarden Dollar Schadenersatz fordern, oder die FTC-Juristen haben bisher eine Handhabe gegen Gates‘ gnadenloses Geschäftgebaren gefunden.

If you can’t beat him, join him.

Macht macht platt – und sexy. So führt Microsofts stetiges Wachstum nicht nur dazu, daß kleine Softwarehäuser keine Geldgeber mehr finden, wenn sie gegen den Riesen aus Redmond anstinken wollen. Bei anderen Hardware- und Softwarefirmen wird das Gates-Unternehmen zusehends beliebter. Hasso Plattner, Vizechef von Deutschlands größter Programmiererei, der SAP AG in Walldorf, hat beispielsweise sein Herz für Windows NT entdeckt. Computerhersteller NCR ist „ein Herz und eine Seele“ mit Microsoft. Partnerschaften dieser Art sind, so Geschäftsführer Haink, das „Herz von Microsoft“. Poetisch, gell?

Wir kennen uns selbst nicht mehr

Wie alt ist eigentlich MS-Windows? Dieses Geheimnis verrät uns der Geschäftsführer der Microsoft GmbH, Jochen Haink, in einer Zeitungsbeilage zum Zehnjährigen seiner Firma: „Mehr als 6000 Programme gibt es für das erst drei Jahre alte Windows.“

Moment mal, so neu noch? Nein, Haink irrt. Die Werbeagentur weiß es besser: „1985 war das Mittel (gegen die Angst vor dem PC) erfunden: Microsoft Windows.“ Nee, stimmt doch noch immer nicht. Da haben wir’s: „Das Unternehmen verfolgt seine Ziele mit einer unbeirrbaren Beharrlichkeit. So haben wir etwa zehn Jahre an der Durchsetzung der graphischen Benutzeroberfläche für den PC gearbeitet – obwohl Windows in den Anfängen in keinster Weise die Akzeptanz erfahren hatte, die wir anstrebten.“ Dies schreibt wieder Haink, damals (wie weit über 90 Prozent der heutigen Mitarbeiter) noch längst nicht im Unternehmen. Aber jetzt hat er wenigstens den Richtigen gefragt.

NT: Der Anwender muß dran glauben

Vor ein paar Jahren erregte in der Wirtschaftspresse die Nachricht Aufsehen, daß einige der erfolgreichsten Computerunternehmen sogenannte Evangelisten beschäftigen – eine Art Business-Missionare, die frohe Botschaften über neue Technologien unter die Leute bringen. Besonders gelungen scheint dieser fromme Marketingansatz bei Microsoft, wo offenbar gleich ein Neues Testament (NT) geschrieben wurde: Mancher, für den Unix eine Glaubensfrage zu sein schien, hat sich bereits bekehren lassen.

Einem solchen Produkt steht gewiß eine große Zukunft bevor. Es müssen in der Softwarebranche einfach nur viele dran glauben.

Sie sind der oder die 1373. Leser/in dieses Beitrags.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert