SCHNEEBALL aus dem Netz

MyServiceMit dubiosen VERSPRECHUNGEN und zahlreichen Seminaren ködert ein virtuelles Unternehmen Promoter für einen Internet-Service, den es gar nicht gibt.

Der Handzettel war gut postiert: In der Online-Halle der Cebit Home, mitten auf dem Microsoft-Stand. „Eröffnen Sie Ihr eigenes Internet-Geschäft – nutzen Sie den „Markt der Zukunft“, hieß es auf dem Packen kopierter Recycling-Blätter, der urplötzlich im Prospektständer lag. Als Kontaktadresse nannte ein gewisser Uwe Tief (Name von der Redaktion geändert) Telefonnummer und E-mail-Anschluss.

Tief, freier Handelsvertreter aus Westfalen, hatte den Gates-Getreuen allerdings ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Die Microsoft-Standbesatzung, die von keinem um Erlaubnis gefragt worden war, zog den Papierstapel aus dem Verkehr – und sparte damit womöglich einigen Messebesuchern eine Menge Zeit und 670 Dollar.

Diesen Betrag – auf dem Handzettel als „minimale Investition“ kaschiert – muß erst einmal hinblättern, wer als Repräsentant der My Service Corporation aktiv werden will. Wie man danach „hohe Verdienstmöglichkeiten“ (Werbeaussage) nutzen kann, obwohl man den Service verschenken soll, erfährt man auf kostenlosen Seminaren, die Tief und einige Kollegen in Hotels in Deutschland, Österreich und der Schweiz abhalten.

My Service lockt Netsurfer mit „Pyramidensystem“

Dort lassen die Referenten – etwa die Augsburger Farbberaterin Eva Kornbrunner (Name geändert) – die Katze aus dem Sack: My Service, offiziell ein Anbieter von kostenloser Verbraucherberatung via Internet, betreibe sogenanntes Network Marketing.

Der Begriff hat nichts mit Datennetzen zu tun, sondern steht für pyramidenartig aufgebaute Organisationen, deren Angehörige umso mehr Geld erhalten sollen, je mehr neue Mitglieder sie werben. Wer an der Spitze der Pyramide steht, bekomme seinen Anteil an allen Einnahmen, die sämtliche unteren Ebenen – bei My Service sind dies acht – erwirtschaften.

Der Haken ist nur: Die lukrativste Position, genannt  President, ist längst besetzt, und zwar vom Gründer der Firma, einem gewissen Roman S. Folgt man der Selbstdarstellung der Firma, die als Hauptsitz eine Adresse an der Wall Street angibt und in Deutschland nirgendwo registriert ist, gebe es für Vice Presidents, Manager und Promoter freilich noch genug zu verdienen.

Zum einen erhalte jeder, der einen neuen Mitarbeiter anwirbt, einen Anteil an den 670 Dollar, die der neugeworbene Kunde für seinen „E-shop“ (eine Homepage) zahlt; zum anderen winke eine Provision von mindestens 45 Cent für jede via Internet vermittelte Beratung. Doch derlei Beratungen finden vorerst gar nicht statt. My Service kann keinen einzigen Rechtsanwalt, Arzt, Steuerberater oder Versicherungsexperten – die angebliche Klientel – vorweisen, der bei dem System mitmacht.

Ob sich jemals einer findet, ist angesichts des Geschäftsprinzips, dem er sich zu unterwerfen hätte, ohnehin fraglich: Die Experten sollen für jeden kostenlosen Rat, den sie einem Internet-Nutzer erteilen, drei Dollar an My Service abführen. Begründung: Die Vermittlung solcher Kontakte sei wegen späterer Mandate mindestens diesen Betrag wert.

Firmenchef Roman S. kommt aus Strukturvertrieb

Roman S. (den Uwe Tief in überschwenglicher Loyalität schon mal als „ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Arag“ bezeichnet, der aber selbst nur Assistent des Vorstands gewesen sein will) behauptet jedenfalls, er wolle „bis Anfang 1997 die dazu nötige Internet-Software fertig haben“. Und „junge Experten“, die später als Ratgeber fungieren sollen, werde er dank „geeigneter Suchmaschinen“ ebenfalls finden.

Vor diesem Hintergrund erscheint klar, warum S., der in den frühen 90er Jahren in Berlin die Geschäfte einer M.E.I.N. Service Immobilien GmbH führte, keinen Wert darauf legt,  sein Unternehmen bei einem  deutschen Handelsregister eintragen zu lassen. Denn solange die Gesellschaft kein Geschäft betreibt, dessen Produkte oder Dienstleistungen die Organisation vertreiben kann, „macht sich der Geschäftsführer nach Paragraph 6c des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb strafbar“, so Ingo Schönheit von der Wettbewerbszentrale in Bad Homburg.

So aber ist S. aus dem Schneider: Alle Vorgänge, die in Deutschland von eifrigen Staatsanwälten als Straftat gewertet werden könnten, finden im virtuellen Raum des Internets statt. Sogar das Geld fließt über die amerikanische Mark Twain Bank – und zwar per E-cash. Auch die Provisionen an die Mitarbeiter des Pyramidensystems werden als Cyberdollars überwiesen.

Kein Wunder, daß es die Propagandisten von My Service mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Der vorgefertigte Vortrag, den S.‘ Marionetten wie Eva Kornbrunner vor staunenden Gästen halten, enthält reihenweise Behauptungen, die entweder nicht stimmen können oder zumindest nicht überprüfbar sind.

So ist etwa von einer fünfjährigen Entwicklungszeit und einer fünfjährigen Testphase mit mehr als 50.000 Testkunden im Raum Berlin die Rede. Dabei habe die Firma rund 500.000 Mark Umsatz erwirtschaftet. Dann aber heißt es, das Konzept sei in den USA entwickelt worden. Doch die auf einem US-Server abgelegten Web-Seiten sind allesamt in deutscher Sprache angelegt.

Phantastische Zahlen sollen Interessenten beeindrucken

Als hätten sie nie einen Artikel über das Internet gelesen, werfen die Referenten mit eindrucksvollen Zahlen um sich: My Service peile mit 20 Millionen Usern weltweit eine Milliarde Dollar Einnahmen an, getragen von 100.000 Geschäftspartnern. „Während der 60 Minuten des Vortrags“, so krönen die Referenten ihre Ausführungen, habe das Internet „zirka 8397 neue Teilnehmer“  hinzugewonnen. Das wäre ein Zuwachs um 73,5 Millionen Menschen pro Jahr – weit mehr als die Weltproduktion an Modems.

Angesichts der Zahlen, die Eva Kornbrunner brav abspult, verblaßt freilich die Rendite ihres eigenen Internet-Geschäfts. Im letzten halben Jahr, so die Junior-Vizepräsidentin, habe sie „unter dem Strich noch nichts verdient“. Aber das sei ja, davon ist Kornbrunner überzeugt, „erst die Vorlaufphase“.

Der Name des My-Service-Chefs war im Heft nicht abgekürzt. Wer den Originalartikel als PDF haben möchte, kann mich Aber anmailen. Da ich zugunsten von Herrn S. nicht ausschliessen will, dass er heute auf dem Pfad der Tugend wandelt und seine Jugendsünden bereut, möchte ich nicht, dass Google bei eingabe seines Namens hierher verlinkt. Wenn sich jemand für Myservice interessiert, also den FIrmennamen eh kennt, mag er gerne hier landen. Wer den Links von hier aus folgt, kann übrigens die klartextnamen finden. UJF

Sie sind der oder die 1411. Leser/in dieses Beitrags.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert