Kapital, Know-how und Kontakte – wie erfahrene Manager Unternehmensgründern helfen. Mittlerweile gibt es sogar das erste Forum für „Geschäftsengel“ im Web
Später Abend in Münchens feinem Viertel Bogenhausen. In der Nachbarschaft rasseln reihenweise die Rolläden herunter, da läutet bei Dr. Christian Schneider das Telefon. Der Hausherr fackelt nicht lange und hebt ab. Er weiß: Ohne triftigen Grund würde der Anrufer ihn jetzt nicht stören. Telefonische Konsultationen zu unchristlicher Uhrzeit gehören für Schneider zum Alltag, seit er als 47-jähriger Aussteiger in eine zweite Karriere hineinschlitterte, in der er sich auch für spontane Hausbesuche nicht zu schade ist. „Wenn man ihn braucht, setzt er sich aufs Fahrrad“, lobt Gregor vom Scheidt, 28, der den sportlichen Doktor schon öfters zu sich ins Univiertel gebeten hat, „und radelt im Anzug durch den Englischen Garten.“
Bei seinen Visiten agiert der drahtige Münchner wie ein guter Kinderarzt: Er achtet mit Argusaugen auf frühe Krankheitssymptome und warnt die Jungen vor leichtsinnigen Spielchen, die ins Auge gehen könnten. Und er fördert die Abwehrkräfte seiner Schützlinge, verschreibt notfalls bittere Pillen. Dafür braucht er keine Approbation: Seine Patienten sind Firmen-Frischlinge wie etwa die 1997 von Gregor vom Scheidt gegründete NxN Software AG oder der kaum ältere Gräfelfinger Spiele-Online-Dienst Rival Network.
Während „Business Angels“ wie Christian Schneider für amerikanische Existenzgründer schon fast alltäglich sind, zählen sie in Deutschland noch zum seltenen Privileg. Dabei ist der Bedarf an Schutzengeln mit Unternehmer-Praxis hierzulande größer als in den USA, wo das Managen von Firmen („Entrepreneurship“) an technischen Universitäten Pflichtfach ist. „Jeder Handwerker“, wettert der Risikokapitalspezialist und frühere Nixdorf-Boss Klaus Luft über das bundesdeutsche Bildungswesen, „lernt bei uns mehr über Betriebswirtschaft als ein Ingenieur.“ Doch jetzt soll alles besser werden.
Eine breite Allianz aus Wirtschaftsfunktionären, Bankern und Politikern will das kalifornische Konzept des Business Angels nun an Ruhr, Spree und Isar populär machen. Vielerorts haben sich Vereine gebildet, die kreative Jungfüchse mit alten Hasen zusammenbringen – von der Essener Business Angels Agentur Ruhr über den Business Angels Club Berlin und die Thüringer Beteiligungsagentur bis hin zum Munich Business Angel Network. Ob ein Existenzgründer seinen Engel findet, so die Idee, soll nicht länger vom Zufall abhängen: Schließlich gibt es gerade in der Computer- und Softwarbranche eine stattliche Zahl von Veteranen, die viel Wissen und dank Börsenboom einigen Wohlstand angehäuft haben, sich aber als Reise-Rentner oder Kreuzfahrt-Ritter zu jung fühlen. So mancher hat auch ein paar Euro mehr auf der hohen Kante als objektiv nötig – Geld, das er in einem innovativen Betrieb eine Weile wertschöpfend mitarbeiten lassen würde. Diese „Virgin Angels“ wollen Eberhard Färber – Vorstandsvorsitzender des Förderkreises Neue Technologien (FNT) – und seine Mitstreiter jetzt aus der Reserve locken: „Wir brauchen Mut- und Mitmacher.“
Funktionieren kann so ein Konzept aber nur in Regionen, in denen auf relativ engem Raum eine kritische Masse an Neu-Firmen und Mentoren existiert. Technologieregionen der zweiten Reihe wie Hamburg, Sachsen und das Saarland vermochten bislang keine Angel-Netze zu knüpfen.
Doch ist die Auswahl zu klein, bleibt Frust nicht aus. Im Angel-Business trifft man Individuen mit verschiedensten Fähigkeiten und Interessen – vom Wirtschaftssenior, der sich ehrenamtlich beim Verein „Alt hilft Jung“ engagiert und kurze Gastspiele bevorzugt, bis zum himmlisch reichen Privatier, der es mit „Seed Capital“ und viel Geduld ermöglicht, aus einer vagen Vision ein marktreifes Produkt zu entwickeln, das später die Venture-Capital-Fonds anlockt. Aber es gibt auch – horribile dictu – die Spezies des teuflisch gerissenen „Business Devil“. Durchaus keine hypothetische Gefahr, meint Gert Köhler, Vorstand der Bad Homburger Venture-Capital-Gesellschaft Technologieholding: „Mancher, der als Business Angel auftrat, stellte sich später als finanzieller Schnäppchenjäger heraus.“
In solchen Fällen, die vor allem aus den USA überliefert sind, versuchen skrupellose Geschäftemacher, die Inhaber auszubooten und sich billig den ganzen Laden unter
den Nagel zu reißen.
Die größte Auswahl an Menschen mit Anlagen zum Angel hat ein Gründer in der Region um München. In der Isartaler Hightech-Szene ist es für clevere Newcomer nicht schwer, mit Managern ins Gespräch zu kommen, die die erste Liga der Informationstechnologie repräsentierten – zum Beispiel Klaus Luft (einst Nixdorf-Chef), Christian Wedell (lange Jahre Bill Gates‘ deutscher Botschafter), Franz Niedermaier (Ex-Statthalter vom US-Software-Riesen Oracle), Eckhard Utpadel (über lange Jahre Geschäftsführer des Computerwoche-Verlages).
Außerdem dabei: Christian Schneider, der PC plus, einen Online-Auskunftsdienst, gründete und zuletzt beim Anti-Hacker-Konzern Utimaco Jüngeren Platz machte. Diese Hightech-Honoratioren halten ständig Ausschau nach neuen Ideen, und wenn sie sich auch längst nicht immer selbst engagieren können oder wollen, haben sie immer noch ihre exzellenten Kontakte. Die enge Vernetzung von Deutschlands heimlicher Infotech-Hauptstadt führte fast zwangsläufig zu den ersten Angel-Deals – zu einem Zeitpunkt, als kaum jemand sich etwas unter dem Schlagwort vorstellen konnte.
Wie Schneider hat auch Niedermaier nie geplant, Angel zu werden. Nach seinem Ausstieg bei Oracle, erzählt der „Privatier und Weinbauer“ mit Zweitwohnsitz am Kaiserstuhl, hätten ihn Bekannte auf ein kleines Software-Haus angesprochen: „Kannst du denen nicht helfen?“ Natürlich konnte er, und natürlich wollte er auch. Mittlerweile haben sich zwei weitere Neugründer Niedermaier als Angel geangelt. Außer gutem Rat investierte der Ex-Oracle-Boss ein bisschen Geld in die Firmen, doch das ist für ihn kein großes Thema: „Hier wird zu viel Wind gemacht, in Kalifornien gibt es private Geldgeber seit 15 Jahren.“ Wichtiger als das Finanzielle seien für die Gründer heute Management, Know-how und Zeit.
Tatsächlich müssen Jungunternehmer heute nicht mehr um Kapital und Kredite betteln – sofern sie wie Gregor vom Scheidt mit seiner Software für Entwickler von Computer-Games eine lukrative Marktnische füllen. „Auf dem Risikokapitalmarkt ist das Angebot glücklicherweise so groß, dass man nicht mehr nach einem Angel suchen muss, der sowohl die Erfahrung als auch das Geld hat“, freut sich der NxN-Chef, der mit Schneiders Schützenhilfe das nötige Wachstumskapital fand. Zwei Jahre nach der Gründung ist das Software-Haus weltweit aktiv und hat den Neuen Markt im Visier. So funktioniert die modeme Internationale: Mark hier, Engel da – und ab geht die Post.
Das Thema Finanzen steht allerdings immer am Anfang. Gerade wenn die Kombination aus der Erfahrung alter Hasen und den Ideen junger Unternehmer geklappt hat. „Ich habe viele Gründungspartnerschaften auseinanderbrechen sehen, weil nicht am Anfang über Geld geredet worden ist“, warnt vom Scheidt. Für vorbeugende Maßnahmen plädiert auch FNT-Impresario Eberhard Färber, der – selbst mehrfacher
Firmenvater – unlängst die Patenschaft bei der Münchner Interway AG antrat, deren junges Unternehmer-Team eine neuartige Software für den Electronic Commerce ausgetüftelt hat: „Bei richtiger Vertragsgestaltung hat selbst ein Business Devil keine Chance.“
Das Wort des Seniorpartners hat bei NxN noch heute mehr Gewicht, als es die Anteilsarithmetik ahnen ließe. So ist Firmenchef vom Scheidt richtig stolz, dass er den asketischen „Doktor Schneider“ – nie unterschlägt er den Titel – von der Anschaffung einer mächtigen Profi-Cappuccino-Maschine überzeugen konnte. Sein Hauptargument war freilich rein sachlicher Natur: Wenn die beste Café-Bar der Region ganz nah am Arbeitsplatz steht, steigt wie von selbst die Produktivität.
Erschienen in Tomorrow 11/1999
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