DIGITAL-TV. Das Zukunftsfernsehen kommt nach Deutschland: TV, Turbo-Internet und Telefon im Paket. Die meisten Zuschauer müssen jedoch noch viele Jahre darauf warten.
Miranda Curtis hat eine Art zu reden, die bei Menschen Wunder wirkt: Alle hören aufmerksam zu. Sogar der quirlige Erwin Huber, als bayerischer Staatskanzleichef Edmund Stoibers Minister für Fernsehangelegenheiten, hielt still, bis Curtis auf den Münchner Medientagen im Oktober ihr Statement beendet hatte. Die Präsidentin von Liberty Media International referierte über die Pläne der Übernahme des Telekom-Breitbandkabels in 13 der 16 Bundesländer Anfang 2002 und dessen Ausbau zum zukunftstauglichen Multimedia-Netzwerk. Anschließend strahlte der CSU-Mann sie an. Er versprach, ihr den roten Teppich auszurollen, wenn sie sich für Bayern entscheide und dort Arbeitsplätze schaffe. Die Umworbene, Außenministerin im globalen Reich des amerikanischen Kabel-TV-Moguls John Malone (BIZZ 10/2001), ließ den bajuwarischen Charmebolzen erst einmal schmoren.
Es gehe zwar um bis zu 10.000 Arbeitsplätze, doch, so Curtis, davon würden nur ein paar hundert auf die Zentrale des Unternehmens entfallen. Das Gros der Mitarbeiter werde dort gebraucht, wo die Kunden wohnen.
Das Zukunftsfernsehen bringt neue Jobs – bezahlen sollen sie die Zuschauer. Dafür muss Libertys deutsches Personal träge Sofaglotzer in aktive Multimedia-Nutzer verwandeln und notorischen Internet-Verweigerern kostenpflichtige Datendienste schmackhaft machen. Sie sollen schaffen, was der Kirch-Gruppe mit ihrem digitalen Abo-Sender Premiere World nie gelang: im Gratis-TV-Dorado Deutschland (mehr als 30 Kanäle) ein breites Publikum fürs Bezahlfernsehen zu begeistern.
Für diese Vision will Investor Malone nicht nur manch quotenschwaches Programm aus seinem kostenlosen Bouquet verbannen. Er investiert in nächster Zeit 500 bis 750 Millionen Euro jährlich, zuzüglich jener 5,5 Milliarden Euro, die er der Telekom für deren technisch veraltete Kupferadern unter bayerischen und rheinland-pfälzischen, nord- und ostdeutschen Pflastersteinen zugesichert hat.
Viel Geld. Und doch nicht genug. Weil sich »Miss Liberty« Curtis um den Cash-Flow sorgt, sitzen die Bewohner der zehn Millionen deutschen Liberty-Kabelhaushalte womöglich noch fünf weitere jahre in der zweiten Reihe. Sie bekommen bis auf weiteres deutlich weniger geboten als die Zuschauer in Nordrhein-Westfalen, Baden- Württemberg und Hessen. Die Kabelnetze hier gehören mehrheitlich risikofreudigeren Investoren Callahan (Ish) und Klesch (Iesy).
Während Malones Statthalterin zunächst nur das Allernötigste tut und die Bandbreite von 450 auf 510 Megahertz erhöht, setzen Ish und Iesy von Anfang an auf den international üblichen Standard: Sie rüsten so schnell es geht auf 862 Megahertz hoch, obwohl dazu vielerorts die Bürgersteige einmal wieder aufgerissen werden müssen.
Die Investition schafft nicht nur nahezu unbegrenzten Platz für neue Digitalprogramme – etwa interaktive Gameshows, an denen sich Zuschauer live beteiligen können, und allerlei Home-Shopping-Offerten. Sie erlaubt den Netzbetreibern auch das kaufmännisch als mutig geltende Triple-Play: TV, Web und Telefon aus einer Hand, auf derselben Infrastruktur. 2002 können die ersten Kabelkunden in Frankfurt, Wiesbaden oder Köln ihren Telefonanschluss bei der Telekom kündigen – und vor allem bei Ortsgesprächen kräftig Gebühren sparen.
Die Spaltung der Fernsehnation in fortschrittliche und rückständige Regionen könnte allenfalls das Bundeskartellamt noch stoppen. Dass die Behörde, die zurzeit den Deal der Telekom mit Liberty prüft, ihr Veto einlegen wird, glaubt jedoch ernsthaft niemand – obwohl die Aufteilung des Kabel-TV-Marktes zwischen drei Konzernen lediglich das bundesweite Monopol der Telekom durch Gebietsmonopole ersetzt. Der Konsument hat nur die Wahl zwischen Kabel, Satellitenschüssel und Hausantenne. Ein Wettbewerb von Ish, Iesy und Liberty untereinander ist dagegen nicht vorgesehen; eine Durchleitung analog zum Strommarkt – ein RWE-Kunde kann beispielsweise zum Konkurrenten Eon wechseln – gibt es nicht.
Nicht einmal bei der Hardware darf der Kunde mitreden. Wie zu Zeiten, als die Bundespost ihre Dienstleistungen als hoheitliche Aufgabe versah, gilt das Prinzip Friss oder stirb: Den Digital-TV-Dekoder stellt der Netzbetreiber. So wird selbst ein Umzug von Wiesbaden über den Rhein nach Mainz schnell zum Ärgernis. Nicht nur die Programmpakete und Datendienste sind unterschiedlich, sondern auch die Ausstattung des Empfangsgeräts und die Bedienung des elektronischen Programmführers (EPG), ohne den sich im multioptionalen Digitalzeitalter kein Zuschauer mehr zurechtfindet.
Dabei gäbe es eine internationale Norm: ARD, ZDF und die Privatsender haben sich auf die neue Multimedia Home Platform (MHP) geeinigt. Doch die Kabelgesellschaften ziehen nicht mit. MHP, sagt Curtis, mache die Geräte unnötig teuer. Sie seien auch nicht schnell genug verfügbar, sekundiert Ish-Stratege Henning Schnepper. Hinter vorgehaltener Hand lassen die Netzmanager jedoch durchblicken, dass sie etwas ganz anderes stört: MHP wurde ohne sie beschlossen – von Senderchefs und Geräteindustrie. Doch die technische Auslegung der Decoder entscheidet darüber, wer welche Geschäftsideen verwirklichen kann. Immerhin halten sich Iesy und Ish die Option auf MHP offen.
Das Verhältnis zwischen Kabelbesitzern und Programmanbietern ist überhaupt gespannt. Zähneknirschend akzeptieren die Herren der Strippe die so genannte Must-Carry-Regel, die sie zur Verbreitung öffentlich-rechtlicher Programme zwingt. Günter Maier, Iesy-Geschäftsführer, maulte indes auf den Medientagen über den Unwillen der Anstalten, für die Kosten der Einspeisung aufzukommen. „There is no lunch for free“, beamte der hessische Kabelboss an die Wand. Für die Kommerzfunker geht es um mehr. Falls Liberty wirklich nur auf 510 Megahertz ausbaut, wird es im Kabel zu eng: Würden alle bisherigen Programme so lange doppelt ausgestrahlt – analog und digital – bis sämtliche Zuschauer über einen Digitaldecoder verfügen, wäre kaum Platz für neue interaktive Angebote. Darum fürchtet Jürgen Doetz, Chef des Privatfunk- Verbands VPRT, die Abschaltung einiger Analogprogramme – und ruft die Landesmedienanstalten zu Hilfe: »Solange die Frequenzen knapp sind, brauchen wir die Regulierung.«
So weit muss es nicht kommen. Denn die Macht von Liberty endet an den Grundstücksgrenzen großer Wohnkomplexe. Die letzten Meter zu den Nutzern gehören selbständigen Partnerfirmen. Diese versorgen 65 Prozent der Kabelkunden. »Wir wollen die volle Bandbreite«, sagt ihr Verbandschef Thomas Braun, »und zwar ganz schnell.« Und sie wollen den MHP-Standard. Brauns Vize Werner Scheuer, Breitbandchef bei Bosch in Berlin, droht, seine Kunden via Satelliten-Link mit Fernsehen zu versorgen. Miranda Curtis hat noch nicht gewonnen.
Kabel-Glossar
Breitbandnetz. Die deutschen Kabelnetze sind als Einbahnstraßen zum Zuschauer angelegt. Um sie für interaktives Fernsehen, Internet und Telefon nutzen zu können, wird ein Rückkanal geschaltet und die Bandbreite erhöht.
Netzebenen. Das Kabelnetz besteht aus mehreren Ebenen. Wichtig sind die Ebenen 3 (Kabelstränge unter den Gehsteigen) und 4 (Kabelstrecken auf Privatgrundstücken). Letztere gehören zu je einem Drittel der Wohnungswirtschaft, freien Netzbetreibern und dem Trio Liberty/lesy/lsh.
Marktanteile. 22 Millionen Haushalte haben Zugang zum Kabel, davon 18 Millionen über die drei Telekom-Nachfolger. 13 Millionen Haushalte besitzen Satellitenschüssein (Astra und Eutelsat), drei Millionen Dachantennen.
Erschienen in BIZZ 12/2001.
Sie sind der oder die 2355. Leser/in dieses Beitrags.