Olaf Kolbrück, Autor der Online-Kolumne off the record im Medienbranchenblatt Horizont, beschreibt mit einer gastronomischen Metapher die suizidale Tendenz mancher Medienhäuser:
Verlage aber reagieren auf die ausbleibende Kundschaft wie jener anekdotischer Restaurantbesitzer, der angesichts sinkender Umsätze erst die Preise erhöht, dann die Portionen verkleinert, und weil die Rendite dann immer noch nicht stimmt, an der Qualität spart, die Blumen schießlich vom Tisch verschwinden lässt , die Vorhänge an den Fenstern nicht mehr wäscht, die Tischdecken nicht mehr austauscht, undsoweiter, bis das Tagesmenu Insolvenz lautet.
Auch mir fallen spontan einige Verlage ein, die in der Tat agieren wie besagter Wirt – oder wie Karcandorstadtquelle & Co. Dennoch würde ich diese Aussage nicht verallgemeinern. Es kommt doch sehr darauf an, wer mit der "ausbleibenden Kundschaft" gemeint ist. In diesem Fall liest es sich, als seien die Leser gemeint. Was mich bei einem Objekt mit der Zielgruppe des "Horizonts" erstaunt: Normalerweise sind ja die Leser aus Verlagssicht gerade keine Kunden. Sie sind demütige, unbezahlte Lieferanten der Handelsware "Awareness", die netterweise noch einen marginalen Deckungsbeitrag als Mitgift mitbringen (jedenfalls solange der Abo-Erlös höher ist als der EK minus WKZ der ausgelobten Espressomaschine).
Für den Durchschnittsinserenten, der sich die Leser kauft, war lange unerheblich, wie gut diesen das Menü schmeckt. Es durfte gerne Junkfood sein; Hauptsache, es kommen viele Gäste und gucken die Anzeigen an. Und wenn das Layout derart billig und öde war, dass erst die Annoncen das Heft hochwertig erscheinen ließen, umso schöner. Wenn es nun mehr Leser gibt, die dieses zynische Spielchen durchschauen, und die Anzeigen des einen oder anderen lieblos gemachten Objekts dadurch unverkäuflich werden, ist das eigentlich ein gutes Zeichen.
Das Problem ist, dass nicht immer zuerst die "unechten" Kunden ausbleiben, also die Abonnenten. Dann könnten die Verlage ja noch gegensteuern, indem sie ernsthaft für Leser schreiben lassen, die wirklich so anspruchsvoll sind, wie es in den Mediadaten immer behauptet wird. Manchmal verschwinden ja auch nur (bzw. zuerst) die "echten" Kunden, also die Agenten der großen Inserenten (die kleinen Inserenten haben die Verleger ja längst den ebays, monsters und scouts überlassen). Dadurch geraten auch Blätter mit treuer Zielgruppe wie die "Süddeutsche" in die beschriebene Falle. Weil das Papierkostensponsoring durch die Anzeigenkunden wegschmilzt, muss der Vertrieb die Einbußen ausgleichen.
Der oben beschriebene Weniger-für-mehr-Effekt tritt auch in diesem Fall ein, wird aber eben nicht dadurch ausgelöst, dass die bräsigen Journalisten die Leser ignoriert hätten. Letztere – die Sekundär-Kunden, die uns Journalisten immer schon wichtiger waren als die Primärkunden – verlieren den Appetit also nicht deshalb, weil dem Koch nichts Leckeres mehr einfiele für die Speisekarte. Sondern weil der Koch aus Kostengründen nicht mehr kochen darf, was die Gäste essen wollen.
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