Der Zynismus der modernen Ausbeuter kennt keine Schamgrenzen. Die neueste Dreistigkeit kommt aus Frankreich (bzw. Luxemburg) und nennt sich „Wikio Experts“. Der Ableger der Firma Wikio baut eigenen Content auf und sucht gerade Dumme, die für Honorärchen schreiben, für die sich selbst die für ihre Sparsamkeit bekannte Verlegerfamilie des Straubinger Tagblatts in Grund und Boden genieren würde.
Jedes Wort, das sich der schreibende „Experte“ abringt, wird – „je nach Thema und Arbeitsaufwand“, ergo nach Gutdünken des Auftraggebers – mit 0,0125 bis 0,075 € vergütet. Das sind pro klassische Druckzeile 6 1/4 bis 37 1/2 Cent. Laut Urhebergesetz steht den Autoren eine „angemessene“ Vergütung zu. Solche Beträge sind allenfalls angemessen – tut mir leid, wenn ich drastisch werde – für Textschrott, den Anfänger und ahnungslose Stümper hinrotzen.
Nun ist schon dumm genug, wer einen 40-Zeiler für 15 € schreibt. Da geht man besser Fenster putzen oder, je nach Saison, Spargel stechen. Das andere denkbare Extrem, für 5 € 80 Zeilen abzusondern, kann eigentlich nur noch selbstverliebte Dummschwätzer und Schwafelköpfe anlocken, die auch noch für lau anderen Leuten die Arbeit abnehmen würden, wenn die dafür ihr Gefasel unters Volk bringen.
Natürlich gibt es im Was-mit-Medien-Nachwuchs immer wieder Naivlinge, die meinen, sie könnten sich einen Namen machen, indem sie im Grunde irrwitzigen Geschäftsmodellen zum Erfolg verhelfen, deren Betreiber ohne Zeilenlöhner, die sich ausbeuten lassen, unweigerlich Pleite gingen. Kleiner Tipp an diese Möchte-trotz-allem-gern-Journalisten: Profiliert Euch lieber mit einem gescheiten Blog, dann gereicht es wenigstens Euch selbst zur Ehre. Ohne Euch sind Wikio & Konsorten nichts.
Echte „Experts“ (also Wissenschaftler) schreiben übrigens in der Regel eh gratis. Sie suchen sich aber die Medien genau aus, in denen sie ihre Werke veröffentlicht sehen wollen. Wenn Wikio Experts darauf angelegt wäre, einen relevanten „Impact Factor“ zu erreichen, sähe es anders aus.
Für wen ist Wikio Experts also ein denkbares Geschäftsmodell? Für Cut-and-Paste-Virtuosen, für Abschreiberlinge, für Westentaschen-Guttis, -Silvanas und -Chatzis. Ich habe deshalb in einer den Umständen angemessen barschen Mail (keine Anrede, „mit unfreundlichen Grüßen“) den Wikio-Betreibern rechtliche Konsequenzen für den Fall angedroht, dass ein Plagiat eines meiner Texte auf ihren Seiten auftauchen sollte.
Die katzenfreundliche Antwort kam prompt:
„Lieber Herr Froitzheim,
unsere Moderatoren stellen bei jedem eingereichten Text sicher, dass es sich nicht um ein Plagiat handelt. Sie dürfen in dieser Hinsicht also beruhigt sein.
Schöne Grüße
Ihr Wikio Experts Team“
Beruhigt? Bei handelsüblichen Personalkosten dürfte eine Überprüfung kaum billiger sein als der eigentliche Text. Viel mehr als Googlen ist da betriebswirtschaftlich kaum drin. Überhaupt: Seit wann überprüfen „Moderatoren“, ob Texte abgekupfert sind? Aber halt, von „Überprüfen“ war ja keine Rede. Nur von Sicherstellen. Das kann auch heißen, dass man den Autoren eine (eidesstattliche?) Erklärung abverlangt, wie man sie von Dissertationen kennt. Das macht dem Wikio-Betreiber keine Arbeit, schiebt aber die Verantwortung weiter.
Jetzt bin ich mal gespannt, ob sich mit dem Einstieg in die Vermarktung von „Experten“-Wissen das Kleingedruckte ändert. Bis dato steht dort etwas, das für sich spricht:
„Die Elemente der Websites Wikio unterliegen dem durch das Recht über Zeichnungen und Modelle, das Urheberrecht, das Markenrecht sowie dem durch die geltende Gesetzgebung für unlauteren Wettbewerb gewährten Schutz und dürfen weder ganz noch teilweise kopiert oder nachgeahmt werden. Ohne Wikios ausdrückliche Zustimmung darf kein Logo oder Element, keine Grafik, kein Ton oder Bild aus der Website Wikio kopiert oder verbreitet werden.
…
Wikio verfügt nicht über alle Veröffentlichungen auf seiner Website über Urheberrechte.“
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