Simples Flugbenzin ist out. Nun macht nach- wachsendes Kerosin das Fliegen klimafreundlich.
Was das Saarland und seine ganz besonderen Ölquellen angeht, bin ich zwar bekennender Banause. Aber das Selbstbewusstsein der Menschen aus der Heimat von Oskar Lafontaine und Erich Honecker nötigt mir doch Respekt ab: „Im Geschmack mild, voll und rund, aber auch pikant, so wie nur herausragende Öle aus saarländischer Herkunft schmecken können. Ideal zur Anwendung in der kalten Küche, insbesondere für Rohkost und feine Salate.“
Leindotteröl heißt diese Spezerei, und sie hat ihren Preis. Ein 100-Milliliter-Fläschlein davon kostet im Online-Shop, dessen Reklameprosa Sie soeben gelesen haben, drei Euro plus 6,90 Euro Versandpauschale. Damit die Delikatesse halbwegs bezahlbar wird, muss man schon ein Großverbrauchergebinde aus zwei 2,5-Liter-Kanistern ordern, dann fällt der Literpreis von 30 auf 10 Euro, und das sogar frei Haus. Wenn Sie mit Leindotteröl allerdings einen wirklich großen Tank füllen möchten, zum Beispiel den Ihrer Boeing 747-8F, kostet Sie das selbst bei diesem schönen Mengenrabatt noch 2,3 Millionen Euro. Gegenüber Kerosin, das aus ordinärem Erdöl gewonnen wird, ist diese regenerative Energie rund 1700 Prozent teurer. Es sei denn, die Erzeuger kommen Ihnen noch etwas entgegen und verlangen nur fünf Euro je Liter.
Gourmet-Speiseöl als Flugzeug-Treibstoff? Kein Witz: Auf der Luftfahrtschau in Le Bourget landete kürzlich solch ein Frachtjumbo, im Tank immerhin 15 Prozent Öl des besagten Kreuzblütengewächses mit Namen Camelina sativa. Allerdings nicht aus saarländischem Anbau, sondern aus amerikanischem. In den Rocky Mountains können sie es nicht nur ein bisschen billiger, die nötige Menge hätte Boeing in Europa auch gar nicht auftreiben können. Um einen einzigen Großraumjet einmal richtig vollzutanken, müsste man schon sämtlichen Leindotterbauern an der Saar und im Rest der EU die Ernten mehrerer Jahre abkaufen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ließen wir beispielsweise ein vermaistes Land wie Deutschland flächendeckend mit dem lukrativen Edelkraut zuwuchern, könnten wir mühelos allen Jets auf der ganzen Welt 15 Prozent Came- lina in den Sprit mischen.
Leider genügt diese Quote manchen Luftfahrtmanagern nicht. Sie möchten in 20 Jahren 100 Prozent Ökosprit tanken – koste es, was es wolle. Um diesen Zukunftsmarkt nicht den Amis zu überlassen, müssten wir die halbe EU für den
Leindotter freiräumen. Selbst wenn wir rings um unsere wichtigsten Touristenziele noch ein paar Hektar Waldkulisse stehen ließen, weil sonst womöglich niemand mehr hierherfliegen würde, könnte so viel Agrar-Monotonie denn doch ein wenig Unmut auslösen.
Und wenn wir anderes biologisch abbaubares Öl nähmen, Olivenöl zum Beispiel? Die Griechen wären froh, sich endlich wieder ein paar Euros zu verdienen, doch ihr Kaltgepresstes ist den kapriziösen Düsenfliegerturbinen zu zäh. Zum Glück hat Europa Airbus. Die Jungs waren wieder mal cleverer als die von Boeing und haben die Purgiernuss (Jatropha curcas) für sich entdeckt. Diese als Brech- und Abführmittel bekannte Schalenfrucht enthält feinstes Biokerosin. Das Wolfsmilchgewächs gedeiht in der Savanne – also in Afrika, wo die Erntehelfer im Moment noch weit bescheidenere Ansprüche stellen als in Hellas. Na also: Um CO2-neutral in den Urlaub zu fliegen, brauchen wir nur ein paar Saudi-Milliardäre zu überreden, mit ihren Petrodollars den Schwarzen Kontinent in eine gigantische Brechnussplantage zu verwandeln.
Davon hätte jeder etwas: Die Ölscheichs blieben im Geschäft, auch wenn ihr schwarzes Gold demnächst alle ist. Kein EU-Bürger müsste mehr Angst haben vor einer Invasion afrikanischer Migranten, denn die bleiben ja dann brav daheim, um Brechnüsse zu ernten. Ja, gut, für uns würde der Kerosinzuschlag vielleicht ein klein wenig steigen – aber dafür könnten wir endlich mit reinem Klimagewissen um den Globus jetten.
ULF J. FROITZHEIM (52) hat sein Pensum an Flugmeilen schon in jungen Jahren übererfüllt und fährt, wenn’s geht, lieber mit der Bahn.
TECHNOLOGY REVIEW | AUGUST 2011
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