Looping statt Wasserfall

Erschienen in „Porsche Consulting – Das Magazin“, Ausgabe 16 (Juli 2015):

elektrobitDrei herren haben eine mission: elektrobit automotive will softwarelösungen fürs auto auf breiter Basis anbieten. mit lean Development bringt der Zulieferer in kurzem takt neue funktionen ins fahrzeug. Der synchronisierte Vertrieb hat dabei stets das ohr am Kunden – und so schließt sich der Kreis.

Elektrobit Automotive ist einer dieser mittelständischen Spezialisten, deren Namen kaum ein Autofahrer kennt

– zu Unrecht. Denn die Technik des Herstellers von Embedded Software fürs Auto ist aus modernen Fahrzeugen nicht mehr wegzudenken. Sie belebt nicht nur die Fahrzeug-Infrastruktur, sondern sorgt auch für Navigation und Infotainment, stellt die Verbindung zum World Wide Web her oder macht das Auto selbst zu einem Sensor, der seine Umwelt analysiert und auf sie reagiert. Kurzum, die Software bildet inzwischen die Basis für Zukunftskonzepte wie intelligente Fahrassistenz und autonomes Fahren. Die Kundenliste des Zulieferers liest sich wie das Who’s who der Branche. Das Unternehmen, 1988 als 3Soft gegründet, sitzt im bayerischen Erlangen-Tennenlohe. Die Mitarbeiterzahl hat sich binnen zwölf Jahren auf mehr als 1200 versiebenfacht – zumeist Software-Ingenieure. Die Elektrobit Automotive GmbH ist in sieben Ländern aktiv, darunter Japan, China und die USA.

Steigender Umsatz, aber stagnierender Gewinn

Mit der Expansion nahmen auch die Anforderungen zu. Selbst die kräftig gewachsene Mannschaft kam nicht mehr damit nach, die Kundenwünsche
abzuarbeiten. Die „Top Line“, also der Umsatz, habe sich zwar nach der Finanzkrise schön aufwärts entwickelt, sagt Geschäftsführer Alexander
Kocher, „doch an der ,Bottom Line‘ stand eine schwarze Null“. 2012 begann das Unternehmen damit, sich strategisch neu aufzustellen – und schaltete Porsche Consulting ein. Es liegt in der Natur der Sache, dass Prognosen für den dynamischen Softwarebereich mit viel Unsicherheit behaftet sind. Gemeinsam mit den Porsche-Beratern wurde ein überschaubarer Zeithorizont von fünf Jahren gewählt. Bis 2017 wollen die Erlanger Spezialisten sich am Markt breiter aufstellen und den Aufstieg von der verlängerten Werkbank der Autohersteller zum Lösungsanbieter der Connected-Car-Ära meistern. Zwei Voraussetzungen wurden für diese Mission identifiziert: die schnelle Entwicklung kompletter Softwarelösungen und ein Vertrieb, der sich konsequent auf die Kunden und ihre Bedürfnisse ausrichtet.

Der vordringlichste Handlungsbedarf bestand bei der Methodik, nach der Elektrobit seine Software fürs Auto entwickelte. Die lehrbuchmäßige Vorgehensweise, die sich einst als Best Practice durchgesetzt hatte – das sogenannte V-Modell –, war viel zu schwerfällig für den gesteigerten Innovationstakt, der nach der IT -Branche auch die Automobilindustrie erfasst hatte. „Die Entwicklungszyklen wurden immer kürzer“, erklärt Markus Schupfner. Als Chef der Infotainment-Sparte erlebte der Mathematiker, der inzwischen als Head of Operations das gesamte operative Geschäft verantwortet, den eskalierenden Zeitdruck aus nächster Nähe mit: „Früher entwickelten wir bis zu drei Jahre an einem System, dann musste es in einem Jahr gehen, heute oft noch schneller.“

Es traf sich gut, dass Porsche Consulting gerade dem Walldorfer Softwareriesen SAP mit einem Lean Development Model (LDM) geholfen hatte, seine Projekte zu beschleunigen. LDM kombiniert schlankes Management mit Methoden der „agilen Entwicklung“. Das zuvor auch bei SAP praktizierte V-Modell basierte auf dem Wasserfallmodell: Softwareprojekte werden vorab in Kaskaden von Entwicklungsstufen zerlegt, die strikt nacheinander abgearbeitet werden, von der Oberfläche bis in die Tiefe. Grafisch dargestellt, bilden sie den linken Schenkel eines V-förmigen Ablaufschemas. Auf dessen rechter Seite arbeiten sich die Entwickler Schritt für Schritt wieder hoch, indem sie die Software auf jeder Stufe auf Einhaltung der Spezifikationen testen.

Frisst dieses Prozedere per se schon viel Zeit, liegt die eigentliche Krux in seiner Unflexibilität. „Wenn das Projekt erst einmal läuft, sind nachträgliche Änderungen nicht mehr möglich“, so Markus Schupfner. Dabei sind sogenannte Change Requests (CR ), die man früher tunlichst vermied, weil sie einen zurück auf „Los!“ schickten, heutzutage bereits alltäglich: Während der Entwicklung eines neuen Autos macht die Informationstechnik solche Fortschritte, dass die ursprünglich vorgesehene Software beim Produktionsstart schon wieder veraltet wäre. Die Arbeit am Code endet nun nicht mehr mit der Auslieferung des Wagens. Schon bald werden die Autofahrer ein Update bei der Wartung ebenso selbstverständlich finden wie einen Ölwechsel.

Mehr Freiheit für Software-Ingenieure

Anfang 2013 startete Elektrobit Automotive ein Pilotprojekt mit Porsche Consulting und führte die „agile Entwicklung“ mit LDM erstmals ein. Dabei werden die Software-Ingenieure nicht mehr in ein striktes Ablaufschema gepresst, sondern bekommen ein Gerüst von Regeln an die Hand, die das Projektmanagement beschleunigen. Die wichtigste Änderung besteht darin, dass nicht mehr das gesamte Softwareprodukt als monolithische Einheit betrachtet wird. Agil bedeutet arbeitsteilig. Die Teams sind klein – typischerweise weniger als zehn Mitarbeiter –, organisieren sich selbst und entwickeln in kurzen Zeitspannen, sogenannten Sprints, Teilfunktionen des großen Ganzen. Klemmt es irgendwo, fällt dies rasch auf, denn die obersten Gebote heißen Kommunikation und Transparenz. Niemand darf wochenlang im stillen Kämmerlein brüten.

„Lean oder agil bedeutet für uns, dass wir mehr Verantwortung in die Teams geben“, sagt Markus Schupfner. Die Umstellung finde hauptsächlich im Kopf statt. Dem Head of Operations ist bewusst, dass die Mitarbeiter oft jahrzehntealte Routinen hinter sich lassen müssen: „So ein Prozess gelingt nicht von einem Tag auf den anderen.“ Um die Akzeptanz zu fördern, finde die Messung der Effizienz innerhalb der Teams statt. Die Ergebnisse würden nicht ans Management weitergegeben. Die Leistung des Einzelnen sei nicht so entscheidend, denn die Methode nehme immer das ganze Team in die Pflicht. War dies am Anfang für viele gewöhnungsbedürftig, fühlt sich Schupfner nach Einführung von LDM in einem Großteil des Unternehmens bestätigt: „Laut Mitarbeiterbefragungen sind gerade die großen Skeptiker inzwischen extrem überzeugt.“

Vertrieb läuft zu Hochleistungen auf

Nicht zuletzt kommt der Erfolg der Methodik auch dem gemeinsam mit Porsche Consulting angestrebten Aufbau einer High Performance Sales Organisation entgegen. „Wir sind mittelständisch gewachsen und waren immer sehr stark ingenieursgetrieben“, erklärt Geschäftsführer Kocher die bisherige Firmenkultur, in der es nicht selten vorkam, dass der Projektleiter nebenbei Aufträge an Land zog und froh war, wenn der Kunde nicht später mit seinen änderungswünschen die gesamte Projektplanung über den Haufen warf – und über die Mehrkosten nachverhandelt werden musste. Mit Lean Development verwandelt sich ein Change Request in eine User Story, die sich in den laufenden Entwicklungsprozess einfädeln lässt. „Das ist kein separates Projekt mehr, nur noch ein Sprint“, sagt Vertriebschef Eric Lutterman. Mit anderen Worten: Aus einem Stör- und Kostenfaktor, der stets vom Kunden ausging, wird eine normale Dienstleistung, die ein Softwarehaus proaktiv zu vernünftigen Konditionen vermarkten kann.

Für die Neuausrichtung des Vertriebs mussten zunächst die Grundlagen stimmen: Die Porsche-Berater sprechen von Synchronisation und meinen die Ausrichtung aller Tätigkeiten an der Unternehmensstrategie. Luttermans mit Porsche-Unterstützung entwickelte Vertriebsstrategie unterstützt nun direkt die Gesamtziele von Elektrobit Automotive. Das Konzept setzt auf Vertriebsexperten, die ermitteln, welche Themen in Zukunft den Markt bestimmen werden. Dabei nehmen sie sowohl die Perspektive der Kunden als auch der Ingenieure ein und wägen Anforderungen und technologische Möglichkeiten sorgfältig ab. Keine triviale Aufgabe angesichts ständig wechselnder Prognosen und Rahmenbedingungen. Die Elektrobit-Experten müssen die Bedürfnisse der Erstausrüster genau kennen. Deshalb will Lutterman seine Organisation so umbauen, „dass die Vertriebler mehr vor Ort beim Kunden sind“. Noch 2013 fand die Vertriebstätigkeit einer internen Auswertung zufolge überwiegend im eigenen Büro statt. In der neuen Hochleistungsorganisation soll bis 2017 bei gleichbleibender Personalstärke ein bedeutender Teil der Arbeitszeit vom Innen- in den Außendienst verlagert werden; die Zeit für den Dialog mit den Kunden würde dann mehr als verdoppelt.

Der erste Schritt in diese Richtung war die Einführung einer Matrix-Organisation. Statt sich auf einzelne Produkte zu spezialisieren, konzentrieren sich die Vertriebsmitarbeiter auf ihre Key Accounts einerseits und auf die Technologie anderseits. Zudem entstehen ganz neue Rollen, etwa an der Schnittstelle zwischen Entwicklung und Vertrieb. „Wir haben sieben Handlungsfelder identifiziert und schreiten jetzt kontinuierlich voran“, erklärt Lutterman. Am Ende bilden High Performance Sales und Lean Development die beiden Pole für die schnelle und zielgenaue Befriedigung der Kunden. Möglichkeiten und Anforderungen sowohl von Entwicklungs- als auch von Vertriebsseite werden immer wieder überprüft – wie in einem Looping.

Auf dem Weg zum autonomen Fahren

Der Umbau der Ingenieursfirma zu einem Unternehmen, das sich seinen Fähigkeiten entsprechend verkauft, ist noch lange nicht vollendet, doch Alexander Kocher ist schon jetzt guter Dinge. So wächst nicht mehr nur die „Top Line“, sondern auch wieder die „Bottom Line“. „Unsere Profitmarge ist deutlich nach oben gegangen“, freut sich der Geschäftsführer. Der Anteil des Gewinns vor Steuern am Umsatz ist seit 2012 kontinuierlich um rund drei Prozentpunkte angestiegen, von 2,9 Prozent in 2012 auf 6,2 Prozent in 2013 und 9,3 Prozent in 2014. Höhere Ertragskraft braucht seine Firma auch, denn sie hat ehrgeizige Pläne: Entwicklerteams aus verschiedenen Abteilungen an mehreren Standorten arbeiten gemeinsam an Software fürs selbstfahrende Auto. „Unsere Mission sind Lösungen, die es ermöglichen, sicher und bequem von A nach B zu kommen“, sagt Kocher, „und in Zukunft auch autonom.“

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