Rezo oder die Zerstörung der Blauhaarfrisur – Teil II

Lieber Rezo,

Du hast Dich kürzlich bei Deinen Youtuber-Freunden Fabian und Steven hämisch über zwei Themen ausgelassen, die mich beruflich wie demografisch leider triggern: Printmedien und ältere Mitbürger.

Dazu kommt hier der Levitenlesung 2. Teil:

Geh unter normale Menschen!

Von Euch Youtubern habe ich eine vielleicht etwas klischeehafte Vorstellung, aber Ihr bestätigt sie selbst ständig aufs Neue: Während ReporterInnen mit der Kamera durchs Land und die Welt ziehen und mit normalen Menschen reden, sieht man Euch fast nur im improvisierten Studio in Eurer Wohnung sitzen und der Kamera was erzählen. Meist was Harmloses, Seichtes, bestenfalls Amüsantes. Der PC ist Euer Fenster zur Welt, der Datenstrom im Browser prägt Eure Wahrnehmung. Was man von Euch mitbekommt (und was Euch als sehens- oder zeigenswert erscheint), ist eine Stubenhocker-Existenz. Der Bezug zur Außenwelt entsteht im Wesentlichen durch Input von Dritten, er ist fast immer reaktiv, bezieht sich also darauf, was irgendwer gesagt oder getan hat. Und das ist eine seltsame Parallele zu bestimmten Fernsehformaten, die Ihr eigentlich gar nicht so toll findet: Nachrichtensendungen (aber auch deren Parodien wie die heuteShow) leben in erster Linie davon, Agenden abzuarbeiten, die Politiker gesetzt haben. Ich warte ja drauf, dass die Youtube-Szene sich mal einen Fernsehjournalismus zum Vorbild nimmt, der – in Form von Reportagen, Dokumentationen und Hintergrundberichten – selbst relevante Themen auf die Agenda setzt.

Als Du Dich aus dem Biotop der Youtube-Musikanten und -Coversänger hervorgewagt hast, um mutig auf die Bühne des politischen Diskurses zu kraxeln, ist Dir – Glückwunsch! – fast aus dem Stand der Sprung in den (vergänglichen) Promi-Status gelungen. Da Du selbst jetzt beruflich „was mit Medien“ machst, wie man das heute nennt, und celebritymäßig in einer Liga mit Florian Silbereisen spielst, solltest Du also nicht überrascht sein oder tun, wenn jemand von der BILD bei Dir klingelt oder jemand von FAZnet Dir Fragen stellt. Schließlich trittst Du offensiv bis aggressiv auf und begnügst Dich nicht damit, die CDU zu kritisieren, sondern verkündest pathetisch deren „Zerstörung“. Du hast A gesagt, also will jemand von Dir B hören. So läuft das Geschäft, so sind die Menschen. Rechne schon mal damit, dass RTL Dich zu Promi Big Brother locken will.

Seltsamerweise ist es Dir nicht peinlich zuzugeben, dass Du einen Nachbarn vorgeschickt hast, um nicht mit jemandem von Reichelts Leuten reden zu müssen. Hast Du ernsthaft geglaubt, die finden Dich nicht? Die mögen ja skrupellos und scheinheilig sein, aber recherchieren können sie. Daher muss jemand, der so dicke Brocken ins Wasser wirft wie Du, darauf gefasst sein, dass die Typen irgendwann bei ihm aufschlagen und einen Kommentar zu den Wellen wollen. Auch die Kollegin von FAZnet hatte selbstverständlich das Recht, Dich auf die Flüge Deiner Mitstreiter anzusprechen. Sich spitzfindig um eine Antwort zu drücken, wirkt nicht souverän, sondern erbärmlich. Der testosterongeschwängerte Angeberton, in dem Du Dich im Raumfrösche-Video noch mit Deinem Kneifen brüstest, macht es nicht besser. Das ist nicht lustig, es turnt mich ab. Wenn Deine Kritik am klimapolitischen Versagen der CDU glaubwürdig bleiben soll, kannst Du auch Deinen Buddies nicht den Vorwurf ersparen, Teil des Problems zu sein, dessen Lösung Du forderst. Sonst ist es billiges Maulheldentum. Hast Du Schiss, dass sie Dich dann nicht mehr liken & sharen?

Das Schöne bei Greta Thunberg ist, dass sie rausgeht, zu den Menschen, in ihrer ganzen Asperger-bedingten Humorlosigkeit und kindlichen Ernsthaftigkeit. Ja, manche belächeln sie wegen ihrer Klein-Gretchen-Frisur. Du dagegen machst Dich selbst lächerlich mit Deiner kindischen blauen Tolle. Schon Sascha Lobo war ein Grenzgänger, als er seinen roten Iro zum Markenzeichen machte. Aber er war immerhin der Erste und für lange Zeit Einzige, der sich auf diese Weise als Enfant terrible inszenierte: ein Trotz- und Querkopf, der vor lauter Selbstverliebtheit nicht gemerkt hatte, dass Punk längst tot war. Da er aber neben manchem Dummschwatz eine respektable Portion bedenkenswerter Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs ablieferte, die nicht auf Effekthascherei und Provokation zielten, kann er sich erlauben, in seinem Alter noch den Hahnenkamm zu tragen. Nötig hätte er ihn schon lange nicht mehr.

Auch Du fällst durch Dein Haarstyling auf, aber in jeder Hinsicht unangenehm. Das ist leider überhaupt nicht originell, sondern der durchsichtige Versuch, auf der totgerittenen Lobo-Welle weiterzusurfen. Du bist nicht bekannt wie ein, sondern buchstäblich als bunter Hund. Die Clownerie macht Dich zum Trittbrettfahrer. Du hängst fest in der Falle, die Du Dir mit dem Ego-Marketing selbst gestellt hast: Wer sich als Einziger weit und breit diese Farbe ins Haar schmiert, ohne dass gerade Karneval ist, kann ja gar nicht mehr ganz normal unter Leute gehen oder erwarten, von Erwachsenen ernst genommen zu werden: Schau, da vorn kommt Rezo, der Westentaschen-Lobo!

Vielleicht ist es ja auswaschbare Farbe, die Du immer nur vor dem Einschalten der Kamera aufträgst. Aber egal. Wir kennen Dich jetzt alle; der Egobooster vom Coiffeur hat seine Funktion erfüllt. Also spar Dir den albernen Farbstoff, lass ihn rauswachsen! Oder schneid‘ Dir ´ne Pläät. Mach Dich ehrlich, nützlich, glaubwürdig und – ja – auch mal unbeliebt, das gehört dazu: Wer so eine Reichweite bei den U30-Usern hat, ist prädestiniert dafür, die ganzen Umweltsauereien seiner Zielgruppe zum Thema zu machen. Sauf-Reisen ganzer Abi-Jahrgänge per Billigflieger ans Mittelmeer. Ballermann-Tourismus. Das Saurauslassen in Wintersportorten. Pfandflaschen in die Landschaft, in den Wald und auf Radwege schmetternAlles Dinge, die Ältere nicht tun.

Auf einen Influencer wie Dich hören die Party Animals der Generation Y eher als auf uns alte Säcke. Die schaden sonst unserem Planeten länger und nachhaltiger als alle Senioren, die schlimmstenfalls noch in der Lage sind, ihren Heizungsthermostaten obszön weit aufzudrehen.

Morgen in diesem Theater:

Teil 3 – Schluss mit der Verherrlichung des Digitalen! 

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