Zu dumm zum Abschreiben

Schlechtes Gewissen: Ich habe meine Blog-Rubrik „Ja, liest denn keiner mehr gegen?“ lange vernachlässigt. Kürzlich gab es wieder mal einen Fall, der dermaßen peinlich für ein großes deutsches Medium ist, dass ich nicht anders kann, als die Rubrik wieder aufleben zu lassen. Da kupfert der „stern“ – der in der Zeit, als Dominik Wichmann Chefredakteur war, wieder so lesenswert geworden war, dass ich ihn abonnierte – einen Beitrag mehr schlecht als recht beim Guardian ab, verschlimmbessert ihn aber durch selbst Hinzugefügtes. An dieser Stelle schon mal ein Spoiler: Es geht wieder mal um das Ammenmärchen vom Kühlschrank, der Milch bestellt.

Als ich gestern nach Ablieferung der fünften Folge meiner brandeins-Serie über Chancen und Herausforderungen des klimagerechten Umbaus der Wirtschaft – diesmal geht es um Wegwerfgesellschaft und Kreislaufwirtschaft – den Computer aufräumte, sprang mich eine „stern“-Fundsache aus dem Juni an. Mich hatte der Beitrag über „smarte“ Haushaltsgeräte deshalb interessiert, weil es darin um die Lebensdauer von technischen Produkten ging: Ein vernetztes Gerät verschleißt nicht nur, es veraltet auch dann, wenn der Hersteller einfach nur die Software nicht mehr aktualisiert. Wenn die Industrie Verbraucher zwingen will, noch funktionsfähige Geräte zum Sperrmüll zu geben, unterlaufen sie den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, mit dem die EU-Kommission die Langlebigkeit fördern und die Schrottmengen reduzieren möchte. Die Redaktion des geschätzten Guardian hatte das Thema aus Perspektive des Brexit-UK sauber abgehandelt, wenngleich sie ihrerseits nur durch „Which?“, das britische Pendant zum Stiftung-Warentest-Heft „test“, darauf gekommen war.

Den Epigonen von „Sir Henri“ Nannen in Hamburg fiel nun nichts Besseres ein, als weite Passagen des englischen Zeitungsberichts über die Story des Verbrauchermagazins holprig einzudeutschen. Eine Perle daraus sind die beiden Sätze: „Die BSH-Gruppe – die etwa Geräte von Bosch, Neff und Siemens herstellt – erklärte, man wolle während der gesamten Lebensdauer des Produkts Aktualisierungen bereitstellen. Aber auch hier bleibt unklar, wie lange die Support-Phase am Ende sein werde.“ Das ist so, wie es da steht, natürlich Blödsinn, allein schon weil es Weiße Ware von Siemens längst nicht mehr gibt: BSH, ehemals Bosch-Siemens Hausgeräte, ist seit 2015 eine 100-prozentige Tochter der Robert Bosch GmbH. Es hätte also heißen müssen: „Die Bosch-Tochter BSH Hausgeräte GmbH, die ihre Geräte auch unter den Markennamen Siemens, Constructa, Neff und Gaggenau verkauft …“ Tja, und wenn den britischen Kollegen, von denen man abschreibt (immerhin mit Link zum Original), etwas unklar geblieben ist, bohrt man halt selbst noch mal beim Marktführer in München-Neuperlach nach. Und man fragt sinnvollerweise die Vertriebsleute von Samsung, Elektrolux und Beko, wie sie es denn innerhalb der EU mit dem Thema halten. Nennt man Recherche.

Der eigentliche Klops ist aber der Part, der sich an die 1:1-Abkupferei anschließt. Hier saugt sich der offenbar dramatisierwütige Autor (bzw. der dito Redakteur) regelrecht etwas aus den Fingern:

Daran sind zwei Dinge falsch: Erstens hat es – wie ich seit 1997 nicht müde werde zu wiederholen – noch nie einen Kühlschrank gegeben, der eigenständig Milch ordern kann, wenn sie ausgeht, und es wird auch nie einen geben, weil das weder vom Verbraucher gewünscht wird noch technisch mit vertretbarem Aufwand möglich ist. (Ungeachtet dessen bieten Stockfoto-Agenturen dieses Szenario mittlerweile als computergenerierte Illustration an, weil es in aller Welt dumme Redakteure gibt, die aus Weiß-der-Henker-was-für-Gründen darauf abfahren.) Zweitens ist unter Waffe hier zu verstehen, dass es einzelne Kühlschrankmodelle vor allem asiatischer Provenienz gab oder gibt, bei denen so etwas Ähnliches wie ein Tablet-Computer in die Tür eingebaut war oder ist und die aus diesem Grund mit WLAN-Antennen ausgestattet wurden. Wenn sie lausig konfiguriert sind, kann ein Hacker die E-Mail-Zugriffsdaten abgreifen und den in den Kühlschrank eingebauten Computer (nicht den Kühlschrank) für DDoS-Attacken nutzen, ihn also als Teil eines Botnetzes missbrauchen. Das hat mit Smart-Home-Funktionen in etwa so viel zu tun wie das Fahrrad, mit dem man zum Bahnhof fährt, mit dem Fahrkartenautomaten, der neben dem Fahrradständer steht.

Mich tröstet übrigens nicht, dass deutsche Redakteure, die mit Fleiß danach googeln, rasch irgendwelche Texte aus aller Welt über angeblich schlaue Kühlschränke finden. Das Phänomen, dass diese fixe Idee Journalisten-Kollegen (sehr selten: Kolleginnen) befällt, ist global verbreitet. Es handelt sich bei diesen Fundsachen jedoch durchweg um Enten – wie beispielsweise diese hier. Dieser von einem Ahnungslosen verfasste Text beginnt so:

„In June 2000, LG introduced the first internet-connected fridge. These ‘smart fridges’ were able to create grocery lists and link to smartphone apps…“

Tja, Smartphone-Apps kamen erst sieben Jahre nach dem Kühlschrank, der hier gemeint ist, auf die Welt. Dass der genausowenig in der Lage war, selbsttätig Einkaufslisten zu schreiben, wie ein Notebook oder Tablet, ist dabei sogar dem als Referenz verlinkten Text aus Thailand eindeutig zu entnehmen.

Die einzige plausible Konstruktionsidee ist die (von mir noch nicht verifizierte), dass im Kühlschrank mehrere Kameras und via Internet fernaktivierbare LED-Funzeln installiert sind, damit man vom Supermarkt aus mal schnell nachsehen kann, was noch im Kühlschrank ist. Ins Innere der Milchtüte – oder in die Schubladen des Vorratsschranks in der Speisekammer – können diese Kameras allerdings auch nicht hineinschauen.

Ceterum Censeo: Jedes Medium, das dieses 23 Jahre alte Ammenmärchen vom Milch bestellenden Kühlschrank nachplappert, qualifiziert sich dafür, hier durch den Kakao gezogen zu werden. 

 

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