Scott McNealy hatte null Ahnung von Computern, als er bei Sun anfing. Aber verkaufen kann sie der Superman der Sprücheklopfer bravourös.
Dot-Coms haben in Finanzkreisen einen fürchterlichen Ruf. Nichts können die Intemet-Start-ups angeblich besser, als das Geld ihrer Kapitalgeber zu verbrennen. Deren Leid ist Scotty McNealys Freud: Der 45-Jährige ist Chef eines jener Unternehmen, bei denen – um im Bild zu bleiben – die ganze Asche hängen bleibt. Sun Microsystems aus Palo Alto, der inoffiziellen Hauptstadt des Silicon Valley, profitiert prächtig von der New Economy, denn McNealy und seine rechte Hand Ed Zander handeln unbeirrt nach den Regeln der Old Economy. Ihre Sun-Server sind sozusagen die beliebtesten Schaufeln der modernen Goldgräber. Die Aktionäre jubeln: Der Börsenwert der 1982 gegründeten Computerfirma (bei Redaktionsschluss über 180 Milliarden Dollar) ist von dem der IBM nicht mehr weit entfernt, obwohl der Branchenveteran fünfmal so viel umsetzt.
Suns Aufstieg vom ewigen Außenseiter zum Marktführer im WWW-Business ist umso frappierender, als er das Werk eines Mannes ist, der mit zwei hervorstechenden Eigenschaften berühmt geworden ist: Scott McNealy hat erstens eine riesengroße Klappe, zweitens so gut wie keine Ahnung von Computern.
Okay, okay. Keine Ahnung ist natürlich polemisch, die große Klappe dagegen ziemlich geschmeichelt. Aber bei einem wie McNealy geht das schon in Ordnung. Die Aussage ist plakativ, ein bisschen überheblich und enthält einen wahren Kern – damit ist sie 100 Prozent Scott-kompatibel. Und sie trifft einen, der immer schon lieber eine schlechte Presse hatte als gar keine: einen schlagfertigen Eishockey-Freak, der – verbal stets gewaltbereit – hungrige Medienmenschen seit vielen Jahren mit sorgsam ausgebrüteten Sound-Bytes über die dumme Konkurrenz versorgt und dann mit schelmischem Grinsen verfolgt, wie die Journalisten nach den Happen schnappen. Einen hemdsärmeligen Manager, der weiß, dass er sich sogar exzessive Bissigkeit erlauben kann, weil seine markanten Nagezähne nie den Eindruck der Verbissenheit aufkommen lassen. Für seine Physiognomie, mehr Hase denn Hund, kann er nichts. Doch wer Scott McNealy ins Gesicht blickt, dem zieht es unwillkürlich die Mundwinkel hoch.
Den Amerikaner schottisch-deutscher Abstammung wegen dieser Kombination aus lustigem Äußeren und Show-Talent für einen Gaudiburschen zu halten, hieße ihn enorm zu unterschätzen. Der fleißigste Sprücheklopfer des Silicon Valley kennt nur ein Ziel: auf dem Umweg über seine Person die Produkte seiner Firma zu verkaufen. Mit Primetime-tauglichen Witzen über seinen Lieblingsfeind Microsoft sammelt er Humorpunkte. Fetzt er sich mit Bill Gates vor Gericht, kann er sich als Rebell gegen das Monopol profilieren. Die Botschaft ist dieselber: Sun hat’s drauf, kauft Sun!
Dass Scott im Jahr 2000 als der Mr. Sun dastehen würde, war in der Gründerzeit des Unternehmens Anfang der 80er Jahre nicht zu erahnen. Wenn es einen Menschen gab, der mit dem Unternehmen identifiziert wurde, so war dies Andreas von Bechtolsheim. Der Aufstieg von „Andy“, dem eher scheuen Birkenstock-Träger vom Bodensee, zum Idol einer halben Generation von High-Tech-Firmengründern ist fester Teil des Legendenschatzes des Silicon Valley. Bechtolsheim erfand 1981 die Original-Sun-Workstation – nicht in einer Garage, sondern im Computer Systems Laboratory der Stanford-Uni in Palo Alto. Damit hatte der ausgewanderte Jugend-forscht-Sieger ein Produkt in Händen, für das es gewiss einen großen Markt gab: Die Sun (Kürzel für Stanford University Network) machte Ingenieure unabhängig von chronisch überlasteten Rechenzentren. Wie man um eine solche Maschine herum eine Firma zimmert, davon hatte Andy, der geniale Techniker, allerdings keinen Schimmer.
Den brauchte er auch nicht. Die Sorge ums Kaufmännische und Organisatorische nahm ihm bereitwillig Vinod Khosla ab. Der junge BWL-Absolvent aus Indien war wild entschlossen, im Silicon Valley reich zu werden, und erkannte die Chance, die ihm die Ideen seines deutschen Freundes boten. Weil es viel zu tun gab, fragte Khosla außerdem seinen Zimmergenossen von der Uni, ob der nicht Lust hätte mitzumachen. So wurde Scott McNealy Mitarbeiter Nummer drei. Als frisch gebackener MBA mit erster Berufserfahrung und Sohn eines Detroiter Automanagers hatte er Ahnung von kaufmännischen Dingen und von Produktions- betrieben – und keine Angst vor hohen Tieren. Im Februar 1982 ging das Gründerquartett offiziell an den Start: Hardware-Spezialist Andy als Technikchef, die Kaufleute Vinod und Scott als Geschäftsführer und dessen rechte Hand sowie der Informatik-Doktorand Bill N. Joy als Software-Experte. Das nötige Kleingeld hatte Vinod Khosla bei der Venture-Capital-Gesellschaft Kleiner Perkins Caufield Byers besorgt, der er mittlerweile als Partner beigetreten ist.
Die preiswerte Sun-Workstation wurde im Nu zu einem Bombenerfolg. Doch bald wurde dem Quartett klar, dass das ungeduldige Energiebündel Vinod Khosla nicht die Idealbesetzung für den Chefposten war. Anfang 1984 stieg Scott vom Vice President Operations auf zum President und Chief Operating Officer. Ende des Jahres räumte der Team-Chef komplett das Feld. Mit 29 stand Scott McNealy allein an der Spitze des Unternehmens. Der Angestellte Nummer drei war in Personalunion Chairman of the Board, President und Chief Executive Officer.
Seit damals ist McNealy der unangefochtene Boss. Abgesehen von Bill Gates, Oracle-Chef Larry Ellison und Michael Dell bringt es niemand aus der ersten Garde der Computerindustrie auf eine ähnlich lange Amtszeit. Zwar gilt er wie Khosla als ungeduldig und fordernd – die 80-Stunden-Wochen, die er für sich für normal hält, mutet er auch Mitarbeitern zu. Ein Privatleben gönnte er sich lange nicht. Doch McNealy bewies ein seltenes Talent, das ihn praktisch unangreifbar machte: Wie mit einem Röntgenblick ortet der Manager, der sich für ein Illustriertenfoto schon mal als Superman verkleidet, Schwachstellen aller Art: im Marketing, in der Produktion, beim Finanzmanagement. Seine Messlatte waren nicht, wie sich das für einen Nachwuchsunternehmer gehörte, Gründerfirmen wie Apple, sondern etablierte Weltkonzerne. Der Sun-Chef machte nie ein Geheimnis daraus, dass sein Vorbild Jack Welch heißt. Aber während andere Jungmanager den langjährigen Boss von General Electric nur aus der Ferne bewunderten, pirschte sich McNealy an den Übervater des US-Business heran, erwarb sich mit cleveren Schachzügen und selbstbewussten, riskanten Entscheidungen dessen Respekt. Heute spielen die beiden zusammen Golf und gelten als persönlich befreundet – was einer Beförderung des vierfachen Milliardärs in den Olymp des Geldadels gleichkommt.
Business à la McNealy: Früh motivierte er Software-Firmen, Programme für Sun-Rechner zu schreiben. Die von Sun-Ingenieuren für den Datenaustausch in Unternehmensnetzen entwickelte Software NFS gab er, statt sie teuer zu verkaufen, gegen eine Schutzgebühr her. So konnte er einen Standard durchsetzen, der das Unternehmen zur festen Größe seiner Branche machte. Die Methode wiederholte McNealy bei der Web-Programmiersprache Java. Nun versucht er es mit Staroffice, einer Gratisalternative zu MS-Office. Software-Entwicklungskosten sieht er als Marketing-Aufwand, der sich durch Hardware-Aufträge auszahlt.
Dieser Business-Stil widerspricht zwar der gängigen These, dass die Wertschöpfung in der Computerbranche sich von Hardware immer mehr zu Software verschiebt. Trends und Moden haben den als Quer- und Sturkopf bekannten McNealy allerdings noch nie beeindruckt. Während andere, wie Dell, auf den Zukauf möglichst vieler Komponenten setzen, entwickelt Sun heute fast alles selbst – vom Prozessor-Chip bis zum Betriebssystem. Sogar von Bechtolsheims ursprüngliches Erfolgsrezept, hohe Rechenleistung auf jedermanns Schreibtisch zu installieren, ist passé. In Scott McNealys Welt machen wieder zentrale Server die Arbeit, wie im traditionellen Rechenzentrum der IBM-Ära.
Der Sun-Boss hat mit dieser scheinbaren Kehrtwende kein Problem. Jahre vor dem Internet-Boom hatte er die heute noch gültige Parole des Unternehmens formuliert: „The Network is the Computer.“ Da nun alle Computer vernetzt sind, stimmt der Satz immer – egal, wo gerechnet wird.
Erschienen in BIZZ 11/2000.
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