Online-Erotik törnt an: Zuschauer und clevere Geschäftemacher. Lesen Sie, was hinter den Kulissen der Sex-Industrie abgeht
Ein Sittenstrolch treibt sich im Web herum. Seit er Anfang letzten Jahres wie aus dem Nichts auf der Bildfläche erschien, hat er mit seiner eher plumpen Masche schon Tausende angemacht. Er schreckt weder vor Alt noch Jung zurück, und nur ungern lässt er seine „Gäste“ wieder ziehen. Polizisten, Staatsanwälte und selbst ernannte Anstandswächter lassen den Kerl gewähren, obwohl Name und Wohnsitz ganz leicht herauszufinden sind. Auf die Frage ,WHOIS sittenstrolch.de?‘“ antwortet der Computer des Internet-Zentralregisters RIPE in Sekundenschnelle: „Person: Boris Kube. 14163 Berlin, Germany.“
Der 22-Jährige aus Berlin-Zehlendorf ist sicher kein Chorknabe, aber erst recht kein kranker Triebtäter. Sondern Existenzgründer mit Erfahrung, ein Autodidakt in Sachen Online-Sex. Kube kalkuliert genau, was er tut, und weiß, was man vermeiden muss, um nicht straffällig zu werden. Als Webmaster, der auf dem schmalen Grat zwischen sinnlicher Cyberspace-Erotik und Hardcore-Pornografie balanciert, ignoriert er geschäftsmäßig die Grenzen des guten Geschmacks. Ohne Scheu erhob er den Begriff Sittenstrolch zum Markenzeichen, unter dem ältere Menschen alles zusammenfassen – vom Spanner über den Exhibitionisten bis hin zum brutalen Vergewaltiger und Kinderschänder.
„Die Leute müssen grinsen, wenn sie die URL sehen“, rechtfertigt Kube seinen Coup mit der Strolch-Domain, „manche rufen sogar an und fragen, ob sie das nicht als e-Mail-Adresse kriegen können.“
Boris Kube gehört zu einer wachsenden Gemeinschaft junger Deutscher, die ungeniert ihren Ruf ruinieren, um besser zu leben. Während ihre Altersgenossen um Lehrstellen oder mies bezahlte Praktika anstehen, verdienen Sie als erfolgreiche Webmaster gutes Geld, indem sie ihr Hobby zum Beruf machen – oder zumindest zum einstweiligen Brot-Erwerb. Denn Internet-Sex hat Konjunktur: Nicht jugendfreie Pages, schätzen die Analysten von Datamonitor in London, erzielen fast 70 Prozent aller Online-Erlöse (im Fachjargon: „paid content“).
1999 zahlen Amerikaner und Europäer erstmals mehr als eine Milliarde Dollar fürs Bilder- und Filmchengucken, in vier Jahren sollen es drei Milliarden sein. Richtig sexy sind die Summen allerdings noch nicht überall: Sämtliche deutschen Erotik-Sites zusammen schaffen dieses Jahr mit Mühe den Umsatz, den allein die Ladengeschäfte von Beate Uhse 1998 erwirtschafteten – rund 90 Millionen Mark.
In den USA gibt es mehrere Online-Sex-Konzerne, die solche Größenordnungen ganz allein erreichen. Der bekannteste, wenn auch nicht der umsatzstärkste unter ihnen, ist die Internet Entertainment Group (lEG) aus Seattle. Das Unternehmen des 26-jährigen Seth Warshavsky arbeitet ähnlich wie McDonald’s: lEG betreibt nicht nur eigene Sites, sondern stattet auch Filialen von selbstständigen Partnerfirmen aus – auf Wunsch gibt es das virtuelle „Triple-X-rated“-Pornokino als Komplettpaket. Für jeden Geschmack ist etwas im Sortiment, von Mainstream über exotisch bis eklig.
Die Kunst der Cyber-Porno-Vermarkter besteht darin, ein und dasselbe Material unter vielen Namen und in den unterschiedlichsten Verpackungen auf den Markt zu bringen. Um sich gegenseitig Nutzer zuzuschustern, müssen sich die Sex-Communities per Bannertausch, Hitlisten und Web-Ring vernetzen. Ohne dieses aktive Marketing wären die meisten Sex-Sites im Internet verloren; es gibt kaum ein Schlagwort aus dem Lexikon des Erotomanen, bei dem die Suchmaschinen nicht überquellen von hundertfach registrierten Seiten dubioser Herkunft.
„Dieses Geschäft zieht Leute an, die nicht gerade zu den Ehrlichsten der Welt gehören“, meint Branchen-Analyst Barry Parr von IDC in Boston, „doch es auch eine Menge anständige, aufrichtige Menschen, die Pornos über das Netz verkaufen.“ Auch die beteiligen sich indes an manch fragwürdigem Schmu, der irgendwann in der Szene eingerissen ist. So wimmelt es im Netz von „Teens“ – als buhlten die Betreiber um Kunden, denen die Mädchen nicht jung genug sein können. In Wahrheit werden die Pädophilen zum Glück meist gefoppt. „Im Web ist
alles ,Teen‘, was unter 40 ist“, erklärt Kommissar Adalbert Heim von der Kripo Fürstenfeldbruck.
Auch sonst ist der Reklamejargon der Erotik-Portals und Sex-Hitlisten gewöhnungsbedürftig: Woher soll ein Freund eher sinnlicher Fotos wissen, dass ihm das Wort „cum“ nicht sagen will, dass er doch bitte hineinkommen möge. Sondern dass dort das kommt, was kommt, wenn einer kommt. So eine Visite geht oft ins Auge und kostet auch noch Geld. Da lernt man schnell das Wörtchen Hardcore wegen seiner warnenden Wirkung zu schätzen. Doch auch dieser Begriff ist manchmal nur reines Marketing. Und wo SM draufsteht, ist glaubwürdigen Zeugen zufolge nicht das drin, was einen Marquis de Sade befriedigen würde. So zynisch und abgebrüht, wie ihre Texte vermuten lassen, geben sich Erotik-Anbieter im richtigen Leben nie – im Gegenteil. In diesem Gewerbe, dessen Vertreter so gerne mit ihrer inhaltlichen Nähe zum Rotlichtmilieu kokettieren, wird auffallend engagiert über „Ehrlichkeit“ und „Qualität“ diskutiert. Wie widersprüchlich Moralvorstellungen sein können, zeigt das sittenstrenge Amerika: Dort steht das Verbreiten von Pornografie sogar unter dem Schutz des ersten Verfassungszusatzes, der die Redefreiheit garantiert.
Diese Freiheit indes missbrauchen einige Geschäftemacher mittlerweile skrupellos. Sie halten Surfer mittels versteckter Javascript-Befehle regelrecht gefangen in ihren virtuellen Kontakthöfen: Wer erst einmal in einen Web-Ring von Firmen wie Dynamic Telecommunications, Clear Command oder Multimedia Forum gerät, braucht gar nicht erst zu versuchen, sein Browser-Fenster zu schließen: Jedes Mal öffnet
sich ein neues – bis zu zehn hintereinander. Da hilft nur noch, den Modemstecker zu ziehen.
Mancher Gauner fordert sogar zur Eingabe von Kreditkarten-Daten auf und behauptet, dies diene nur zur Alterskontrolle; es werde nichts abgebucht. Wer das glaubt…
Ernstzunehmende Jugendschutzsysterne arbeiten anders. Sie sind zwar fester Bestandteil der Netz-Erotik-Wirtschaft, denn sie teilen sich die Abo-Gebühren der volljährigen Kunden mit den Betreibern der Bildergalerien, Live-Stripshows und Chat-Räume. Aber im Zweifelsfall kooperieren sie zehn mal lieber mit dem „Jugendschutz.Net“ der Länder als mit Content-Anbietern aus dem Zuhältermilieu. Roland Bongartz (34), als Geschäftsführer der lFP-Online GmbH in Korschenbroich Marktführer unter den Online-Türstehern, ist als Familienvater sehr darauf bedacht, den abenteuerlustigen Jungs die Pirsch durchs „erwachsene“ Web nicht so leicht zu machen wie mancher Konkurrent. So begnügt sich ein deutscher Anbieter damit, sich einen Namen mit dazugehörigem Konto mailen zu lassen und die Personalausweisnummer eines beliebigen Volljährigen; die Adresse wird nicht verifiziert, das Passwort geht sogar an anonyme Web-Mail-Accounts heraus. Bongartz hingegen prüft, ob Konto und Ausweis zusammengehören. „Wir sind überzeugt von dem, was wir tun“, so Bongartz, „aber wir wollen nicht die Welt verbessern.“
Was Bongartz will, ist Geld verdienen – auf genauso seriöse Weise wie die berühmte Beate Rotermund-Uhse. Darum hat er seine Aktivitäten jetzt ausgeweitet: Seine neue Firma Coolspot New Media AG ist Erotik-Portal und Online-Sex-Shop in einem – die Produkte kommen vom Uhse-Rivalen Orion. Wenn die Rechnung aufgeht, will er in ein paar Jahren an die Börse gehen.
Sogar „Sittenstrolch“-Erfinder Boris Kube will die Erträge seiner anzüglichen Sites in den Aufbau einer bürgerlichen Existenz als e-Commerce-Unternehmer investieren. Vorher möchte er aber noch ins Fernsehen: „Mein Ziel ist, eines Tages bei Lilo Wanders auf der Couch zu sitzen und zu wissen, dass meine notgeilen Lehrer zuschauen.“ Der Langzeitpennäler hat erst jetzt sein Abitur gemacht. Die zweite gymnasiale Ehrenrunde verdankte er seinen Aktivitäten als Online-Unternehmer. Und einer Sache ist sich Kube ziemlich sicher: Einige seiner Ex-Lehrer sind Kunden von ihm.
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MIT SEX GELD VERDIENEN
Verschiedene Geschäftsmodelle haben Chancen auf dem Erotik-Markt
Sexshop: Gerade Spezialitätenversender finden im Internet leicht zu ihren Kunden. Für Gängiges geht man heute lässig in den Laden von Beate Uhse – 54 Prozent des Umsatzes macht das Flensburger Unternehmen über die Theke, nur 21 Prozent im Versand.
Webmastering: Die Herstellung von Profi-Content ist teuer.Viele Webmaster sind daher keine Regisseure und Fotografen, sondern Bilderhändler. Sie kaufen billig auf dem Weltmarkt und bauen ein hübsches Kino. Manchmal füllen auch Amateurfilme die Kassen.
Age Checking: Alterskontrolle zwecks Jugendschutz ist ein Thema, das Webmaster gem deligieren. Darum verdienen Anbieter wie X-Check an Gebühren der Nutzer, die nur über sie auf Porno-Seiten gelangen.
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PORTRÄT
Der kurze Weg zum King of Porn
Sexpapst Seth Warshavsky macht im Jahr via Internet 15 Millionen Dollar Gewinn
Wie digitale Ökonomie funktioniert, hatte Seth Warshavsky schon längst kapiert, als die Gründer von Netscape, Yahoo und Amazon.com noch den Wall-Street-Analysten erläuterten, warum Anleger bei ihren hochdefizitären Companies einsteigen sollten. So machten die berühmten Kollegen bei bescheidenen Umsätzen Millionenverluste, während Seth mit seiner Internet Entertainment Group richtiges Geld verdiente. 1998 meldete das Untemehmen einen Gewinn von 15 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 50 Millionen – eine Traumrendite.
Die Methoden des 26-Jährigen aus Seattle sind nicht immer die feinsten. So riss er sich vor dem Besuch des Papstes im Januar in St. Louis den Domain-Namen www.papalvisit.com unter den Nagel. Dortselbst stellte er Seiner Heiligkeit aufreizende Evas an die Seite, auf dass den Surfern Gottes Werk gefalle.
Schlagzeilen machte er damit auf jeden Fall, und die sind ihm wichtig. Immer wieder widmen renommierte Medien dem raffinierten Jungunternehmer lange Artikel: von „Fortune“ bis „Newsweek“. Kein Wunder bei seinen Coups: Er brachte das legendäre private Video von Pam Anderson und Tommy Lee ins Netz und gab sich einen seriösen Touch, als er das groß angekündigte Live-Webcasting einer Entjungferung absagte – er habe erfahren, das Ganze sei ein großer Bluff.
An die Börse wolle er gehen, tönte Warshavsky vor einem Jahr; der als streitsüchtig und ausgesprochen schwierig geltende Selfmademan war den Anlegern aber suspekt. Kein Problem für einen, der selbstständigen Webmastern für jeden weitergeleiteten Besteller des Potenzmittels Viagra Provision zahlt.
Frisches Kapital braucht die kerngesunde Firma lEG eigendich gar nicht. Dafür kennt jetzt jeder in der Männerdomäne Wall Street Warshavskys Web-Adressen.
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Tomorrow helpline – Erotik im Netz
Prof. Dr. Ulrich Sieber von der Uni Würzburg ist führender Experte für Internet-Strafrecht sowie Autor des soeben erschienenen Buches „Verantwortlichkeit im Internet“ (C.H. Beck Verlag)
Hafte ich für Links zu strafbaren Inhalten?
Im Einzelfällen kommt eine strafrechtliche oder zivilrechtliche Haftung in Betracht. Deswegen sollten Sie sich keinesfalls mit fremden Inhalten identifizieren, die strafbar sein könnten. Sonst haften Sie unter Umständen schon bei Fahrlässigkeit. Setzen Sie vorsätzlich einen direkten Link auf einen strafbaren Inhalt, haften Sie in der Regel selbst dann, wenn Sie sich von dem gelinkten Angebot distanzieren. Führt Ihr Link erst über weitere fremde Links zu strafbaren Inhalten, kommt eine Strafbarkeit dann in Betracht, wenn Sie den Nutzer vorsätzlich in einen strafrechtlich hochbelasteten Bereich führen.
Wann ist Pornografie strafbar?
Bei harter Pornografie ist jede Form der Verbreitung und auch der Besitz strafbar – selbst unter Erwachsenen. Dies gilt in Deutschland für Pornografie mit Kindern bis zu 14 Jahren sowie teilweise auch für Tier- und Gewaltpornografie. „Einfache“ Pornografie darf an jugendliche bis 18 jahre gar nicht gelangen, Erwachsenen darf man sie nicht unaufgefordert schicken. Bestraft werden kann auch, wer „nur“ jugendgefährdende Inhalte Personen unter 18 jahren zugänglich macht. Jugendgefährdend sind zum Beispiel unsittliche sowie zu Gewalttätigkeiten oder Rassenhass anreizende oder den Krieg verherrlichende Inhalte.
Gibt es Rechtssicherheit im Internet?
Wer im Internet ins Ausland mailt, in Newsgroups postet oder WWW-Angebote bereitstellt, unterliegt mit seinem Verhalten nach vorherrschender Meinung einer Vielzahl von Rechtsordnungen. In den meisten Staaten ist das Internet-Recht jedoch noch wenig entwickelt. Absolute Rechtssicherheit gibt es daher nicht. Jedoch sind die Grundlagen klar: Was offline strafbar ist, wird auch online bestraft. Mit einer seriösen Rechtsberatung oder auch nur mit vernünftiger Literatur ließen sich daher 99 Prozent der bisherigen Strafverfahren rund ums Internet leicht vermeiden. Anbieter, Provider und Nutzer im Internet müssen sich dazu nur eingehend mit den entsprechenden Fragen befassen.
Alterskontrollen – nur ein Bluff?
Das kommt auf den konkreten Einsatzort und die eingesetzte Technik an: Bei harter Pornografie sind diese Systeme völlig untauglich, da hier auch die Verbreitung unter Erwachsenen strafbar ist. Bei einfacher Pornografie kann ein gutes Altersverifikationssystem hingegen ausschließen, dass man jugendlichen die fraglichen Daten im Sinne des Gesetzes „zugänglich“ macht. Für Inhalte, die nicht pornografisch,
sondern nur jugendgefährdend sind, gelten aufgrund einer speziellen Regelung im Gesetz über jugendgefährdende Schriften und Medieninhalte grosszügigere Bestimmungen. Die meisten zur Zeit eingesetzten Systeme dürften nur der letztgenannten Kategorie entsprechen.
Was, wenn ich Kinderpornos finde?
Sie dürfen den Inhalt nicht speichern oder weitergeben.Weil schon der Besitz strafbar ist, sollten Sie verdächtige Dateien aus allen Speicherbereichen – wie Cache oder Papierkorb – entfernen. Wenn Sie Ihre Entdeckung einer Hotline oder der Polizei melden, sollten Sie vorsichtshalber nicht das Bild weitergeben, sondern nur die Fundstelle nennen.
Erschienen in Tomorrow 11/1999
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