Rück mal ’n Stück!

Noch können die Schweizer zwar keine Berge versetzen, aber sie üben kräftig: an Häusern.

Der Watzmann steht noch immer. Er versperrt wie eh und je die Sicht aufs Mittelmeer. Die Bayern haben bis heute nicht einmal versucht, das Bergmassiv zu beseitigen – was daran liegen könnte, dass sie den Appell „Nieder mit dem Watzmann!“ nie richtig ernst genommen haben. Dessen Urheber Ulrich Roski war ja erstens ein Saupreiß und zweitens ein bekannter Spaßvogel, der mit seinem Gstanzl „Auf der Alm“ in Wahrheit nicht den Watzmann treffen wollte, sondern jene übereifrigen Landschaftsarchitekten, die in den Siebzigern begonnen hatten, den Alpenraum nach dem Geschmack massentouristischer Zielgruppen umzudekorieren. Diese Leuten hätte den Watzmann aber wohl nicht platt gewalzt, sondern an den Strand von Bibione gestellt. Dann hätten sie den Feriengästen beide Attraktionen im All-inclusive-Paket verkaufen können. Zum Glück taugte die Technik noch nicht zum Bergeversetzen.

Dazu taugt sie zwar bis heute nicht. Wenn ich jüngste Meldungen aus der Schweiz richtig deute, ist das aber nur mehr eine Frage der Zeit. In unserem Nachbarland haben findige Ingenieure kürzlich bewiesen, dass große Dinge, die gestern noch unverrückbar schienen, schon morgen ganz wo anders stehen können. 123 Jahre lang hatte das 80 Meter lange, 6200 Tonnen schwere Direktionsgebäude einer Maschinenfabrik friedlich am Zürcher Vorstadtbahnhof Oerlikon verharrt, jetzt steht es 60 Meter weiter westlich. Die Schweizer Tüftler haben sich aber nicht so umständlich angestellt wie kalifornische oder chinesische Milliardäre, die Loire-Schlösser und Chalets in Kleinteile zerlegen und daheim lego-mäßig wieder zusammenpuzzlen lassen. Statt dessen haben sie dem Backsteinbau einfach ein paar Schienen unters Fundament geschoben und ihn sachte nach nebenan gleiten lassen. Die Zürcher feierten das „Mega-Züglete“, wie der XXL-Umzug in der Landessprache heißt, wie ein Volksfest: Endlich ist der Weg frei für eine wichtige Neubautrasse der Bundesbahn.

Nachdem das Rekord-Projekt so bravourös geklappt hat, haben auch deutsche Planer keine Ausrede mehr. Von den Schweizern lernen heißt Schieben lernen. Wenn nix mehr fix ist und immer wuchtigere Immobilien mobil werden, eröffnen sich fantastische Chancen, unsere Städte gewaltfrei von Erb-Bausünden zu befreien. Hassgeliebte Hauptbahnhöfe reißt man nicht mehr ab, man baut ihnen ein Abstellgleis. Leinfelden- Echterdingen hätte dem Stuttgarter Nordflügel bestimmt Asyl gewährt. Klaus Wowereit könnte die Ex-Gaststätte Schlossturm – überregional besser bekannt als Bierpinsel – nach Mitte rücken lassen. So wären die Steglitzer das ungeliebte Kind endlich los; für die städtebauliche Massenkarambolage am Potsdamer Platz dagegen wäre der schreiend bunte Pilspilz eine enorme Aufwertung. Die vom selben Architektenbüro ausgeheckte ICC-Kongresshalle ließe sich in die Steinwüste am Alex abschieben. Die Rheinländer wiederum lassen zwar den Dom in Kölle, entsorgen aber die deprimierende Domplatte in Richtung Hürth, während die Münchner ihre Kulturtrutzburg Gasteig vom Isarhochufer hinter den Stadelheimer Knast bugsieren.

Falls den Schweizer Schiebern irgendwann die großen Bauwerke ausgehen, macht das gar nichts. Ihr wahrer Ehrgeiz bestand ohnehin immer darin, Berge zu versetzen. Zu Ulrich Roskis Zeiten haben sie damit klein angefangen und den sagenumwobenen Teufelsstein bei Göschenen gute 100 Meter zur Seite gerückt. Das 2000-Tonnen-Trumm stand mitten auf der geplanten Zufahrtstrasse zum Gotthard-Autotunnel. Aber wer ehrlich ist, muss zugeben: Das eigentliche Verkehrshindernis war schon damals der Gotthard, ein noch schwererer Brocken als der Watzmann. Aus dem Weg damit!

ULF J. FROITZHEIM tut sich schon schwer, im Garten einen Komposthaufen zu versetzen.

 

Sie sind der oder die 3296. Leser/in dieses Beitrags.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert