Spaß am Alten

Ob Auto, Computer oder Handy: Die Technik ist einfach viel zu langlebig geworden.

Die Japaner, stand neulich in der Zeitung, hätten keinen Spaß mehr am Auto. Diese gewagte Diagnose stützte der Korrespondent auf die Nachricht, die Zahl der Neuzulassungen habe sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten halbiert. Ähnliche Sorgen wie Toyota & Co. plagen auch die Computerindustrie, und das nicht nur in Japan. Wenn sich die Menschen noch für neue PCs begeistern, dann für stromsparende Netbooks. Die sind klein und leicht – und billig. Auch Handy-Anbieter jammern. Im Prepaid-Zeitalter bezahlen die Menschen ihr Telefon selbst, also behalten sie es, bis es verschlissen ist. Das sollte eigentlich nach exakt 25 Monaten der Fall sein, da die Garantie nach zwei Jahren endet. In der Praxis halten die Dinger aber meist viel länger.

So betrüblich diese Trends für die Aktionäre auch sein mögen, stehen sie aus Verbrauchersicht doch für eine erfreuliche Folge des Fortschritts: Heute muss niemand mehr ständig neue Autos und Elektronik kaufen, um sich wenigstens für kurze Zeit daran erfreuen zu können. Wer noch einen bärenschweren Schreibtischboliden daheim hat, verschrottet ihn nicht, nur weil er älter als drei Jahre ist. Jedenfalls nicht, wenn auf dem Teil eh nur Office, Firefox und dergleichen laufen.

Wundern darf man sich allerdings darüber, dass ausgerechnet die Autoindustrie die Folgen ihrer Bemühungen unterschätzt hat, ihre Produkte zu perfektionieren und jedem Kunden sein individuelles Wunschvehikel vor die Tür zu stellen. Vor 20 Jahren war es – nicht nur in Japan – wichtig, sich rasch wieder von der Karre zu trennen, bevor der Rost den Restwert fraß. Wer heute seinen maßgeschneiderten Mittelklassewagen Baujahr 2000 nach weniger als 200.000 Kilometern für läppische 2500 Euro Subvention in die Schrottpresse schickt, ist selbst schuld. Selbst zwölf Jahre alte VWs und Toyotas stehen oft noch gut im Lack.

Das ist der Preis der guten Tat: Um in einem gesättigten Markt zu wachsen, haben sich die Hersteller in den Neunzigern auf einen Qualitätswettbewerb eingelassen. Sie wollten an Extras verdienen, die ihren stolzen Preis nur in einem langlebigen Produkt wert sind. Jetzt haben sie den Salat: Wir bösen Konsumenten hängen an den Dingen und sind so unfair, die Qualität schamlos auszunutzen.

Aus der Technology Review 4/2009, Kolumne FROITZELEIEN

Schnatternde Gurugurus

Neueste Innovation in der IT: die Anbetung der relevanzbefreiten Kommunikation.

Kürzlich hielt Hubert Burda, der technikbegeisterte Großverleger, wieder einmal Hof. Digital,Life,Design nennt er in unorthodoxer Interpunktion sein jährliches Gipfeltreffen, für das die schillerndsten Exponenten des (nicht nur) digitalen Fortschritts auf dem Weg nach Davos gern eine Zwischenlandung in München einlegen. Als Gast, der andere D,L,D-Gäste studiert, kann man über die Jahre hinweg recht gut beobachten, wie sich unser Kommunikationsverhalten wandelt im Zeitalter der softwaregestützten Übermittlung von, tja, Nachrichten? Wissen? Informationen? Bleiben wir besser mal beim wertfreien kleinsten gemeinsamen Nenner oberhalb der Byte-Ebene: Content. (Gewiss kein Zufall, dass dieser Terminus technicus aus der Welt der VerpackungshersteIler, die „Inhalt“ quantitativ meinen, in die Online- und Medienindustrie diffundiert ist.) Es ist, wie ich befürchtet hatte: Dieses Jahr wird getwittert, gnadenlos.

Wer nicht als verbohrter, rückständiger IT-Banause gelten will, muss der voll angesagten Sekte der Microblogger beitreten, die ihre alltäglichsten Verrichtungen mit den Mitteln des mobilen Internets in Echtzeit protokollieren. Ein typisches „Tweet“ ist hochverdichtete Irrelevanz – 140 Zeichen, die die Welt nicht braucht, aber live serviert bekommt. Vielleicht etwa so:

Würde ich jemanden auf diese Art an meinem Job und Leben teilhaben lassen, wäre er automatisch mein „Follower“, also Gefolgsmann oder Jünger. Ich wäre für ihn dann wohl der Guru – und der, dem ich „followe“, sein Guruguru? So nannte Obelix einst in Amerika den Truthahn, einen zwar schmackhaften, aber doch etwas komischen Vogel.

Twitterer übersetzen den Namen ihrer Lieblings-Website gern als liebenswertes „Gezwitscher“. Nach meinem Wörterbuch ist das nicht so eindeutig; es übersetzt „to twitter“ auch als „aufgeregt schnattern“. Wenn ich die Verlautbarungen aus diesem anthropo-ornithologischen Zoo vor meinem geistigen Ohr ablaufen lasse, höre ich allerdings ein Tier viel stärker heraus als die tirilierende Nachtigall, die gurugurrende Pute oder die schnatternde Gans: das hysterische Huhn, das über jedes gelegte und ungelegte Ei gackert.

Aus der Technology Review 3/2009, Kolumne FROITZELEIEN

Jurassic Park am Airport

Demnächst in Amerika: die kleine Flüster-Concorde
für Superreiche.

Wer einen Knall hat, merkt normalerweise nichts davon; seine Umwelt umso mehr. Das gilt insbesondere für den ganz spezifischen Knall, bei dessen Ertönen meine Oma zu sagen pflegte, jetzt habe schon wieder ein Düsenjäger die Schallmauer durchbrochen. Mit diesen Begriffen können die Kids von heute, aufgewachsen unter der Obhut des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und seiner Technischen Anleitung Lärm, nichts anfangen. In den Jahren des Kalten Kriegs war der Überschallknall noch ein ganz alltäglicher Lärm, gerne exerziert über dicht besiedeltem (Ruhr-) Gebiet oder quer durch den Pfaffenwinkel mit Wendeschleife an der vibrierenden Wieskirche.

Dann kehrte himmlische Ruhe ein. Auch die Concorde, die mit obszönem Kerosinkonsum ihre besserverdienenden Passagiere auf Mach 2 beschleunigte, durfte ihrem eigenen Krach erst davonfliegen, wenn sie das bewohnte Festland hinter sich gelassen hatte. Die Chance für Zivilisten, sich dem Rausch der Geschwindigkeit hinzugeben, schien endgültig vorbei, als Air France und British Airways nach dem Crash von Paris anno 2000 die letzten Exemplare des Donnervogels ausmusterten.

Jetzt kommt aus Amerika frohe Kunde für reiche Speed-Süchtige: Gulfstream Aerospace macht Fortschritt bei der Entwicklung des „Quiet Supersonic Jet“ (QSJ), der zumindest in akustischer Hinsicht ein sozialverträgliches Fortbewegungsmittel werden soll. Eine auf acht Meter ausfahrbare Teleskopspitze an der Nase soll der Maschine zu einer aerodynamischen Top-Form verhelfen, sodass sie in der Höhenluft nur noch eine ganz bescheidene Bugwelle aufwirft. Und wenn vorne nur wenig Luft zusammengepresst wird, schleift das Flugzeug auch keine große Stoßwelle hinter sich her, die das Ohr des Bodenbewohners als Knall wahrnimmt.

Allerdings soll der 1800 km/h schnelle Businessflieger mit Platz für 15 Personen so teuer werden wie zwei Airbusse A320 – rund 90 Millionen Dollar. Da hätte selbst vor der Finanzkrise mancher Hedgefond-Manager nachgerechnet, ob drei, vier Stunden gesparte Flugzeit den Aufwand wert sind. Darum ist jetzt von Jet-Sharing-Modellen die Rede: Multimillionäre teilen sich ein QSJ oder bieten Mitfluggelegenheiten. Dann ist’s zwar Essig mit spontanem Wegdüsen. Aber zumindest hockt man nicht so lange in dem verdammten Flieger.

Aus der Technology Review 2/2009, Kolumne FROITZELEIEN

Die Volkswagnis-Wirtschaft

Platfuss-Audi-Kunstwerk vor dem Brandenburger Tor
Platfuss-Audi-Kunstwerk vor dem Brandenburger Tor

Die Menschen der industrialisierten Welt leben in einer zerbrechlichen Symbiose mit der Autoindustrie

Kaum hatten die Bürger die Erkenntnis verdaut, dass das Wirtschaftssystem der westlichen Welt in zwei höchst gegensätzliche Sphären namens „Realwirtschaft“ und „Finanzwirtschaft“ zerfallen war, stifteten Wendelin Wiedeking und Holger Härter neue Verwirrung. Der ewige Vorstandschef der Porsche Holding SE und sein mit „Finanzminister“ weit unter Marktwert beschriebener Majordomus hatten mit der Raffinesse von Schachgroßmeistern die Manager einst mächtiger Hedgefonds und Banken in die Kapitulation gezwungen. Diese hatten im Börsencasino mit enormen Einsätzen darauf gesetzt, die Porsche-Strategen würden sich beim Angriff auf die Mehrheit der Volkswagen-Stammaktien selber matt setzen. Zu spät merkten sie, dass es ein Vabanque-Spiel war.

Seit diesen Tagen Ende Oktober ist klar, dass die vor gut 70 Jahren von Ferdinand Porsche aufgebaute Zentralwerkstatt der deutschen Volkswirtschaft zum wohl größten Familienbetrieb der Welt mutiert – kontrolliert von den Enkeln des Käfer-Erfinders. „Die Volkswagnis-Wirtschaft“ weiterlesen

Kleidung mit Köpfchen

Sensoren im Futter, Computer im Ärmel, Ohrstöpsel am Kragen – die Textilindustrie arbeitet an der Verschmelzung von Stoff und Elektronik. Doch damit den Markt zu erobern ist mühsam.

Warum bloß ist das Prädikat „Hidden Champion“ in Deutschland immer wörtlich zu nehmen? Auch die Garnschmiede Novonic am Hightech-Standort Weiler-Simmerberg ist ohne Navi kaum zu finden: Besser als an diesem beschaulichen Flecken in Bayerns Südwesten – dem Schweizer Kanton Appenzell-Ausserrhoden nicht nur geografisch näher als der Fashion-Metropole München – kann sich im Freistaat kein Betrieb verstecken.

Dabei hat das Unternehmen, zu dem Novonic gehört – die Garnfabrik W. Zimmermann –, keinen Grund, mit seinen technischen Errungenschaften hinter dem Berg zu halten, im Gegenteil. Die Firma ist vor Jahren den Schritt gegangen, den viele ihrer traditionellen Abnehmer aus der Bekleidungsindustrie noch scheuen: hin zu innovativen Funktionstextilien, die der unter Preisdruck ächzenden Branche Wachstumsimpulse und eine höhere Wertschöpfung versprechen. „Kleidung mit Köpfchen“ weiterlesen