Nicht im Sinne der Erfinder

Das internationale Patentwesen steckt in einer Akzeptanzkrise. Statt Plagiatoren abzuwehren und den Fortschritt zu fördern, zementiert es oft nur die Macht des Stärkeren. An Reformvorschlägen herrscht kein Mangel. Doch der nötige internationale Konsens ist nicht in Sicht.

Gäbe es ein Märchenbuch für Unternehmer, wäre dies wohl der Plot für die perfekte Gutenachtgeschichte: Eine Textilmaschinenfirma aus Schleswig-Holstein hat technisch den Anschluss verpasst, aber irgendwer bringt den Chef auf die rettende Idee, die F&E-Mitarbeiter sollten doch einfach alle Patentanmeldungen des Weltmarktführers analysieren. Dann wüssten sie genau, woran dieser arbeitet. Am Ende verhilft ihnen die Lektüre der Dokumente aus dem Patentamt nicht nur dazu, zur Konkurrenz aufzuschließen, sondern sogar ein besseres Produkt zu entwickeln.

Auch wenn es kaum zu glauben ist, wie arglos sich der Wettbewerber in die Karten schauen lässt: Die märchenhafte Turnaround-Story ist keine Erfindung. Das Fallbeispiel stammt lediglich aus einer Zeit, in der kaum jemand deutschen Ingenieuren die Chuzpe zugetraut hätte, in einem eleganten Bogen um die Patente der Kollegen herum zu entwickeln und die Übertölpelten dann mit eigenen Patenten einzukesseln. Als die Kieler Wirtschaftsförderungsgesellschaft WTSH 1998 die Geschichte veröffentlichte, um dem Mittelstand den Charme von Patentrecherchen nahe zu bringen, hing so manche Entwicklungsabteilung noch dem „Not Invented Here“-Prinzip an: „Nicht im Sinne der Erfinder“ weiterlesen

Code like a girl

Beim Stichwort Ästhetik denkt nicht jeder zuerst an Programmcode. Dabei haben erfahrene Software-Architektinnen und Software-Architekten einen sechsten Sinn für verborgene Schönheit. Sie erkennen mangelnde Qualität bereits an Äußerlichem: Was ihnen „hässlich“ erscheint, bewährt sich nicht.

Der Onlineshop „Modern Coder“ hat eine klare Zielgruppe: weibliche IT-Fachkräfte. Der typischen Software-Entwicklerin, die zu viel arbeitet und keine Ruhe hat für einen Einkaufsbummel, liefert der Versender kesse Klamotten frei Haus – T-Shirts und Sweatshirts in schicken Schnitten von gertenschlank bis ernährungstechnisch herausgefordert. Sich schön anzuziehen, ist für die Kundinnen aber nur ein Grund, bei „Modern Coder“ zu ordern. Der Clou an den Textilien ist der applizierte Text: „code like a girl“.

Der neofeministische One-Liner, der auch Accessoires von der Handtasche über Einkaufsbeutel und Kaffeepötte bis zum Bumper Sticker schmückt, wendet ein männliches Vorurteil gegenüber Frauen zum Vorbild: „Girl Code“, das neue Synonym für „schön“ geschriebene Programme, war ursprünglich eine Metapher mit gehässigem Unterton. Wer Code schreibt „wie ein Mädchen“, konzentriert sich nicht aufs Wesentliche, sondern glättet hier und striegelt da, bis auch das letzte Strähnchen richtig sitzt. Echte Männer haben es nicht nötig, auf die Ästhetik ihres Outputs zu achten. Sie sind effizient und pragmatisch, lassen Ecken und Kanten stehen und folgen der Devise: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Wer da die tumben Machos aus Rich Tennants genialem Cartoon-Klassiker „Real Programmers“ vor Augen hat, ist also im richtigen Film. „Code like a girl“ weiterlesen

Missionar in eigener Sache

Wer Michael Greve nicht mehr viel zutraut, dem sei verziehen: Schon zweimal hat der Web-Unternehmer hochfliegende Erwartungen geschürt und dann auf der ganzen Linie enttäuscht. Doch er lässt sich nicht beirren – und verfügt über genügend Geld, um noch lange durchzuhalten

Wenn sich Michael Greve Zeit für ein persönliches Treffen nimmt, führt er den Besucher erst einmal hinab in die Katakomben. Hinter den Sicherheitsschleusen im Untergeschoss des loftig-schnieken Anwesens Amalienbadstraße 41 in Karlsruhe-Durlach, in dem einst die schnöde Firma Pfaff schnöde Nähmaschinen montierte, gilt es, ein Rechenzentrum von Weltformat zu bewundern. Fünf Petabyte, also fünf Millionen Gigabyte, können die Server speichern, die sich in hermetisch abgeschirmten, aufwendig brandgeschützten Räumen bis unter die Decke türmen. Bündelweise führen Glasfaserkabel aus dem LED-blinkenden Multi-User-Verlies hinaus ins weltweite Netz, 20 Gigabits pro Sekunde passen durch die Super-Pipeline. Kein Zweifel: Greves Untergrundreich, ein von allerlei merkwürdigen Gestalten namens „Combots“ bevölkertes Paralleluniversum, ist bestens gewappnet für einen Ansturm ungeheurer Horden von Usern. Müsste etwa die gesamte Einwohnerschaft von Second Life samt ihrer Simmobilien auf Völkerwanderung gehen, fände sie hier locker 50-fach Unterschlupf.

Doch so stolz Greve seine Luxus-Serverfarm präsentiert, so ungern spricht er über ihre fast demütigend niedrige Auslastung: Erst 30.000 Nutzer machen nach aktuellsten Zahlen Gebrauch von der imposanten Infrastruktur, „Missionar in eigener Sache“ weiterlesen

Lebenselixier Software

Titelgeschichte der mit „Gold“ beim Best of Corporate Publishing Award 2007 prämierten Ausgabe des Kundenmagazins m&it (Menschen und Informationstechnik), Herausgeber: sd&m AG, München.

 

Einstein ist abgehakt, in den Medien gibt Mozart den Ton an. Dass 2006 auch zum „Informatikjahr“ ausgerufen wurde, haben viele gar nicht gehört. Das offizielle Wissenschaftsjahr soll Laien deutlich machen, wie sehr das Wohl der Gesellschaft von Software abhängt – und warum es wichtig ist, besser über IT informiert zu sein. Eine offene Debatte über Ziele und Grenzen des Fortschritts könnte auch der Informatik neue Impulse geben.

Eines haben die Uhus den Bivies voraus: Die etwas reiferen Jahrgänge („unter hundert“) haben bewusst eine Zeit miterlebt, in der ein softwareloses Leben in der Zivilisation möglich, ja sogar alltäglich war. Die „bis vierzig“ Jahre alten Bivies kennen diese graue Vorzeit und ihre Requisiten wie Lohntüte, Wählscheibentelefon, Schreibmaschine, Röhrenradio und Rechenschieber vor allem aus Filmen, Büchern oder TV-Dokumentationen. Wobei Einblicke in die analoge Ära maßgeblich dem Einsatz von Digitaltechnik zu verdanken sind: Wie Buchverlage und Bibliotheken, Fernsehsender und Programmzeitschriften jemals ohne IT klarkamen, finden heutzutage sogar altgediente Medienprofis einigermaßen rätselhaft. „Lebenselixier Software“ weiterlesen

…zweitens als man denkt

Titelgeschichte der mit “Silber” beim Best of Corporate Publishing Award 2006 prämierten Ausgabe des Kundenmagazins m&it (Menschen und Informationstechnik), Herausgeber: sd&m AG, München.

Der Mensch hasst die Ungewissheit. Er will wissen, was auf ihn zukommt: Er geht zu Wahrsagern, hört Horoskope im Radio, bemüht selbst ernannte Zukunftsforscher. Aber weder Geist noch Natur und Technik entwickeln sich linear. Die Extrapolation der jüngeren Vergangenheit in Richtung Zukunft ist so unzuverlässig wie langfristige Wetterprognosen.

Herman Kahn war ein hochgescheiter Mann. „Highest IQ on record“ lautet eine typische Würdigung – auch wenn nirgends verlässlich dokumentiert ist, ob der New Yorker seinen Intelligenzquotienten überhaupt je hat wissenschaftlich messen lassen. Kahn (1922–1983) war der Urtyp jener Sorte Experten, ohne die die heutige Mediengesellschaft kaum mehr vorstellbar ist: eloquente Berufsbesserwisser, die der schnöden Wirklichkeit gedanklich immer einige Schritte voraus sind. Seine Lebensaufgabe fand der frühere Wunderknabe der Air-Force-Denkfabrik RAND Corporation darin, mit seinem eigenen Think-Tank Hudson Institute die USA des jungen Computerzeitalters auf das vorzubereiten, was ihnen in naher, mittlerer und etwas fernerer Zukunft blühte: militärisch, politisch, technisch, ökonomisch – vom Atomkrieg bis zum Wirtschaftswunder. „…zweitens als man denkt“ weiterlesen