Daß der amerikanische Softwarekonzern Computer Sciences (CSC) seit über 20 Jahren auch in Deutschland vertreten ist, war bisher ein gut gehütetes Geheimnis der Branche. Jetzt zeigt ein neuer Chef Flagge und inszenierte ein Motivationsspektakel im Hollywood-Stil. TopBusiness war dabei.
Gleißendes Licht, ein paar kümmerliche Palmen, ein junger Beduine. Verstreut herumliegende Gegenstände deuten auf den Absturz einer kleineren Passagiermaschine hin. Frustriert hocken 18 Männer und zwei Frauen auf verbeulten Tropenkoffern und herausgerissenen Flugzeugsitzen. Mit ratlosen Gesichtern stieren sie in den gelben Sahara-Sand und auf ein Häuflein seltsamer Utensilien, darunter eine Schußwaffe.
Ganz offensichtlich war niemand in dem Grüppchen darauf gefaßt gewesen, daß sie der neue Boß allesamt mit schadenfrohem Grinsen in die Wüste schickt. Jedenfalls hatten sich die Mitarbeiter des Software-Unternehmens CSC Computer Sciences GmbH den groß angekündigten Neubeginn ganz anders vorgestellt. Friedrich Fröschl, seit Ende 1991 amtierender CSC-Geschäftsführer, hat an diesem Samstag die gesamte deutsche Belegschaft ins Bavaria-Filmgelände eingeladen – zur „CSC-Premiere“, einem Betriebsausflug mit Motivationsprogramm im Hollywood-Stil.
Mit dem Glitzer der Fernsehwelt will er die Angestellten der fünf Niederlassungen, die bisher nur wenig Kontakt miteinander hatten, zu einer Crew zusammenschweißen und für die CSC der Zukunft begeistern. Teamgeist statt Hierarchien heißt seine Devise, mit der er aus der grauesten Maus der Branche, deren Kundschaft 20 Jahre lang aus Dienststellen von Bundeswehr, Bahn und Post bestand, eine attraktive Softwarebraut für Industrie und Handel machen will.
Die Sondervorstellung in der Münchner Filmstadt Geiselgasteig trägt ihren Namen „Premiere“ zu recht, ist sie doch gleich in mehrfachem Sinn eine Uraufführung:
❏ Für Fröschl selbst ist es der erste Auftritt vor versammelter Mannschaft,
seit er im vergangenen Jahr seinen Job als Generalintendant der vereinigten deutschen Hinterhoftheater angetreten hat, als welche die „German Operations“ des amerikanischen Softwaremultis bisher galten.
❏ Viele der sonst über Deutschland verstreuten Softwareentwickler, Kundenberater, Sekretärinnen und Kaufleute werden erstmals – zum Beispiel in der Wüste – direkt aufeinander losgelassen.
❏ Die frisch installierten „Channel Managers“ (Bereichsleiter) sollen an diesem Nachmittag den Mitarbeitern der deutschen „Locations“ (Filialen) etwas über ihre neue Aufgabe erzählen.
❏ Europa-Chairman John M. Thompson zeigt Fröschls Gefolgsmännern und -frauen ihren neuen Platz in der über 26.000 Mitarbeiter zählenden weltweiten CSC-“Familie“.
Intern firmiert das Premierenspektakel auf dem Bavaria-Gelände als „Kick-off-Meeting“, was böse Zungen so interpretieren, daß dabei einigen Kollegen ein durchaus fälliger Tritt ins Gesäß verabreicht wer den solle. Dabei hat Fröschl die Metapher aus der Fußballwelt entlehnt: Kick-off ist der Anstoß zu einem Spiel, und die CSC-Mannschaft kann in ihrer Liga – soviel steht fest – nur aufsteigen.
Doch an diesem für die CSC-Annalen denkwürdigen Tag steht kicken gar nicht auf dem Programm. Für ein paar Stunden ist das ganze Leben ein Quiz, besser gesagt eine Spielshow, bei der das Publikum die Rolle der Kandidaten übernimmt. Einen Teil der Anwesenden scheint das Ambiente in der Begrüßungskulisse, der Gottschalk-Halle, tatsächlich zu faszinieren. Bei anderen indes zeigen die muffligen Mienen sehr deutlich, daß sie nur deshalb ihre wertvolle Freizeit opfern, weil sie keine plausible Ausrede gefunden haben, sich dieser Motivationsveranstaltung zu entziehen.
Bewährung des Teamgeistes
Dabei bemüht sich der Chef nach Kräften, Vorurteile und Berührungsängste der Mitarbeiter gegenüber dem neuen Management abzubauen. Und weil er jahrelang bei Digital Equipment gearbeitet hat, wo die Anrede beim Vornamen zentrales Element der Unternehmenskultur ist, trägt Fröschl heute ein Badge, das ihn in Großbuchstaben als den „Fritz“ ausweist. Das allgemeine Duzen ist damit bei CSC freilich noch nicht eingeführt – Jovialität hat ihre Grenzen.
Daß nicht die ganze Mannschaft dem Neuen traut, zeigt sich bereits bei der Begrüßung: Als der Geschäftsführer beispielsweise den Controller von CSC Europe vorstellt, applaudiert das Auditorium verdächtig heftig. Kreuzbrav hören alle zu, als „Fritz“ dann seine Ansprache hält, an deren Ende er Teile seiner Belegschaft in die Wüste und auf andere Abenteuerspielplätze schicken wird. „Fritz“ fordert Teamgeist und Eigenverantwortlichkeit von seinen Untergebenen, malt ein glänzendes Bild von einer künftigen deutschen CSC im vereinigten Europa, doziert über ein neues Verständnis des Wortes „Dienstleistung“ und über „Werteketten“, strapaziert sogar den „Kleinen Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. Fröschl scheint testen zu wollen, wie viele wohlfeile Worte sich das Publikum bieten läßt, ohne aufzubegehren.
Der Trick mit Charly
Plötzlich kommt der überfällige Zwischenruf: „Jetzt entschuldigen Sie mal, Herr Dr. Fröschl, das ist ja alles schön und gut, aber…“. „Fritz“ reagiert mit souveräner Gelassenheit. „Sagen Sie mir bitte zuerst Ihren Namen“, erwidert er milde, als kenne er den jungen Mann noch nicht, „wie heißen Sie eigentlich?“ Auf dieses Stichwort stürzt ein Bavaria-Techniker mit einem Mikrofon aus der Kulisse, hält es so schnell wie möglich dem Störer unter die Nase: „Mein Name ist Leo Dorakis, ich bin Anwendungsberater hier in München…“. Die Kamera, die bisher starr auf Fröschl gerichtet war, schwenkt nuf den angeblichen Softwarespezialisten. Mit sarkastischem Tonfall in der Stimme und sichtlichem Lampenfieber fährt „Leo Dorakis“ fort: „Sie erzählen uns hier wunderschöne Dinge vom Kleinen Prinzen. Aber ich möchte wissen, warum in den vorangegangenen Wochen so viele Kollegen rausgeschmissen wurden. Werden Sie weitere Mitarbeiter entlassen? Und wenn ja, wer ist das dann? Wie lange kann ich hier noch arbeiten?“
Ein Raunen geht durch die Reihen, weil niemand diesen Mann kennt, der sich da so frech über die Anstandsregeln hinwegsetzt. Was die irritierten Kollegen noch nicht ahnen: Leo Dorakis ist nicht echt. Er ist der „Charly“. So nennen die Fernsehleute einen Schauspieler, der als Animateur unters Publikum gemischt wird – ein beliebter Trick, mit dem immer wieder Spielshows aufgelockert werden. Charly ist der Stellvertreter all jener, die sich nicht trauen, dem Boß die wirklich interessanten Fragen zu stellen.
Seit Monaten wird nämlich bei CSC hinter vorgehaltener Hand über nichts anderes mehr geredet als über die Personalpolitik Fröschls, der Programmiererstellen gestrichen und dafür Berater neu eingestellt hat, weil ihm die Firma „unbalanciert“ erschien. Dialektik à la Fröschl: Indem er die verdeckten Angriffe gegen ihn selbst aufdeckt, begibt er sich offensiv in die Defensive – psychologische Kriegsführung in einem Unternehmen, das so lange Software für das Militär entwickelt hat, daß seine bloße Existenz schließlich das bestgehütete Geheimnis der Branche war.
Als die etwas zu lang geratene Charly-Einlage absolviert ist und „Fritz“ seine Strategie zur inneren Führung ausgiebig erläutert hat, geht ihm allerdings auf, daß ein Großteil seiner Truppe den Braten gerochen hat. Er legt ein Geständnis ab, indem er dem Dorakis-Darsteller dankt – was zur Folge hat, daß sich einige Mitarbeiter nun erst recht verschaukelt vorkommen. Ihnen bleibt jedoch keine Zeit, sich aufzuregen, denn jetzt ist Zuschauerbeteiligung angesagt: Auf der Bühne nehmen gerade fünf junge Leute Aufstellung – ein Beduine, eine Prinzessin, ein Bergmann, ein Weltraumfahrer und ein Marinesoldat – und trommeln ihre Mannschaft zusammen.
Diejenigen, auf deren Badge eine Palme zu sehen ist, haben Pech. Während die anderen in den Szenenbildern der Bavaria-Produktionen „Das Boot“, „Enemy Mine“, „Rote Erde“ und „Die unendliche Geschichte“ das sogenannte Nato-Spiel spielen dürfen, stapfen sie mißmutig mit dem Beduinen in die Sahara-Attrappe. Sie müssen nun mit dieser improvisierten Kulisse in der Studiohalle J der Bavaria-Filmstudios Vorlieb nehmen, wo partout keine zünftige Wüstenstimmung aufkommen will. Wie auch, ist doch die Dekoration der RTL plus-Mittwochsshow „Gottschalk“ ringsum voll erleuchtet von Scheinwerfern und Girlanden aus Glühlampen, die nicht sonderlich nach Sahara aussehen.
Aber bei einer Premiere, zu der es nie eine Generalprobe gegeben hat, kann so ein kleiner Regiefehler schon mal passieren. Ziel des nicht mehr ganz taufrischen Nato-Spiels, das Fröschl vor Jahren bei MBB gelernt hat, ist es, sich mit Hilfe bestimmter Requisiten aus einer fiktiven Notlage zu befreien. In diesem speziellen Fall haben die Kandidaten also eine Bruchlandung mitten in der Wüste oder im Land Phantasien hingelegt, sind mit Wolfgang Petersens U-Boot in Seenot oder in in einer Weltraumstation in Atemnot geraten. Nun müssen sie Hilfe holen, ohne daß jemand verdurstet oder sonstwie abhanden kommt.
Dabei geht es nur vordergründig um den praktischen Nutzen von Sonnenbrillen, Kompaß, Landkarte, Pistole, Trockenmilch, Schlauchboot oder Wasserkanister fürs Überleben. Viel spannender sind die gruppendynamischen Prozesse – schließlich wurde das Nato-Spiel von Psychologen erfunden: Bildet sich ein Team, das konstruktiv und systematisch diskutiert? Kristallisieren sich zwei Fraktionen heraus? Oder schwingt sich ein Teilnehmer zum alle anderen dominierenden Alphatier auf?
Wie im richtigen Leben bildet sich jede Konstellation, wird auch in der „Roten Erde“ jedes Utensil auf seinen maximalen Mehrfachnutzen untersucht, in Phantasien über den Abmarsch aller Gestrandeten oder den eines kleinen Hilfstrupps abgestimmt und in der Wüste auf Befehl eines selbsternannten Mufti beschlossen, einfach das Eintreffen einer Rettungsmannschaft abzuwarten.
Obwohl jedes Team unter permanenter Beobachtung einer Videokamera steht, schwört Fritz Fröschl Stein und Bein, daß es ihm dabei nicht darum gehe, den Unarten seiner Pappenheimer auf die Schliche zu kommen: „Mich interessiert das Ergebnis überhaupt nicht.“ Alte Hierarchien sollten aufgebrochen werden, jeder Mitarbeiter solle lernen, daß er mit guten Argumenten die Geschicke der ganzen Gruppe beeinflussen könne. Um Cliquenbildung von vornherein auszuschließen, haben Fröschl und sein „Business Development“-Manager Martin Kupiek übrigens per Zufallsgenerator die Teams quer durch die Standorte und Abteilungen gemischt, so daß die meisten einander völlig fremd sind.
Am Abend beim geselligen Beisammensein erhält jede der fünf Spielmannschaften ihren (Trost-) Preis, so tödlich der in der Gruppe erzielte Konsens im Erstfall auch gewesen wäre. Sieger ist für „Fritz“ die CSC-Familie, der er sich nun ein Stück näher fühlt. Die einzelnen Mitglieder, die längst wieder im vertrauten Kollegenkreis beisammenstehen, belohnen sich für all die Strapazen mit Canapés und Sekt.
Einige Monate später: Das deutsche Sorgenkind der CSC-Gruppe, die in den USA als Nummer drei der unabhängigen Projektsoftwarehäuser gilt, steht überraschend gesund da. Umsatz, Auftragseingang und Gewinn sind besser als erwartet, der Break-even kam früher als geplant. Friedrich Fröschl bildet sich nicht ein, dies allein mit dem Tag bei der Bavaria bewirkt zu haben, aber auf einen Teilerfolg ist er stolz: „Bei den jüngeren ist danach wirklich der Deckel aufgegangen.“ Und er hofft, daß seine Leute keinen Charly brauchen, um ihm ihre Meinung zu sagen.
“Beim nächsten Mal“, verspricht er, „machen wir’s mit echter Mitarbeiterbeteiligung.“
Ulf J. Froitzheim
Sie sind der oder die 2752. Leser/in dieses Beitrags.