Computer to plate heißt der Schlüssel zur schnellen Übertragung von Daten im Mediengeschäft.
Wie es bei der Kampagne zur Markteinführung von Windows ’98 zugehen könnte, läßt sich heute schon ausmalen: Weil es zwei Jahre vor der Jahrtausendwende immer noch nicht ausreicht, im Internet die virtuelle Werbetrommel zu rühren, hat sich Microsoft prominente Plazierungen in diversen Printmedien reserviert. Die Vorlaufzeiten sind bis auf ein Minimum zusammengeschmolzen. Erst wenige Stunden vor dem jeweiligen Andruck überspielt der Softwarekonzern seine Motive via Multiplex-ISDN direkt in den Computer der Druckerei, der die Pixel mittels eines Hitzelasers unmittelbar in die Druckformen brennt. Microsoft will so seinen USP demonstrieren: höchst aktuell und zeitnah zu sein. Oliviero Toscani geht noch einen Schritt weiter: Er stellt brandaktuelle Agenturfotos in den Mittelpunkt seiner 1998er·Benetton·lnserate. Anzeigenleiter schwitzen Blut und Wasser, weil sie juristisch heikle Kreationen manchmal erst zu Gesicht bekommen, wenn das Heft schon gedruckt ist.
Utopie eines Cyberfreaks? Mitnichten. Wenn Geld, eingeübte Arbeitsabläufe und die IG Medien keine Rolle spielten, ließe sich dieses Szenario schon heute realisieren. Der Schlüssel zu dieser Zukunft heißt CTP – für Computer to plate. Experten erwarten von dieser Technik ähnliche Umwälzungen in der Printbranche, wie sie DTP in den achtziger Jahren ausgelöst hat. CTP verlängert die digitale Kette bis an die Druckmaschine. Kein Film wird mehr belichtet, entwickelt und montiert, denn der Rechner kann die Lettern und Bilder jetzt unmittelbar auf die Druckplatten projizieren. Und selbst die werden revolutioniert: Hersteller wie Kodak arbeiten an „prozeßlosen“ Druckplatten, die nicht mehr mit optischen, sondern mit thermischen Lasern beschriftet werden.
Das neue Verfahren betrifft beileibe nicht nur die Druckereien und Vorstufenbetriebe, wo die Rationalisierung des Prepress-Ablaufs viele Mitarbeiter den Job kosten wird. Setzt sich CTP durch, müssen auch die Agenturen umlernen. Denn herkömmlich produzierte Anzeigen werden zum Hindernis im digitalen Prozeß. Idealerweise fließen im Computer, der die Druckplatten erzeugt, Redaktions- und Anzeigendaten perfekt formatiert zusammen.
In der Praxis ist es bis dahin freilich noch ein weiter Weg. Von dem üppigen Angebot an CTP-Maschinen, das auf der diesjährigen Drupa zu bestaunen war, ist in den Betrieben bislang wenig zu sehen. „Das Problem ist nicht CTP, sondern das Drumherum“, erklärt Bernd Adelmann, Leiter Datenservice beim Druck- und Medienservice des Vogel-Verlags in Würzburg, „die Arbeitsabläufe müssen neu organisiert werden.“
Zwang zur Kooperation
Das beginnt beim Anzeigenverkäufer, der seine Kunden nach der Devise „Bitte nur Bits“ motivieren muß, und reicht bis zum zeitgemäßen Ersatz für die klassische Bogenrevision. So entfallt nämlich mit der Zwischenstufe Film auch die Möglichkeit, auf den letzten Drücker schnell noch kleine Retuschen vorzunehmen. Wegen eines kleinen Fehlers die gesamte Seite noch einmal durch den RIP (Raster Image Processor) jagen zu müssen, wäre – da auch der Textanteil nur mehr gepixelt existiert – für Adelmann ein Horrorgedanke.
Die neuen Sachzwänge haben auch Vorteile: CTP zwingt alle Beteiligten zu einem kooperativeren Umgang miteinander. In der digitalen Welt herrscht das Konzept des virtuellen Unternehmens: Die EDV-Systeme der Partner verschmelzen zu einem symbiotischen Verbund – ein Prozeß, der allerdings nicht ohne anfängliche Reibereien und Revierkärnpfe in Gang kommt.
Einen Vorgeschmack darauf, wie die Verantwortlichkeiten neu ausgerauft werden, bietet derzeit die Debatte zwischen dem Gesamtverband Werbeagenturen (GWA), dem Bundesverband Druck und dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) über einen einheitlichen Standard für die Formatierung von 4c-Druckunterlagen. So echauffiert sich Helmut Hilger, Leiter Druckservice bei Gruner + Jahr in Itzehoe und Sprecher der Kommission Technik im VDZ, über ignorante Reprostudios und Agenturen, die den Offsetdruck für das Maß aller Dinge halten. „Die Offsetleute können sich nicht vorstellen, daß der Tiefdruck einen ganz anderen Farbauszug braucht als ihre Eurofarben“, beschwert sich der G+J-Manager. 80 Prozent der angelieferten Farbsätze würden ohne Anpassung an die Anforderungen des Tiefdrucks geliefert – meistens übrigens noch auf Film.
Datenträgerschwemme bleibt aus
Abhilfe kann nach Hilgers Ansicht ein Scan- und Konvertierungssystern bieten, das Hagen Peters, Vorsitzender der Sparte Druckvorstufe im Bundesverband Druck, entwickelt hat. Bei der Methode der Peters-Firma Partner vor dem Druck (P.V.D.) werden die Vorlagen als Dreifarben-Datensatz gescannt und bei Bedarf in das gerade benötigte Format umgewandelt. Ebenso ist eine Rückkonversion möglich – etwa eine Übersetzung von der vierfarbigen Euroskala in die neutrale 3c-Ausgangsbasis. Just diese Funktion werden Hilger und seine Verbandskollegen wohl öfter benötigen. Denn die großen Agenturen wollen sich nicht mit der Adaption an die teils exotische Technik der einzelnen Druckhäuser belasten.
Lothar Burmester, Lintas-Produktionsleiter und Sprecher des GWA-Arbeitsausschusses „Produktion Print“, schwärmt zwar von der „perfekten Umsetzung“ und den „absolut wiederholbaren“ Ergebnissen, die das Peters-Programm liefert, beharrt aber auf den Rechten der Agenturen als Auftraggeber: „Die Verantwortung dafür, was ein Drucker druckt, können und wollen wir nicht übernehmen.“ Der Agentur obliege nur, eine genormte Datei mitsamt Digilalproof abzugeben, der Rest sei Sache der Verlagsdruckerei. Immerhin: Genormte Dateien statt falsch gescannter 4C- Filme wären ein großer Schritt in Richtung CTP.
Momentan riskiert eine Agentur, die ihre Vorlagen konventionell abliefert, jedenfalls noch nicht den Ruf, rückständig zu sein. Nicht einmal bei Computertiteln – seien es Fachblätter oder die prätentiöseren Special-Interest-Magazine – ist digitale Anlieferung bisher üblich. „Ich habe von den Kunden der Computerwoche noch nichts auf einem Datenträger bekommen“, schwört Klaus Löblich, Auftragsleiter der Druckerei E. Schwend aus Schwäbisch Hall. Und Sylvia Stier, Verlagsleiterin der lDG Magazine Verlags GmbH in München, wird von den Inserenten ihrer Titel Macwelt und PC Welt trotz wiederholter Bitten um Bits nicht direkt mit Datenträgern überschwemmt. „Bei der Macwelt‘ , so Stier, „sind es vielleicht 15 Prozent.“
Eine vollständige digitale Produktionskette vom Set bis zur Druckplatte bleibt ohnehin auf lange Sicht Illusion. Zwar kommt bei technischen Motiven, wie sie in Ingenieurspostillen oft geschaltet werden, inzwischen schon so manches Werbefoto aus der Digitalkamera. In der Printwerbung für Markenartikel bleibt aber offenbar erst einmal alles beim alten. „Unsere Leute ordnen ihre Kreativität nicht dem Ziel einer digitalen Kette unter“, weiß der Lintas-Technikmann und „Digitalfreak“ Burmester, „auch in 15 Jahren werden die großen Fotografen noch mit ganz normalen Filmen Bilder machen, die Emotionen auslösen.“ Und als wäre der Hinweis nötig, setzt er hinzu: „Wir sind keine Druckvorstufe.“
Computer to plate ist kein Kinderspiel
Die Druckindustrie steht vor der größten Herausforderung seit Einführung des Fotosatzes.
An ihrem Anspruch, mit dem neuen Produkt eine neue Epoche einzuläuten, läßt die Linotype-Hell AG keinen Zweifel: „Gutenberg“ hat sie frech ihre seit Mai lieferbare Maschine getauft, die der Computer-to- plate-Technologie zum Durchbruch verhelfen soll.
Wenn die Rechnung der Eschborner aufgeht, muß eine ganze Branche umlernen. Die Einführung von CTP (oder des Tiefdruck-Pendants, der digitalen Gravur) ist ein geradezu mustergültiges Beispiel für das, was Unternehmensberater „Business Process Reengineering“ nennen: Der Betriebsablauf wird völlig umgekrempelt und auf maximalen Computereinsatz getrimmt. Möglich wird dies durch den drastischen Preisverfall bei digitalen Massenspeichern, verbunden mit einer wahren Leistungsexplosion. Als Ende der achtziger Jahre die ersten Prototypen von CTP-Belichtern entwickelt wurden, wäre es weder technisch noch betriebswirtschaftlich denkbar gewesen, komplette Druckbögen in hoher Auflösung auf Festplatten zu parken. Heute geht es nur noch darum, wie man angesichts der Abermilliarden von Bytes noch den Überblick darüber behält, was wo gespeichert ist. Das allerdings erfordert sehr viel mehr Disziplin als das altbewährte Film-Handling: Es gibt kein besseres Versteck für eine Datei (und damit für eine Anzeigenvorlage) als ein Archiv von Magnetkassetten oder Discs, die schlampig beschriftet sind. Umdenken müssen freilich nicht nur die Mitarbeiter der Druckereien, die diesen Rationalisierungsfortschritt überstehen. Auch auf Anzeigenverkäufer und -disponenten sowie Mitarbeiter von Agenturen kommen neue Arbeitsabläufe zu: Mancher wird merken, daß der Umgang mit Daten nicht immer so bequem ist wie der mit Reinzeichnungen und Filmen. Denn bei diesen klassischen Medien sieht man sofort, was man vor sich hat. Bei einer Cartridge muß man sich darauf verlassen, daß das Reprostudio sorgfältig gearbeitet hat. Entsprechend gering ist bisher die Motivation vieler Agenturen, selbst für die Digitalisierung der Vorlagen zu sorgen – zumal diese Vorarbeit von den meisten Verlagen bis dato kaum honoriert wird. Solange die Umstellung auf digitale Druckunterlagen nur zusätzliche Arbeit macht und noch kein Geld einspart, steht auf der Positivseite allein der Aktualitätsgewinn: Per ISDN-Leitung können rechtzeitig eingespiegelte Inserate noch relativ kurz vor Andruck eingespielt werden.
Erschienen im Drupa-Special der w&v 44/1995
Sie sind der oder die 1843. Leser/in dieses Beitrags.