Digitale Videotechnik macht aus Hobbyfilmern professionelle Kameraleute, Cutter und Regisseure. Noch nie war es für Laien einfacher, einen perfekten Film zu drehen.
Urlaubsvideo – dieses Wort kommt auf der deutschen Langeweileskala gleich nach Diaabend. Massenweise belanglose Szenen, unscharfe Zoom-Fahrten, verwackelte Panoramaschwenks, von Dramaturgiedilettanten ohne Sinn und Verstand hintereinander kopiert. Der Video-Boom der 80er und 90er mit seinem spottbilligen Aufnahmematerial war der Tod des planvoll gedrehten Amateurfilms der Super-8-Ära.
Ausgerechnet der Preisverfall bei Chips und Computern macht jetzt das Filmen als Hobby wieder attraktiv. Volldigitalisierte Videokameras erleichtern es, in Symbiose mit leistungsfähigen Multimedia-Heimcomputern, passable Filme zu drehen, zu schneiden und zu vertonen. Laien gebieten plötzlich über Technik, die vor wenigen Jahren nicht einmal den Kamera-Teams großer Fernsehsender zur Verfügung stand. Unruhige Hand und kein Stativ dabei? Macht nichts. Nahezu alle DV-Camcorder (DV = Digital Video) sind heute mit optischen oder elektronischen Bildstabilisatoren ausgestattet, die für ein zitterfreies Bild sorgen. Zu dunkel und keine Leuchte dabei? Keine Sorge, mit einer Null-Lux-Funktion schaltet der Apparat aufs Infrarotspektrum und wird zum Nachsichtgerät. Fotoapparat vergessen? Die Videokamera speichert bei Bedarf Schnappschüsse. Sogar ein Blitzgerät ist eingebaut. Schlapper Ton ist auch nicht zu befürchten. Die Akustik guter DV-Kameras liegt heute auf CD-Niveau.
Wie zuvor die Computerhersteller, hauen sich die Kameraproduzenten Kampfpreise und lange Ausstattungslisten nur so um die Ohren. Versierte Fachverkäufer kommen angesichts des atemberaubenden Modellwechselstakkatos kaum noch mit. Die Pressestellen von Herstellern wie Sony, Sharp und Panasonic haben es längst aufgegeben, zu jedem neuen Typ einen Text zu verfassen. Wenn ein Modell erstmals auf der Homepage erscheint, ist es mit ziemlicher Sicherheit schon veraltet. Was den Handel ärgert, freut die Verbraucher. Wenige Monate alte Modelle sind bereits Auslaufmodelle, und die sind zu Schnäppchenpreisen ab 1199 Mark zu haben.
Obacht ist trotzdem angesagt. Nicht jedes auf den ersten Blick attraktive Angebot hält, was der Prospekt verspricht – sei der Anbieter noch so renommiert. Niemand, der in seine Kameras billige digitale Bildstabilisatoren einbaut statt der aufwendigen optischen, hängt an die große Glocke, dass diese Funktion auf Kosten der Bildqualität geht. Manche spektakuläre Design-Idee erweist sich als praxisfern: Kameras in Form eines senkrecht stehenden Ziegelsteins liegen eben deutlich schlechter in der Hand als rundliche Gehäuse, bei denen die Finger unwillkürlich zu den richtigen Knöpfen und Schaltern gleiten. Linkshänder bevorzugen andere Modelle als Rechtshänder. Faustregel: Erst ausprobieren, dann kaufen.
Zudem erweisen sich viele Superlative bei näherer Betrachtung als Augenwischerei. So ist das, was die gesamte Branche ungeniert unter dem Namen Digital-Zoom vermarktet, fauler Zauber aus der Trickkiste der Informatiker. Während beim traditionellen (optischen) Zoomen die gesamte Fläche des Bildsensors genutztwird, klemmen die Techniker bei der Billigvariante große Teile des Sensors einfach ab. Aus dem winzigen Fleckchen in der Mitte – das ja nur einen Bruchteil der üblichen Bildinformationen enthält – errechnet der eingebaute Computer ein Vollbild.
Folge der elektronischen Ausschnittvergrößerung: Das Bild hat nicht 800.000 echte Pixel, sondern vielleicht noch 40.000 echte und 760.000 vom Rechner dazugemalte. Es wird so unscharf, als hätte jemand mit der Pocket-Kamera ein hauswandgroßes Werbeplakat fotografiert. Erfahrenere Filmer lassen sich freilich von der Angabe „400-fach Digital-Zoom“ ohnehin nicht beeindrucken. Bei konventionellen Filmkameras hat ein 20fach-Zoom immer vollkommen genügt.
Noch ärgerlicher für den Kamerakäufer ist die verbreitete Praxis der Importeure und Händler, einen Mangel vieler Billigmodelle zu verheimlichen: Bei den für Europa produzierten Chargen schalten die Hersteller die Anschlussbuchse für den Computer, die Daten in beide Richtungen befördern kann, auf Einbahnbetrieb um. Dadurch kann der Besitzer zwar Filme zum Schneiden auf den PC überspielen, fertige Filme lassen sich jedoch nicht auf das Band in der Kamera zurückkopieren.
Hintergrund: Kameras mit Videoeingang (DV-In) gelten fiskalisch als Videorekorder, auf die erhöhter Zoll erhoben wird. Kundige Kunden achten deshalb vor dem Kauf auf das Ausstattungsmerkmal DV-In. Allerdings ist nicht alles verloren, wenn jemand den falschen Typ erworben hat. Im Internet bieten Software-Häuser Programme und Kabel an, mit denen die künstliche Sperre zu öffnen ist. Ein gezielter Blick ins Web hilft nicht nur, das Problem mit der DV-In-Buchse zu lösen. Weil viele Foto-/Videoverkäufer ebenso wenig von Computern verstehen wie PC-Händler von Videotechnik, lohnt sich ein kleiner Surf zu den Fachforen, in denen Camcorder-Profis ihre Erfahrungen niedergeschrieben haben.
DIE RICHTIGE HARDWARE FÜR VIDEOFANS
Einen Dream-PC für den Videoschnitt hat die Redaktion des Fachblatts „PC Direkt“ aus Edelkomponenten zusammengestellt. Dafür muss der Kunde jedoch stolze 18.970 Mark hinblättern. In der Praxis allerdings reicht ein Rechner, der ein Zehntel kostet und mit einer speziellen Grafikkarte (Preis: 500 bis 2000 Mark) aufgerüstet ist. Die wichtigste Komponente ist die Festplatte. Der Umgang mit Videodaten erzeugt uferlose Byte-Fluten, die gebändigt werden müssen. Eine Stunde Digitalfilm entspricht etwa acht Gigabyte. Wer sich in den vergangenen Monaten einen PC der 2000-Mark-Preisklasse zugelegt hat, ist mit der in den meisten Fällen mitgelieferten 20-Gigabyte-Platte für eine Filmproduktion gut gerüstet. Eigentümer älterer Geräte sollten sich für einige hundert Mark zusätzlich eine Zweitplatte zulegen. Wichtig ist ein großer Hauptspeicher mit einer Kapazität von 128 Megabyte RAM und mehr. Die Geschwindigkeit des Prozessors ist weniger entscheidend, denn die Hauptarbeit leisten die Chips auf der Spezialgrafikkarte. Bereits der ältere Pentium II mit 400 Megahertz ist schnell genug für den Schnitteinsatz. Gelegenheitsvideografen, die Einbußen an Komfort und Geschwindigkeit in Kauf nehmen, können sogar auf den Einbau einer Digitalvideokarte verzichten. Wenn der PC mit einer Firewire-Schnittstelle (IEEE-Norm 1394) ausgerüstet ist, genügt eine Software-Lösung. Allerdings ruckeln die gefilmten Szenen im Zeitlupentempo über den PC-Schirm. Der Betreiber der Website www.digitalschnitt.de, Michael Lehmann-Horn, rät ambitionierten Amateuren, gleich auf höherwertige Technik zu setzen.
GENIALE EFFEKTE MIT PROFI-SOFTWARE
Mal scheint das Bild am Ende der Szene zu explodieren, mal wird es weggeblättert wie eine Buchseite. Beim nächsten Schnitt schiebt sich das neue Bild wie die schwarzen Felder eines Schachbretts über das alte, um Sekunden später von einem virtuellen Strudel in die Tiefen des Bildschirms gerissen zu werden. Bis zu 700 verschiedene Szenenübergänge sind mit heutiger Videoschnitt-Software möglich. Hinzu kommen das gesamte Handwerkszeug für die professionelle Nachvertonung und Titeleinblendung. Die Vollversionen der besten Produkte bewegen sich in der gleichen Preislage wie günstige Kameras. So kostet das Aist Moviepack 3.0 – laut www.computerchannel.de „derzeit das Nonplusultra“ – 1800 Mark. Der Klassiker Adobe Premiere 5.1 liegt bei 2100 Mark. Das von „PC Direkt“ als sehr gut eingestufte Ulead Mediastudio Pro kostet immerhin einen knappen Tausender. Nur in Ausnahmefällen kaufen Digitalvideofans solche Programme. Die Hersteller der für den Videoschnitt nötigen PC-Zusatz-Hardware wie DV easy (550 Mark), EZ DV (800 Mark) oder DV now (1000 Mark)
liefern diese Software in der Regel gleich mit – wenn auch nicht in der allerneuesten Version.www.dvi-in.de Alle Informationen über das Freischalten von Kameras ohne DV-Eingang.
www.digitalschnitt.de, www.videox.net
Infos von Profis über Videoschnitt und Videokarten für Computer.
www.nomatica.com
Vergleich: Was kosten DV-Videokameras in Europa?
Erschienen in BIZZ 8/2000.
Sie sind der oder die 1214. Leser/in dieses Beitrags.