Ja, ich habe mich mal bei Groupon registriert, diesem Online-Laden für Schnäppchenjäger, über den jetzt alle schreiben, weil er so furchtbar wertvoll sein soll. Natürlich habe das nicht getan, weil ich meine, mich mit anderen Schnäppchenjägern sozialvernetzen zu müssen, sondern weil ich über die digitale Wirtschaft schreibe…
…und daher vieles teste, auch wenn ich es nicht überzeugend oder das Geschäftsmodell nicht plausibel finde.
Ich war jedenfalls froh, als ich mich wieder abmelden konnte vom Verteiler dieser konsumterroristischen Pseudo-Verbrauchervereinigung. Nichts, aber rein gar nichts von den Produkten oder Dienstleistungen, die mir in gnadenlosem Stakkato mit angeblich höchster Dringlichkeit (verpasse bloß nie wieder was!) ins ePostfach geballert wurden, hatte meine Aufmerksamkeit verdient. So gab es natürlich kein iPad mit 50 Prozent Gruppenrabatt, keine verbilligten Bär-Schuhe, keinen günstigen Ersatz für meinen alten Passat. Nicht mal eine Kiste Lammsbräu alkoholfrei lockte. Kurzum: Die Werbemails, deren Empfang ich bei diesem Experiment zugelassen hatte, zeichneten sich durch eine bemerkenswerte Spamhaftigkeit aus – was zum einen daran lag, dass Anbieter, die sich von Groupon etwas erhoffen, selten dem Mainstream bekannter Renommiermarken zuzurechnen sind, und zum anderen an den beworbenen Waren oder Tätigkeiten. Jemand wie ich braucht weder Permanent-Makeup noch eine Typberatung beim Friseur. Ich will auch nicht meine Körperbehaarung per Laser wegepilieren lassen. Ebensowenig reizt mich ein Wettlauf mit über 1000 Coupon-Käufern um einen passenden Termin, an dem ich einen Gutschein für ein All-you-can-eat-Buffet beim Chinesen einlösen darf.
Der Umsatz, den Groupon und die teilnehmenden Unternehmen mit mir gemacht haben: 0 €. In Worten: null Euro.
Wenn das geschätzte Handelsblatt Recht hat, habe ich dennoch zu einer unglaublichen Wertschöpfung beigetragen. Selbst eine Dateileiche wie ich ist nämlich an der Börse rein rechnerisch 300 Dollar wert.
Gab es solche Super-Geschäftsmodelle nicht schon mal?
Mehr zum Thema? Gerne.
Um für den Investor 300 Dollar wert zu sein, muss ich so viel kaufen, dass für Groupon mehr als 300 Dollar Reingewinn bei meinen Einkäufen zusammenkommen. Ich muss also Tausende von Dollar für Einkaufsgutscheine ausgeben. Als Durchschnittskunde.
Das versuchen Sie mal!
Wie enttäuschend der Versuch enden kann, auf der deutschen Groupon-Website überhaupt etwas zu entdecken, das weder uralt noch ausverkauft ist, dokumentieren die folgenden Screenshots vom 15. Januar 2011, also – ein Hinweis aus gegebenem Anlass – drei Wochen nach Weihnachten und sieben Monate nach der Fußball-WM. Auf der Seite „Alle heutigen Gutscheine deutschlandweit“ war nicht nur ausnahmslos alles vergriffen…
…sondern vieles eindeutig nicht heutig. Auch die benachbarte Rubrik-Suche ist vollkommen sinnlos, denn sämtliche Rubriken sind vollgestopft mit längst ausverkauftem Zeugs. Sie zeigen nicht, was man kaufen kann, nur was man irgendwann mal hätte kaufen können. Sie gehören somit eigentlich hinter den (durchaus vorhandenen) Reiter „verpasste Deals“ und nirgendwohin sonst.
Wenn man sich das geschätzte Alter dieser historischen Deals ansieht, könnte man glatt auf den Gedanken kommen, ein Archiv der Verkäufe seit der Übernahme der deutschen Firma Citydeals durch Groupon im Mai 2010 vor sich zu haben, denn die ältesten datierbaren Deals stammen aus der Zeit vor der Fußball-WM in Vuvuzelistan.
Archiviert sind nur etwas über 1200 Deals, darunter viele X-fach-Nennungen, weil der gleiche Deal in vielen Städten angeboten wurde. Für ein vollständiges Archiv wäre das viel weniger Business, als man vermuten sollte. Nur: WAS wird WARUM weggelassen? Und nach welchen Kriterien?
Macht man sich die Fleißarbeit, die Daten rauszufieseln und in Excel zu kippen, bekommt man jedenfalls ein Gefühl für die bescheidenen Dimensionen dieser Art von E-Commerce hierzulande. So zeigt die Auswertung einer größeren Stichprobe, dass der durchschnittliche Deal dem Anbieter einen direkten Umsatz in der Region oberhalb von 1000 Euro bringt, wobei der durchschnittliche Käufer etwas über 10 Euro ausgibt. Dieser muss also einige Hundert mal zuschlagen, damit der Investor auf seine Kosten kommt.
Übrigens erweist sich beim Herumstöbern in den Daten die Kernbehauptung von Groupon, also die vorgebliche raison d’etre des Unternehmens…
„Der Vorteilspreis bei Groupon wird möglich durch die Festlegung einer Mindestanzahl an Käufern für das jeweilige Angebot.“
…als reiner Marketingschwindel. Die Mindestanzahl liegt bei 1, und da gibt es nunmal keine Kaufkraft zu bündeln und keine Skaleneffekte für den Händler oder Wirt.
Der Clou des Geschäftsmodells ist ein ganz anderer: Vorkasse mit Verfallsklausel. Der Kunde kauft keine Ware oder Dienstleistung, sondern eine Art Optionsschein. Die Gutscheine verfallen nämlich früher oder später. Wer sie nicht schnell genug einlöst, ist das Geld los. Die Erfahrung lehrt, dass niemals alle ausgegebenen Gutscheine zurückkommen. Ein cleveres Konzept: Die Vergesslichkeit der Menschen wird, wie das im BWLer-Deutsch so schön heißt, monetarisiert.
Dennoch: Jeden Deppen, der bei diesem Spiel mitmacht, mit 300 Dollar zu bewerten, ist hirnrissig. Zumal nicht jeder registrierte Depp ein voller Depp ist (oder überhaupt ein Depp): Professionelle Schnäppchenjäger erfinden mehrere virtuelle Deppen, um mehrere Coupons abzugreifen, wo ihnen nur einer zustünde.
Das ist nicht fair, aber kein bisschen unfairer als der Trick, mit dem clevere Kaufleute via Groupon & Co. dusselige Verbraucher foppen: Statt eine Reise zu 1000 Euro mit 10 Prozent Rabatt für 900 anzubieten, verkaufen sie einen 100-Euro-Reisegutschein für 10 Euro, also mit 90 Prozent Rabatt. Jeder Tourist kann nur einen Coupon pro Buchung einreichen, zahlt also unter dem Strich 910 Euro. So vermarktet man 9 Prozent Rabatt als 90 Prozent.
Hier noch ein paar Eindrücke vom Surfen auf groupon.de:
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