E-Mail aufs Telefon, Fax auf den PC, SMS als Fax – Unified Messaging Service macht’s möglich. Die besten Anbieter, die Funktionen, die Preise.
Der Begriff ist ein Monstrum: Unified Messaging Service (UMS). Wörtlich übersetzt bedeutet er: vereinigte Benachrichtigungsdienste. Geprägt hat ihn ausgerechnet ein deutscher USA-Auswanderer, der ehemalige Ostberliner Rap-Musiker Jens Müller. Heute begeistert die UMS-Technik weltweit die Multimediageneration: Telefongespräch, Fax, E-Mail, SMS-Nachricht – alles ist untereinander kompatibel.
Der Clou für die Nutzer: Wer sich bei einem UMS-Dienst angemeldet hat, ist von Paderborn bis Punta Cana von allen üblichen Kommunikationsgeräten aus erreichbar. Um Nachrichten zu erhalten, reichen ein Handy, ein Faxgerät im Hotel oder ein Computer in einem Internet-Cafe aus. Die UMS-Anbieter leiten zum Beispiel E-Mails auf jedes beliebige Faxgerät weiter oder lesen sie mithilfe eines Sprachroboters am Telefon vor. Sie schicken eine SMS-Botschaft auf das Handy-Display des Kunden, um ein Fax anzukündigen. Und bei Bedarf verwandeln sie Nachrichten auf dem Anrufbeantworter in Sound-Dateien, hängen sie an eine E-Mail und senden sie rund um die Welt. Dann können die Nutzer ihre Voicemails jederzeit und überall mit einem Mausklick über die Sound-Karte eines PC abhören.
UMS kann aber auch für die totale Ruhe sorgen: Wer nicht erreichbar sein will, lässt E-Mails automatisch beantworten oder direkt löschen, was von ungeliebten Absendern kommt.
Von solcher Vielfalt konnte der New Yorker Neubürger Müller nur träumen, als er 1996 seine US-Firma Jfax gründete. Er versuchte sein Glück mit einer eher teuren, erklärungsbedürftigen und faxlastigen UMS-Dienstleistung für berufsbedingt reisende Musiker, Monteure und Manager. Anschließend entwickelte sich UMS fast unbemerkt zu einem universellen, massentauglichen Gimmick für gewöhnliche Internet-Surfer und Handybesitzer. Nichts ist jetzt mehr unmöglich – selbst das betagte Telex lässt sich heute auf ein WAP-Handy übertragen. Erste Versuche laufen, gefaxte Texte am Telefon vollautomatisch vorlesen zu lassen.
Pionier Müller, der sich amerikanischen Geschäftsleuten gern unter dem verangelsächselten Künstlernamen Jaye (J.) Muller vorstellt, ist längst auf Nachahmer gestoßen. Als er im vorigen Herbst endlich in seiner alten Heimat eine Jfax-Filiale eröffnete, traf er auf eine ganze Horde aggressiver Konkurrenten mit sehr verbrauchernah kalkulierten Tarifen. Die Monatspauschale liegt selbst bei den umfangreichsten UMS-Servicepaketen unter zehn Mark. Tendenz: fallend.
Die Internet-Aktiengesellschaften Web.de (Karlsruhe), GMX (München) und die Oldenburger Media Service Group (MSG), die wegen ihrer Börsenambitionen unter hohem Erfolgsdruck stehen, drängen den deutschen Surfern ihre Messaging-Dienstleistungen geradezu auf. Die Einstiegsdroge, mit der sie die Online-Gemeinschaft süchtig machen wollen, ist der so genannte Freemail- oder Webmail-Account. Ursprünglich beschränkten sich derartige Gratisofferten aufs Wesentliche: Empfang und Versand von elektronischen Textnachrichten über eine lebenslang gültige Adresse (womit das Leben des Dienstes ge-
meint ist, das im Zweifelsfall kürzer ist als das des Kunden). Mit den Primitivangeboten aus der Anfangszeit würde heute allerdings niemand mehr einen Stich machen.
In ihrem erbitterten Kampf um die nicht zahlende Kundschaft hauen die Betreiber einander immer mehr Nulltarifoptionen um die Ohren (siehe Tabelle). Zum Beispiel die so genannte POP3/ SMTP-Mail: Früher konnte ein Internet-Nutzer seine Elektrobriefe nur online – also bei tickendem Gebührenzähler – schreiben oder abrufen. Inzwischen funktionieren die meisten Dienste problemlos mit Mail-Programmen wie Netscape Messenger und Microsoft Outlook, die Bestandteile der Internet-Browser Communicator und Explorer sind. Der Nutzer lädt die eingegangenen Nachrichten en bloc aus dem Netz, trennt die Verbindung, schreibt in aller Ruhe offline die Antworten und sendet diese, ruckzuck, gebündelt ab – bei Verbindungspreisen ab 1,9 Pfennig pro Minute so gut wie kostenlos.
Potenzielle Kunden für die gebührenfreien, werbefinanzierten Digitalpostämter gibt es reichlich. Zum Beispiel pfennigfuchsende Netznovizen und Gelegenheits-Surfer. Sie wählen sich je nach Wochentag und Uhrzeit über wechselnde Call-by-Call-Nummern ins Internet ein und sparen so die Grundgebühr für den Provider, von dem Internet-Nutzer traditionell ihre E-Mail-Adresse bekommen.
Auf den Web-Seiten der Gratisdienste registrieren sich auch immer mehr Abonnenten der großen Online-Dienste T-Online und AOL. Der Grund: Sie wollen auf ihre Visitenkarte eine E-Mail-Adresse drucken, die sie nicht bei jedem Provider-Wechsel ändern müssen. Oder sie legen sich kostenlose Zweit- und Dritt-Mailboxen zu, um ihre Korrespondenz nach Familie, Hobby und Beruf zu sortieren. Vielleicht gönnen sie auch nur der Telekom das Mitbenutzerentgelt nicht. Schließlich müssen Familien, die einen T-Online-Anschluss haben, ab der zweiten E-Mail-Adresse fünf Pfennig pro Nase und Kalendertag zahlen.
Eine vierköpfige Familie, die „T-Online geht“, spart durchs Fremdgehen 55 Mark im Jahr. Als Gegenleistung für die kostenlose Adresse bei Web.de und Konsorten macht der Netznutzer mit jeder verschickten E-Mail indirekt Reklame für seinen Gönner, denn der verewigt sich hinter dem @-Zeichen. So verpasst Smartvia, ein Dienst der MSG, dem Autor die Kennung ujf@smart-via.de. Ungeachtet all dieser kostenlosen Leistungen verlangen Deutschlands Surfer noch mehr für lau. Und sie bekommen es: Um die Zugriffszahlen auf ihren Seiten zu erhöhen, liefern ihnen die billigen Jakobs eine persönliche 16-stellige 01805-Telefonnummer als Bonbon. Sie führt zu einem virtuellen Zwitter aus Faxgerät und Anrufbeantworter. Auf diese Weise können auch Menschen, die keinen E-Mail-Zugang besitzen, den UMS-Teilnehmern eine Nachricht zukommen lassen. Wer einen ISDN-Anschluss abonniert hat, kann eingehende Gespräche auf die UMS-Nummer umleiten.
Den Anfang der Nummernschieberei machten Web.de und Smartvia. Andere Anbieter wollen nachziehen, darunter einige der 60 Untermieter von MSG, die meist nur einen Teil der technischen Möglichkeiten ausnutzen. Auf den Oldenburger Servern laufen unter anderem Angebote wie Travelmail (vom Gruner+Jahr Travelchannel), Brimail („Brigitte“), My Tomorrow (Tomorrow Internet AG), ConnectMail („Connect“) oder Sternpost („Stern“).
Mit ihren aufgemotzten Freemail-Diensten – selbst die blechernen E-Mail-Vorleserinnen verrichten ihre Dienste für Gotteslohn – sind Smartvia und Web.de die beiden ersten Betreiber kostenloser Systeme, die den Namen Unified Messaging verdienen. Gebühren fallen lediglich für denjenigen an, der die 01805-Nummer anruft oder anfaxt. Besonders teuer wird es also für UMS-Teilnehmer, die ISDN-Anrufe auf diese Nummer umleiten. Sie zahlen rund um die Uhr 24 Pfennig pro Minute und damit das Vierfache der Gebühren, die ein kostenbewusster Telefonkunde abends oder am Wochenende berappt. Die Fernabfrage der Nachrichten per Telefon ist ebenso teuer.
Wer sehr oft unterwegs ist, greift deshalb besser zu einem so genannten Premium- oder Profidienst. Der kostet zwar ein paar Mark extra, aber dafür erhält man eine Nummer mit normaler Vorwahl (GMX Promail: 089; Smartvia Premium: 0441). Das ist unterm Strich billiger und funktioniert im Gegensatz zu den 01805er-Nummern auch international.
Apropos international: Wer sich den Luxus leisten will, kann sich bei Jfax eine Telefon- und Faxnummer mit der Vorwahl von New York, San Francisco oder Tokio mieten. Wenigstens in diesem Punkt ist Jaye Muller, der in den USA neuerdings auch einen Freemail-Dienst für Privatkunden anbietet, noch konkurrenzlos.
Vom Erfolg seines Dienstes in Deutschland ist Hayo Werner, Vorstandsvorsitzender der Media Service Group, fest überzeugt. „Für uns ist es nicht interessant, Technologieführer zu sein“, verkündet Werner auf der Website seiner Firma im Stile von Microsoft-Milliardär Bill Gates, „Weltstandard langt uns.“ Damit niemand auf den Gedanken kommt, das bislang weithin unbekannte Oldenburger Unternehmen strebe lediglich eine popelige Marktnische an, haben Werners Öffentlichkeitsarbeiter ihre Online-Präsentation mit einer imposanten Wachstumskurve garniert. Das noch junge Geschäft mit dem Unified Messaging Service soll bis 2005 auf über 20 Milliarden Dollar aufquellen – von nahezu null im vorigen Jahr. So sagen es jedenfalls die Marktforscher von Ovum in London voraus.
VERTRAUENSSACHE
Die meisten Menschen versenden E-Mails immer noch so offen, als wären es Postkarten. Experten warnen: Theoretisch kann jeder Internet-Crack mitlesen. Unified-Messaging-Anbieter übertragen E- Mails auf Wunsch über verschlüsselte Verbindungen. Dieser Service ist bei Diensten, die über das Web zugänglich sind, unverzichtbar, denn sie bieten Hackern eine breite Angriffsfläche. Selbst bei gesicherten Verbin- dungen (Web-Adressen, die mit https:// beginnen) ist Vorsicht geboten. Zugangsdaten oder Mails können auch nach dem Besuch der Seite des Mail-Dienstes noch auf dem Rechner sein. Dies kann der Nutzer überprüfen, indem er den Computer neu startet und den Dienst wieder aufruft. Verlangt er Benutzernamen und Passwort, ist alles in Ordnung. Erscheint dagegen sofort der Mail-Eingangskorb, sollte der Nutzer den Anbieter wechseln.
MAIL-TO-VOICE: REDEN MIT DEM ROBOTER
Wie gut, dass sich der alte Forschertraum von menschengleichen Maschinen nicht erfüllt hat. Gut für jene Maschinen, deren Job kaum ein Mensch freiwillig machen würde: Die brabbelnden Roboter, die uns am Telefon unsere E-Mails vorlesen. Die virtuellen Sprecherinnen, derer sich Dienstleister wie Canbox oder Jfax bedienen, sind die perfekten Angestellten: humorlos und fleißig, genügsam und geduldig, außerdem niemals frech zu den Kunden. Probleme hat höchstens der Nutzer des Unified-Messaging-Dienstes, denn er muss seine Hörgewohnheiten an die Technik anpassen. Die künstlichen Damen, die man sich völlig unerotisch als Leiterplatten voller Chips in einem kabelstrotzenden Blechregal vorstellen muss, lesen stur alles haargenau so vor, wie es getippt wurde – korrekt nach deutschen Ausspracheregeln. Damit der Empfänger den Begriff „Unified Messaging“ hört, muss der Absender „Junifaid Mässedsching“ schreiben, sonst spricht es die Automatin so holprig aus wie ein Grundschüler vor der ersten Englischstunde. Das gängige „E-Mail“ erinnert plötzlich an alte Badewannen oder an die angelsächsische Maßeinheit „mile“. Da hilft nur „i-mehl“ einzugeben. Praktisch sind die Mail-to-Voice-Dienste trotzdem – wenn sich Absender und Adressat auf die Probleme einstellen. Und tönt doch mal etwas völlig Unverständliches aus dem Hörer, kann der verwirrte Adressat sich den Text immer noch ins Hotel faxen lassen.
JUNGER PIONIER
Jens Müller, Musiker aus Ostberlin, musste in den vergangen drei Jahren immer wieder für die Fotografen posieren. Der 28-Jährige, der heute in New York lebt, war sogar schon Coverboy von Magazinen. Der Grund für das große Interesse: Müller, alias Jaye Muller, gilt als Pionier des Unified Seine US-Firma Jfax.com schickt Vielfliegern ihre Faxe an jeden Ort der Welt hinter- her und betreibt einen virtuellen Anrufbeantworter. Ende 1999 gründete Müller zusammen mit Michael Gleissner, dem Exchef vom Web-Buchshop Amazon.de, eine deutsche Niederlassung. Müller, der es vor allem auf Firmenkunden ab- gesehen hat, ist hier zu Lande reichlich spät dran: Den deutschen Markt teilen siCh die Kon- kurrenten Web.de, GMX und Media Service Group, die, im Gegensatz zu Jfax, allesamt im Internet zu Hause sind.
STICHWORT
UNIFIED MESSAGING SERVICE: Eine Intemet-Dienstleistung, die alle gängigen Kommunikationstechniken unter einen Hut bringt. So verwandelt ein UMS-Computer Telefonate und Faxe, die traditionell als analoges Signal übertragen werden, in digitale Dateien, die per E-Mail über das Internet übertragen und am PC abgerufen werden können. Die Umwandlung funktioniert auch umgekehrt.
FAX-POLLlNG: Faxabruf durch den Empfänger. Mit dieser Funktion (bei besseren Faxgeräten serienmäßig) können Faxe aus dem Speicher eines anderen Faxgeräts oder aus einem Faxserver (Computer) abgerufen werden, der etwa bei einem UMS-Anbieter steht.
Erschienen in BIZZ 8/2000.
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