Auto? Flugzeug? Die neuesten Vehikel sind so abgehoben, dass selbst ihre Erfinder die Bodenhaftung verlieren.
Früher brauchte niemand ein Navi, um sich in der Welt der Technik zurechtzufinden. Zum Telefonieren hatten wir Telefone, zum Fernsehen Fernsehgeräte, zum Fotografieren Fotoapparate, zum Schreiben Schreibmaschinen. Was wir auch taten, es gab keine App dafür, nicht mal ein Smartphone. Aber es gab Fachmessen für alles und jedes. Wer tolle Düsenflieger bestaunen wollte, wäre nie auf die Idee gekommen, auf die IAA zu fahren, und der Auto-Enthusiast hätte keinen Flug zur Airshow gebucht. Es war ja klar, dass Pkws nicht fliegen und ganz schlecht schwimmen können, außer vielleicht bei 007, Daniel Düsentrieb oder Tobbis Freund Robbi mit seinem Fliewatüüt.
Im Zeitalter der Konvergenz ist nichts mehr selbstverständlich. Crossover-Produkte sind angesagt, für Waschmaschinen ist jetzt beispielsweise die Funkausstellung zuständig, denn das Hausgerät meldet per Fritzbox dem iPhone, wenn der Schleudergang begonnen hat. Die spektakulärsten Überkreuz-Konstrukte sind indes immer da zu finden, wo der Mensch seine Mobilität zelebriert, und das macht das Leben jetzt auch für Autonarren schwieriger.
Neuerdings muss der Fan automobiler Innovation auch die Flugschauen im Auge behalten. In den USA bekam gerade die „Terrafugia Transition“ amtlichen Segen: ein Leichtflugzeug auf vier Rädern, das nach der Landung per Knopfdruck die Tragflächen hochfaltet, als Auto die Rollbahn verlässt und sich in der suburbanen Hausgarage nicht breiter macht als der landestypische Pick-up.
Dieser automobile Zwitter hat alles, was ihn in Amerikas feineren Wohngegenden zur Land- und Luftplage machen könnte: Er säuft weniger Super als ein fettes SUV, kann im Notfall auf dem Highway landen und kostet samt Knautschzone, Airbags und Rettungsfallschirm kaum mehr als ein Carrera Turbo, in dem man bei gleichem Reisetempo von 100 Meilen pro Stunde rasch den Lappen los wäre.
Und doch ist der automobile Luftikus ein schrecklich lahmes, hässliches Entlein im Vergleich zu jener schaurig-schönen Schimäre, die auf der Flugschau von Farnborough allen echten Düsenfliegern die Show stahl, dem flügellosen Bloodhound SSC. Eigentlich müsste der britische Bolide „Roadrunner“ heißen, wie jener Rennkuckuck, der im Trickfilm dem hungrigen Kojoten davonrast: Er sieht aus wie ein Vogel, hat auch dessen Erbgut, ist aber zum Fliegen nicht geschaffen. Sein Biotop ist die Salzpfanne, denn woanders hat ein SSC, ein Super Sonic Car, gar keinen Platz, um sich von Raketenantrieb plus Flugzeugdüse auf 1000 Meilen pro Stunde beschleunigen zu lassen.
Die Konstrukteure dieses wüsten Rennwagens kämpfen nur noch mit einem Problem: Wenn der Raketentreibstoff verbrennt, wird Bloodhound so leicht, dass er die Bodenhaftung verliert. Um ins Guinness-Buch aufgenommen zu werden, muss das schnellste Auto der Welt fahren, nicht fliegen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Projektdirektor Richard Noble sieht die aerodynamische Herausforderung jedenfalls sportlich, als „Engineering Adventure“, das den Forschernachwuchs zu geistigen Höhenflügen inspirieren soll. Humorlose grüne Kritiker bremst der Fun-Forscher mit einer bierernsten Ökobilanz aus.
Eigentlich hat er recht: Besser man schickt ab und zu ein paar verrückte Forscher mit dem Bluthund in die Kalahari, als dass immer mehr Autonarren mit ihren Fliewatüüts durch die Wolken brettern, bis irgendwann die ersten vom Himmel fallen.
ULF J. FROITZHEIM hat auch schon mal für zwei Minuten die Bodenhaftung verloren – bei einem Selbstversuch im Indoor-Skydiving-Turm.
Aus der Technology Review 9/2010, Kolumne FROITZELEIEN
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