Sauber, sauber

NACHHALTIGE BESCHAFFUNG. Nur mit dem Rotstift einzukaufen kann teuer werden. Wer nicht genau hinschaut, wie umwelt- und sozialverträglich seine Lieferanten arbeiten, riskiert hohe Folgekosten — und das Vertrauen seiner Kunden

Unter „Holzkopf“ verstehen die Einwohner von Erkheim im Ostallgäu nicht den Dorftrottel, sondern das weithin sichtbare Wahrzeichen ihrer Gemeinde – ein monumentales Gebilde in Gestalt eines kantigen Männerhaupts, das von Süden her den Verkehr auf der A96 München–Lindau zu beobachten scheint. Wer die nahe gelegene Ausfahrt nimmt, landet allerdings nicht in einem Themenpark für zeitgenössische Kunst, sondern in einem Gewerbegebiet. Von der Rückseite betrachtet erweist sich die 20 Meter hohe Skulptur als fünfstöckiger Bürobau – inklusive gläsernem Treppenturm und Panoramaplattform.

Es ist doppelter Luxus, was sich der Erkheimer Holzhausspezialist Baufritz 1996 zum 100-jährigen Firmenjubiläum gegönnt hat: Wo profane Flacharchitektur den Zweck erfüllt hätte, durfte der Ottobeurer Künstler Diether Kunerth einen vertikalen Blickfang auf die grüne Wiese setzen. Seither verfügt das Unternehmen über ein architektonisches Aushängeschild direkt an der Autobahn, das es nicht als Werbeträger nutzt. Vor den Oberstübchen des hölzernen Gesellen wäre eigentlich Platz für ein mannshohes Neon-Stirnband mit Baufritz-Logo. Aber wie sähe das aus? Es wäre respektlos gegenüber dem Künstler und eine Verschandelung der Landschaft.

Nicht nur bei besonderen Investitionen, auch beim ganz alltäglichen Einkauf von Rohstoffen und Vorprodukten hat Baufritz seine eigenen Prioritäten. Dagmar Fritz-Kramer, die das Familienunternehmen in vierter Generation führt, könnte sich als Kauffrau eigentlich freuen, dass das Holz, das den Löwenanteil ihres Einkaufsvolumens ausmacht, seit einiger Zeit zu unschlagbar günstigen Preisen auf dem Markt ist. Doch ihr ist nicht wohl dabei. „Den Forstwirten geht es heute ähnlich wie den Milchbauern“, empört sich die 38-Jährige. Wenn für einen Quadratmeter Wald weniger bezahlt werde als für eine Schachtel Zigaretten, lohne sich das Aufforsten nicht mehr. Also werde der Kies unter den Baumstümpfen ausgebeutet, irgendwann würden die Löcher in der Landschaft mit Bauschutt aufgefüllt. Beim nächsten Hochwasser sei das Umweltdesaster komplett – von der vertanen Chance, mit nachgepflanzten Bäumen CO2 abzubauen, ganz zu schweigen. Ihr Fazit: „Ich zahle lieber einen ordentlichen Preis fürs Holz.“

Fritz-Kramer hat gut reden, denn ihre Kunden denken genauso. Die Bauherren, die ihre individuellen Holzhäuser in Erkheim bestellen, gehören in die Kategorie „Lohas“. Das sind jene gesundheits-, umwelt- und zugleich stilbewussten Menschen, die sich ihren „Lifestyle of Health and Sustainability“ etwas kosten lassen. Nach der Devise „Luxus gern, aber nur mit reinem Gewissen“ kauft diese gebildete und solvente Kundschaft grundsätzlich nur, was nachhaltig erzeugt wurde, also ohne Raubbau an der Natur, Einsatz problematischer Chemikalien und Ausbeutung von Menschen.

Zählt man zu dieser privilegierten Avantgarde die Verbraucher hinzu, die zumindest im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten auf Nachhaltigkeit achten, haben die kritischen Konsumenten mittlerweile eine Marktbedeutung erlangt, die auch viele Unternehmen, die außerhalb der Ökonische Endkunden bedienen, nicht mehr ignorieren können. Dies belegt eine aktuelle Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag des Kerkhoff Competence Centers (KCC) St. Gallen unter 202 Führungskräften im Einkauf zum Thema „Grüne Beschaffung“, die impulse exklusiv veröffentlicht. Mehr als die Hälfte der Befragten aus dem Bereich Business-to-Consumer (B2C) gehen zum Beispiel davon aus, dass Ökolabel für ihre Endkunden „wichtig“ oder gar „sehr wichtig“ seien.

Für die anderen kann es jederzeit wichtig werden – nämlich dann, wenn etwas passiert, das dem Ruf des Unternehmens schadet. „Der Verbraucherschutz ist von unendlicher Wichtigkeit“, sagt Matthias Händle, geschäftsführender Gesellschafter des Osnabrücker Familienunternehmens Hamm-Reno, „wer das nicht vor Augen hat, fährt ein gewaltiges Risiko fürs Unternehmen.“ Diese Gefahr zu minimieren fällt für den Chef der Nummer zwei im deutschen Schuhhandel auch unter nachhaltiges Wirtschaften. Deshalb hat sich Reno auditieren lassen, deshalb werden bald Zertifikate in allen Filialen hängen, die eines dokumentieren: Das Unternehmen bietet ausnahmslos schadstoffgeprüfte Schuhe an. So lässt der Einkauf nicht nur von jedem Modell, das ins Sortiment aufgenommen wird, vorab ein Muster auf Rückstände untersuchen. Bei Anlieferung der Ware wandert ein weiteres Exemplar ins Labor. Erst wenn die Chemiker grünes Licht geben, geht die Charge an die Filialen. Mit einem Restrisiko muss aber auch Händle leben: Selbst wenn die Stichprobe negativ war, könnte der Hersteller für einen Teil der Lieferung Leder aus einer anderen Gerberei verwendet haben.

Skrupellose Ramschhändler

Anders als Fritz-Kramer, die Holz und Gips sogar auf Radioaktivität testen lässt, kann Händle die Kosten für die Einkaufskontrollen allerdings nicht abwälzen. „Wir haben sehr viel in das Thema investiert, es ist vernünftig, es ist notwendig“, sagt der Unternehmer, „aber der Konsument erwartet das heute auch von uns.“ Da niemand Gift im Schuh normal finde, zahle auch niemand höhere Preise für giftfreie Schuhe. Leider wird aber manchmal umgekehrt ein Schuh draus: Noch haben längst nicht alle Gerbereien, etwa in Italien, das giftige sechswertige Chrom aus ihrer Produktion verbannt. „Zu oft“ hat Händle verseuchte Schuhe zurückweisen müssen – und den gesundheitsschädlichen Ausschuss später billig bei irgendwelchen Anbietern entdeckt, deren Einkäufer kaum so naiv gewesen sein können, nicht zu ahnen, warum der Hersteller ihnen so ein günstiges Angebot gemacht hat.

Auch wenn skrupellose Ramschhändler noch Käufer finden, ist sich Jens Hornstein, Nachhaltigkeitsexperte der Düsseldorfer Kerkhoff Consulting, sicher, dass die Sensibilisierung der Bevölkerung wächst. Es sei einfach zu viel passiert. Jeder Skandal, vom Ekelfleisch bis zu Krebs erregenden Weichmachern in Plastikspielzeug, steigere den Wunsch nach sicheren, nachhaltig erzeugten Produkten. „Und das hat Rückwirkungen auf die Einkaufspolitik der Unternehmen“, sagt Hornstein.

Dass dieser Prozess in Stufen verläuft, lässt sich aus der Allensbach-Studie ablesen. Danach haben zwei von drei größeren Unternehmen der produzierenden Industrie bereits Ernst gemacht mit der Auditierung ihrer unmittelbaren Lieferanten hinsichtlich der Umwelt-, Klima- oder Sozialverträglichkeit ihrer Produktion; nur jeder vierte Befragte hatte noch keine derartigen Pläne. Nicht die Regel ist es aber, sich darum zu kümmern, woher der eigene Lieferant seine Vorprodukte bezieht. Das hält Hornstein für fahrlässig: „Wenn ein Unternehmen Nachhaltigkeit zum Thema macht, muss es die gesamte Beschaffungskette beachten.“ Bislang, das zeigt die Studie, tun größere Firmen mehr als kleine; B2C-Anbieter sind weiter als solche aus dem Bereich Business-to-Business (B2B).

Berater Hornstein meint aber, Anzeichen dafür entdeckt zu haben, dass auch im Geschäftskundenmarkt ein Umdenken begonnen hat. Eine Schlüsselrolle könnten dabei die Themen Energiesparen und Klimaschutz spielen: Wenn die Einkäufer der großen Dienstwagenflotten auf Sprit sparende Modelle umschwenken, die der Kasse und dem Image des Unternehmens gleichermaßen dienen, kommt in die ganze Autoindustrie Bewegung, bis hinunter zum Zulieferer des Systemzulieferers.

Der Teufel steckt aber wie immer im Detail. Was „nachhaltig“ konkret heißen soll, ist nirgendwo verbindlich geregelt. Jedes Unternehmen, jeder Verband, jeder Zertifizierer definiert seine eigenen Kriterien und legt seine eigene Messlatte an. Das gilt selbst im Lohas-Markt, dessen Teilnehmer sich schon am längsten mit diesen Themen befassen. Beispiel Holz: Dagmar Fritz-Kramer hat die Wahl zwischen den Gütesiegeln des Forest Stewardship Council (FSC) und des Program for the Endorsement of Forest Certification Schemes (PEFC). Trotz Siegel kann es aber sein, dass die Baumstämme über weite Strecken transportiert werden. Deshalb entscheidet sich die Baufritz-Chefin oft auch für kleine, ökologisch wirtschaftende Waldbauern im Allgäu – auch wenn die sich die aufwendige Zertifizierung nicht leisten können. Bei ihren Kunden steht die Unternehmerin dafür gerade, dass dies ökologisch sinnvoll ist. Als Trägerin des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2009, die mit diversen baubiologischen Extras die üblichen Standards gern überbietet, hat sie die nötige Glaubwürdigkeit dafür.

In Unternehmen, deren Einkäufer aus heiterem Himmel mit der Herausforderung konfrontiert werden, eine von der Geschäftsleitung vorgegebene Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen, ist das viel schwieriger. „Auf diesem Gebiet herrscht noch eine große Intransparenz“, sagt Kerkhoff-Partner Hornstein, der mit seinem Team von just dieser Unübersichtlichkeit profitiert. Die Berater sind aber nicht die einzigen Dschungelführer, die den ergrünenden Beschaffern den Weg freischlagen. Kunden der Deutschen Bank, die in Ressourcen sparende Techniken investieren wollen, können zum Beispiel einen der Spezialisten des Berliner Greentech-Teams einladen. Die beiden ersten Mitarbeiter, Felix Holz und Peter Hintz, sind Physiker – und begleiten den Finanzberater. „Wir sind unabhängige Sparringspartner für die Geschäftsleitung“, erklärt Holz, der lange auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien gearbeitet hat. Er verspricht „konstruktive Gespräche mit Anregungen aus einem anderen Blickwinkel“. Nach dem Besuch weiß der Unternehmer zumindest, was er alles bedenken muss, von der Ökobilanz bis zum Fördertopf – und an wen er sich wenden kann.

Manchmal braucht es freilich weder Druck von Kunden noch den Blick von außen, um den Nutzen einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise zu erkennen. Nämlich dann, wenn einer der dicksten Posten in der Aufwandsrechnung „Strom und Gas“ heißt. Dem Unternehmer-Ehepaar Annette Imhoff und Christian Unterberg-Imhoff ging das so. Die Inhaber des Wäscheleasing-Spezialisten Larosé haben dieses Jahr in ihrem Betrieb Nonnweiler im Saarland eine neue Waschstraße in Betrieb genommen, die den Energiebedarf drastisch reduziert. Bisher verpuffte die Abwärme der Heißmangeln ungenutzt, jetzt heizt sie über ein Wärmerückgewinnungssystem das Wasser der Waschmaschinen vor. „Wir nutzen alles an Wärme, was man wiederverwenden kann“, erklärt die Chefin. Auch das Abwasser läuft zuerst durch den Wärmetauscher, bevor es in die Kanalisation fließt. Die Betriebswirtin, Tochter des legendären Schokoladenfabrikanten Hans Imhoff, gibt sich nicht damit zufrieden, wenn ihr die Stadtwerke auf Gas, Wasser und Elektrizität gute Mengenrabatte gewähren: „Auch wenn der Strom nur noch die Hälfte kostet, muss ich ihn ja bezahlen.“ Ergo gilt bei Larosé das Effizienzgebot: Nicht mehr Verbrauch als nötig, das schont die Umwelt und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit.

Eins haben indes alle drei Unternehmen gemeinsam: Sie gehören zu den 23 Prozent, die laut Allensbach beim Thema Nachhaltigkeit keine Getriebenen sind, sondern Antreiber. Während 76 Prozent der Befragten sich dem Willen des Gesetzgebers und 69 Prozent dem Wunsch des Kunden beugen, folgen sie einfach ihrer eigenen Firmenphilosophie. „Nachhaltigkeit bezieht sich nicht nur auf Ökologie“, formuliert Reno-Chef Händle die Ansicht der Familienunternehmer. Es habe auch damit zu tun, wie man ein Unternehmen führe – und da gebe es andere Prioritäten als kurzfristige Gewinnmaximierung. Baufritz ist alt (113 Jahre), das Stammhaus von Hamm-Reno älter (121), selbst die 1977 gegründete Larosé ist ein Ableger der Traditionsfirma Stollwerck. Die Generation der heute 40-Jährigen will nicht die letzte sein. Oder, wie Händle sagt: „Wir wollen gern noch ein bisschen älter werden.“

Ulf J. Froitzheim

aus impulse 1/2010


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